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Streetart: Vandalismus oder Kunst?

Eine junge Frau in Schwarz, die sich vornüber an die Wand stützt und einen Schwall kleiner roter Herzchen erbricht: Ist das Kunst? Als Jugendliche in den 60er Jahren die ersten Häuserzeilen und U-Bahnwaggons in der amerikanischen Bronx mit ihren Namenszügen verzieren, tritt die sog. „Graffiti-Kunst“ auch in Europa ihren Siegeszug an. Mittlerweile ist die „Streetart“, wie sie sich aus dem Graffiti entwickelt hat, ein globales Phänomen und ziert in allen Großstädten der Welt Häuserwände, Laternen, Gehsteige und Verkehrsschilder. Als Teilbereich der „Urban Art“ beschränkt sich die „Streetart“ in der Regel auf den städtischen Raum und die Gestaltung von vorhandenen Flächen.

Als Barack Obama im Jahre 2009 zum 44. Präsidenten der USA gewählt wird ist dies nicht nur ein Sieg für die Demokraten, sondern auch für die Streetart: Der Wahlsieg Obamas macht den Amerikaner Shephard Fairey, der das sogenannte „Change“-Plakat gestaltete, zum Star der Urban Art-Szene und seine Darstellung zur Ikone des gesamtem Wahlkampfs. Und damit nicht genug: Dank Internet, Smartphone und Digitalfotografie schaffen es immer mehr Streetart-Werke in Museen und Galerien, die vielfach auch direkt Arbeiten bei den entsprechenden Künstler in Auftrag geben.

Seit etwa zehn bis fünfzehn Jahren wird die Kunst im öffentlichen Raum und das dazugehörige unangepasst-jugendliche Image zunehmend auch für werbende Zwecke genutzt, indem die entsprechenden Shops Sticker an ihre Kundschaft verteilen, welche diese wiederum im weitläufigen Stadtgebiet anbringen. Der Hersteller Nike ist für großflächige Wandmalereien bekannt, deren kommerzieller Charakter auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, und die Firma Sony hat eigens eine Streetart-Galerie in Berlin-Mitte eingerichtet, um die Vermarktung der neuen „PlayStation Portable“ zu unterstützen.

Streetart – Zwischen Kunst und Rebellion

Während die amerikanische Graffiti-Bewegung in den 60er und 70er Jahren sich noch als Kampf gegen die Konsumgesellschaft und den Kapitalismus versteht und auf diese Weise schnell zum globalen Ausdruck von jugendkultureller Identität wird, richtet sich die Streetart als Teil der Urban Art zwar auch gegen die Privatisierung urbaner Räume, hat darüber hinaus jedoch auch einen klaren künstlerischen Anspruch. Neben den, durch die Graffiti-Kunst berühmt gewordenen, Spraydosen verwenden „Streetartler“ auch Poster, Pinsel, Malerrollen und Aufkleber sowie Sticker, um ihre Ideen umzusetzen.

"Wer ungefragt an eine Hauswand sprüht, begeht eine Sachbeschädigung. Für mich ist es so: Wenn jemand nur schnell mal seinen Namen hinkrakelt und das Werk keinerlei ästhetischen Anspruch hat, ist es Vandalismus." (Martin Arz, Koautor von „Street Art München“, 2012)1

Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Streetart auf Privatbesitz, für die keine Genehmigung vorliegt, um Sachbeschädigung. Von Vandalismus und einfachem „Gekrakel“ unterscheiden sich sowohl die Streetart im Besonderen als auch die Urban Art jedoch dadurch, dass der Gestaltung ein Prozess der Planung vorausgeht. Die Darstellung im öffentlichen Raum versteht sich deshalb als Kunstrichtung, weil sie mit der vorgefundenen Umgebung arbeitet, sie in die Gestaltung einbezieht und zum Teil des Prozesses werden lässt.

Obgleich es auch immer mehr Grundstückseigentümer und Gemeinden gibt, die Streetart-Künstlermit der Gestaltung dafür vorgesehener Flächen beauftragen, zeichnet sich die Kunst im öffentlichen Raum noch immer weitgehend vor allem dadurch aus, dass sie eben nicht dauerhaft (weil in den meisten Fällen illegal) ist. Diese Tatsache zieht zwei Folgen nach sich: Erstens bleiben die meisten Vertreter der Stilrichtung anonym und arbeiten ausschließlich unter der Verwendung von Pseudonymen. Zweitens hat sich mittlerweile eine breite Community formiert, die sich dem Auffinden und fotodokumentarischen Erhalten von Streetart widmet.

Die Stars der Szene – Weltbekannt trotz Anonymität

JapanBlack  - banksy – flickr.com

Als „Urvater“ der Streetart gilt der Pariser Künstler Gérard Zlotykamien, der zunächst mit Kreide und Pinsel, später jedoch mit Sprühfarbe arbeitet. Seine Darstellungen sind von gesellschaftlich-politischer Relevanz, da er sich mit Themen wie Tod, Krieg und Faschismus auseinandersetzt. Seine sogenannten „Éphémères“ ('vom baldigen Verschwinden Bedrohte'), bei denen es sich um abstrahierte Strichfiguren handelt, sind u.a. von der Judenverfolgung in Deutschland, Österreich und Frankreich während des Zweiten Weltkriegs inspiriert.

Ein aktueller „Star“ der Szene ist ein britischer Künstler, der unter dem Pseudonym „Banksy“ mittels Schablonengraffiti zunächst in Bristol und London (siehe Bild) und später auch in der ganzen Welt bekannt wird. Obgleich Banksy dem Kunstbetrieb nach eigener Aussage fernsteht, gibt es seit dem Jahre 2000 immer wieder Ausstellungen seiner Werke – u.a. die „Barely Legal“ 2006 in Los Angeles und die „Banksy vs. Bristol Museum“ 2009, zu der in weniger als sechs Wochen mehr als 300.000 Besucher kamen.

Auch auf deutschem Boden hat sich die Street Art mittlerweile zur anerkannten Kunstrichtung entwickelt. So werben Städte wie etwa Schwerin und Leipzig nicht nur mit „ihrer“ Streetart, um Touristen anzuziehen, sondern es werden auch regelmäßig Streetart-Festivals organisiert, die die Stars der Szene versammeln. So findet in diesem Jahr am 01. und 02. August bereits das fünfte Internationale StreetArt Festival in Wilhelmshaven statt.

1 https://www.welt.de/print/wams/muenchen/article106298775/Zwischen-Kunst-und-Vandalismus.html


Fotografische Stilrichtungen im Vergleich

Kunst oder Massenmedium? Fotografieren kann jeder – doch nicht jeder wird zum Künstler, indem er den Auslöser betätigt. Die Frage nach dem Kunstcharakter der Fotografie stellt sich seit der Stunde ihrer Geburt im Jahre 1839, als der französische Maler Louis Jacques Mandé Daguerre das Verfahren der "Daguerreotypie" vorstellt. Seither ist die Fotografie ein allgegenwärtiges Medium, das nicht nur unseren Alltag prägt, sondern auch unser Verhältnis zur Wirklichkeit verändert hat. Als erstes Museum überhaupt verfügt das 'Museum of Modern Art' in New York bereits seit seiner Eröffnung im Jahre 1929 über eine Ausstellungsabteilung für Fotografie. In den meisten europäischen Museen beginnt der Aufbau der entsprechenden Ausstellungsbereiche erst in den 1960er und 70er Jahren.

Die vollständige (akademische) Anerkennung der Fotografie als Form künstlerischen Ausdrucks erfolgt erst gute hundert Jahre nach ihrer Erfindung im Zuge der europäischen Avantgarde, welche programmatisch die Grenzen des traditionellen Kunstbegriffes sprengt. Analog zu den technischen Neuerungen entwickeln sich im Laufe der Zeit verschiedene fotografische Stilrichtungen, die die Einzigartigkeit des Mediums, die Aufnahme des Moments, auf jeweils unterschiedliche Arten nutzen.

„How charming it would be if it were possible to cause these natural images to imprint themselves durable and remain fixed upon the paper! And why should it not be possible?” (Henry Fox Talbot, Erfinder des Negativ-Positiv-Verfahrens)1

Ästhetizismus und künstlerischer Anspruch: Kunstfotografie

Nesster - "Dawn and Sunset" by H.P. Robinson, 1885 – flickr.com

Da die Fotografie von der ersten Stunde an mit der Debatte um Originalität, Werkcharakter und die künstlerische Autorenschaft konfrontiert ist, sind insbesondere die frühen Künstler darum bemüht, ihrer Arbeit Geltungsgleichheit mit der Bildenden Kunst zu verschaffen. Die (sich aus diesem Anspruch entwickelnde) sog. "Kunstfotografie" erreicht ihren Höhepunkt zwischen 1850 und 1870 in England, wo sie sich vornehmlich aus den Motiven speist, die auch die Malerei bearbeitet: Hier werden historische, mythologische und literarische Stoffe als Szenen im Atelier arrangiert und mittels Kulisse, Kostüm und Requisite nachgebildet.

Mit fortschreitender technischer Entwicklung ist es den Künstler auch möglich, ihre Arbeiten im Stil der Portraitmalerei zu retuschieren, indem sie sie kolorieren oder mittels Montagetechnik verfremden. Bekannt für ihre kunstfotografischen Werke sind u.a. der Brite Henry Peach Robinson (siehe Bild: „Dawn and Sunset“) und die US-amerikanische Fotografin Gertrude Käsebier.

In den Spuren der großen Maler: Pictoralismus

Pierre Tourigny - Evelyn Nesbit by Gertrude Käsebier, 1900 – flickr.com

In Folge des Anspruchs, ihrer Arbeit den gleichen gesellschaftlichen Stellenwert zu verschaffen wie ihn die Bildende Kunst innehat, entwickelt sich aus der Kunstfotografie um 1900 der "Pictoralismus", der sich in erster Linie einem künstlerischen Ästhetizismus verpflichtet sieht. Die Pictoralisten, die nicht im Atelier, sondern im Freien arbeiten, gestalten ihre Aufnahmen nach dem Vorbild der Landschaftsmalerei und insbesondere des "Lichtspiels" der impressionistischen Malweise. Zum ästhetischen Anspruch des Pictoralismus gehört auch seine bewusste Abgrenzung von der Fotografie als "Massenmedium", wie es sich seit 1888 durch die Erfindung der "Kodak-Box" entwickelt.

Im Gegensatz zum sog. "Schnappschuss" betonen die Pictoralisten die individuelle Note durch Nachbearbeitung der Aufnahmen, wodurch unscharfe Konturen entstehen, die die Details "verwischen". Zu den bekanntesten Vertretern des Pictoralismus zählen neben der Kunstfotografin Gertrude Käsebier (siehe Bild: Evelyn Nesbit von Gertrude Käsebier) auch der US-Amerikaner Edward Streichen und der ebenfalls US-amerikanische Avantgarde-Künstler Alfred Stieglitz, welcher schließlich die Wende zur sog. "Straigth Photography" bringt.

Emanzipationsbewegung und Realitätsanspruch: Straight Photography

Die vollständige Emanzipation der Fotografie von der Malerei gelingt erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Medium immer mehr für sozialkritische Zwecke eingesetzt wird. So erscheinen bereits 1917 in einer Ausgabe von Alfred Stieglitz Zeitschrift "Camera Works" Aufnahmen des amerikanischen Fotografen Paul Strand, welcher sich insbesondere den Themen Kinderarbeit, Migration und Armut widmet. Aufgrund ihres politisch-sozialen Engagements sind Strands Aufnahmen nicht nachbearbeitet und polarisieren in erster Linie durch ihren eher dokumentarischen Charakter und formal strengen Aufbau.

Die Vertreter der Straight Photography, die häufig im Zusammenhang mit der 'Neuen Sachlichkeit' und dem 'Bauhaus' genannt wird, lehnen jede Manipulation oder Inszenierung ab und fordern neben Detailtreue und strenger Komposition vor allem Bildschärfe und klare Ausleuchtung. Im Jahre 1932 gründet sich mit der Gruppe "f/64" (benannt nach der kleinsten damals verfügbaren Objektivblende für Tiefenschärfe) eine Vereinigung von Künstlerinnen und Künstlern, die nach der Darstellung des Wesentlichen streben und deren Aufnahmen sich – im Gegensatz zum Pictoralismus – nicht aus Emotionen und Impressionen speisen. Bekannte Vertreter der Straight Photography sind neben Paul Strand auch der Amerikaner Edward Weston und der deutsche Fotograf Albert Renger-Patzsch.

Wirklichkeitsabbild und politisches Engagement: Dokumentarfotografie

Aus den Gestaltungsmitteln der Straight Photography entwickelt sich die sog. "Dokumentarfotografie", die ihre Blütezeit zwischen 1920 und 1950 hat und sich der Abbildung der zeitgenössischen Wirklichkeit verschrieben hat. Die Dokumentarfotografie versteht die fotografische Aufnahme als ein authentisches Zeitdokument und strebt danach, die vorfindliche Welt ohne Manipulation oder Inszenierung abzubilden. Beliebtes Motiv insbesondere der frühen Dokumentarfotografie sind daher Straßenszenen, die den Zeitgeist in Metropolen wie Paris, Berlin oder London festhalten. Das sozialkritische Moment der Dokumentarfotografie zeigt sich u.a. in den Arbeiten des dänischen Fotografen Jacob August Riis, welcher die Armut und tagtägliche Brutalität in den Slums von New York City fotodokumentarisch abbildet.

Das politische Engagement der Dokumentarfotografie zeigt sich auch durch ihren Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten während des Zweiten Weltkriegs: Die Aufnahmen der amerikanischen Fotografin Margret Bourke-White aus dem Konzentrationslager in Buchenwald gehen um die Welt. Gegenläufig zur politisch engagierten Dokumentarfotografie entwickelt sich während der 1920er Jahre auch der Zweig der Pressefotografie, die sich auf ungewöhnliche, Aufsehen erregende Bilder spezialisiert: Der Pressefotograf wird zum "Sensationssucher", der mit den Mitteln der Straight Photography (direkte Beleuchtung, Detailgenauigkeit, Frontalaufnahmen) insbesondere Gewaltverbrechen und Brandkatastrophen – und damit die Schattenseiten der florierenden Metropolen – fotografisch festhält.

Kreativität und Exklusivität: Werbefotografie

Als jüngste Stilrichtung der Fotografie hat sich in den 1950er Jahren das Fotografieren für werbende Zwecke entwickelt: Die Werbefotografen arbeiten mit Methoden der Bauhaus-Schule und setzen mittels extremer Perspektiven, harter Schatten und bewusst eingesetzter Schärfe oder Unschärfe entsprechende Produkte in Szene. Anders als jene Stilrichtungen, die von kunstästhetischem Anspruch getragen sind, ist die Werbefotografie Teil des kapitalistischen Wettbewerbs und somit stets darauf ausgerichtet, Aufsehen zu erregen und Meinungen zu bilden. Aus diesem Grund ist hier ein besonders hohes Maß an Ideenreichtum, perfekter technischer Umsetzung und Individualität gefragt.

Lange Belichtungszeiten und unbewegte Objekte: Landschafts- und Portraitfotografie

Da der künstlerischen Freiheit in den Anfängen der Fotografie kreative Grenzen durch die extrem langen Belichtungszeiten von bis zu acht Stunden gesetzt sind, entwickelt sich mit der Landschaftsaufnahme zunächst eine Stilrichtung, bei der unbewegte Objekte abgebildet werden. Diese frühe Stilrichtung ist weniger von ästhetischem, als vielmehr von dokumentarischem Interesse geleitet. So werden die Amerikaner Timothy O'Sullivan und William Henry Jackson durch ihre Aufnahmen der westlichen Territorien bekannt, die im Zuge von Expeditionen und Vermessungsarbeiten in den 1870er entstehen. Die Portraitaufnahme hingegen ist von Anfang an vor allem Ausdrucksform eines neuen bürgerlichen Bewusstseins und gleichsam die "Urgattung" der Daguerreotypie: Die Abgebildeten nehmen die extremen Belichtungszeiten in Kauf, um sich fotografisch in Szene setzen zu lassen – ein Luxus, den sich zuvor nur die Adligen leisten konnten, indem sie ein (gemaltes) Portait in Auftrag gaben.

Im 20. Jahrhundert entwickelt sich die ästhetische Landschaftsfotografie, die insbesondere durch Detailgenauigkeit, Schärfe und einen sorgfältigen Bildaufbau geprägt ist: Landschaft wird nicht länger abgebildet, sondern "komponiert". Bekannt für sein ab 1941 entwickeltes "Zonen-System" zur Bestimmung von Belichtungs- und Entwicklungszeiten ist Ansel Adams. Der politisch engagierte amerikanische Fotograf nutzt seine Aufnahmen von amerikanischen Nationalparks Mitte des 20. Jahrhunderts unter anderem, um für den Schutz dieser Gebiete zu kämpfen (siehe Bild: Deep Canyon Stream).

Ähnlich verhält es sich mit der Portraitaufnahme der Neuzeit: Gemäß des soziologisch orientierten Zeitgeists geht es der modernen Portraitaufnahme weniger um ästhetizistischen Anspruch, sondern mehr um den individuellen Ausdruck. So arbeitet der deutsche Fotograf Alfred Sander ab 1910 an einem Bilderzkylus von Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher Schichten. In den 1940er Jahren entwickelt sich das sog. "Environmental portrait", bei welchem persönliche Gegenstände in die Komposition einbezogen werden, die auf die Ideenwelt der fotografierten Personen verweisen. Bekannt sind auch die Arbeiten der Amerikanerin Diane Arbus, die sich für ihre Aufnahmen am Rande der Gesellschaft bewegt und insbesondere kleinwüchsige Menschen, Transvestiten und Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung fotografiert.


Experimentelle Stilrichtung der Fotografie: "Das neue Sehen"

Zwischen Vogelsicht, Close-up und unwirklichen Perspektiven: In den 1920er Jahren bricht die europäische Avantgarde-Fotografie endgültig mit den Traditionen der konventionellen Fotografie und sprengt festgefahrene Strukturen sowohl in der Bildkomposition als auch in den Köpfen des Publikums. Das "Neue Sehen" postuliert eine dynamische Fotografie, die als ein Spiegelbild der Zeit den Fortschrittsoptimismus und die Technikeuphorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts abbilden soll. Zeitgleich streben die Künstler auch eine Emanzipation der Kunstfotografie selbst an und fordern, dass diese nicht länger von Meinungen der Kunstkritiker, sondern von ihren eigenen bestimmt werden solle.

Wegbereiter des "Neuen Sehens": Die 'Neue Sachlichkeit'

Der Wandel in der fotografischen Kunst, der letzten Endes in die experimentelle Stilrichtung des Neuen Sehens mündet, setzt bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein: Die Künstlerinnen und Künstler arbeiten nicht länger im Stile des sogenannten "Piktorismus" nach dem Vorbild der Malerei, nach dem auch fotografierte Bilder symbolischen Gehalt besitzen sollten. Stattdessen kommt mit der sich rasch entwickelnden Technik und dem Gedankengut der 'Neuen Sachlichkeit' zunehmend die Vorstellung von einer direkten Fotografie, der sogenannten "Straight Photography", auf. Diese setzt auf eine exakte Ausleuchtung, Schärfe, realistische Perspektiven und nicht manipulierte Positive.

Anfang der 20er Jahre jedoch erscheinen den Künstlerinnen und Künstlern diese sehr nüchternen Darstellungen der Wirklichkeit bereits als substanzlos und fad. In den, in der Regel links orientierten, avantgardistischen Lagern wächst das Verlangen, die gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse, die zu dieser Zeit noch bejubelt und forciert werden, ästhetisch dynamisch abbilden zu können. Das "Neue Sehen" ist Resulat dieser Bestrebungen.

Abbild der Städtischen Kultur: Das "Neue Sehen"

Das "Neue Sehen", das sich in großer Nähe zum Konstruktivismus und zur Schule des "Bauhaus" entwickelt, löst die tradierten Normen von Komposition, Bildsprache und Beleuchtung bzw. Belichtung weitestgehend auf und experimentiert mit neuen Perspektiven, ungewohnten und zum Teil bewusst unausgewogenen Kompositionen und konventionell als unästhetisch empfundenen Belichtungsmethoden. Auf diese Weise soll die Fotografie in die Lage versetzt werden, den gesellschaftlichen und technischen Wandel und Fortschritt nicht nur zu dokumentieren, sondern ihn ästhetisch ab- und nachzubilden. Bekannt sind vor allem Künstler wie László Moholy-Nagy, seines Zeichens Lehrender am 'Bauhaus' von 1923 bis 1928, und der russische Konstruktivist Alexander Rodtschenko.

Neben dem Bruch mit den Normen verfolgt das "Neue Sehen" auch einen dezidiert didaktischen Ansatz, indem der Blick des Publikums durch den experimentellen Charakter der Werke gleichsam "entnormt" wird. Erklärtes Ziel ist es, "das menschliche Auge mit Hilfe der mechanischen Optik zu schulen'" und es dadurch aufnahmefähig für neue Abbildungsweisen zu machen. Hierfür eignen sich am besten bereits bekannte Sujets, die durch unbekannte Darstellungsweisen wie etwa doppelte Belichtung oder auch mithilfe sogenannter "Fotogramme" (d.i. die direkte Belichtung eines Films ohne die Kamera als Medium) jedoch verfremdet erscheinen. Bei den "neuen" Perspektiven sind vor allem extreme Auf- oder Untersichten beliebt, da diese das Dargestellte in einem vollkommen neuen Licht erscheinen lassen und den Betrachtenden – im übertragenden Sinne – auch dazu zwingen, die eigene Perspektive zu überdenken.

Darüber hinaus zeichnet sich das "Neue Sehen" durch das programmatische Fehlen von kompositorischen Regelungen aus: Die Künstler setzen auf kreative und spontane Impulse, die das ursprünglich als reproduzierend gedachte Medium der Fotografie immer mehr zu einem produzierenden Medium machen, das durch Experiment und Neuinterpretation eine eigene künstlerische Wirklichkeit erschafft. In diesem Zusammenhang schreibt Alexander Rodtschenko im Jahre 1935, die Fotografie verfüge über alle notwendigen Rechte und Vorzüge, die Kunstform unserer Zeit zu sein.

Kritik des Experiments: Die Schwächen des "Neuen Sehens"

Die Kritik an der experimentellen Stilrichtung kommt letzten Endes genau aus dem Lager, wo das "Neue Sehen" seinen Anfang genommen hatte: aus der 'Neuen Sachlichkeit'. Die Anhänger der "Straight Photography" prangern nicht nur die offensichtliche Unfähigkeit zu einem einheitlichen Stil aufgrund der programmatischen Regelfreiheit der Bewegung an, sondern werfen den jeweiligen Künstlern auch einen gewissen laienhaften Umgang mit dem Medium sowie bisweilen mangelnde technische Ausbildung vor.

Als Reaktion auf die kritischen Stimmen werden am Bauhaus erstmals reine Fotografieklassen eingeführt. Diese haben zwar den von den Kritikern geforderten Wandel hin zur direkten Fotografie zur Folge, nivellieren jedoch auch weitestgehend den kreativen und experimentellen Ansatz der Stilrichtung. Mit dem Aufstieg der totalitären Regimes in Deutschland und der (damaligen) UdSSR während der 1930er Jahre verschwindet der experimentelle Ansatz dann gänzlich aus der ästhetischen Fotografie und man kehrt zurück zu realistischen Arbeiten, die sich nach einem strengen akademischen Regelwerk richten.


Lichtkunst von damals bis heute

Als die Entwicklung der Glühlampe gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Menschen von der Gebundenheit an natürliche Lichtquellen "befreit", versetzt sie ihn zugleich in die Lage, frei über das Licht zu verfügen und es nicht nur für praktische, sondern auch für ästhetische Zwecke einzusetzen. Aus dieser Position heraus entwickelt sich im 20. Jahrhundert die sogenannte "Lichtkunst", zunächst als Teil der Skulptur oder der Installation, zur eigenständigen künstlerischen Gattung. In der Regel sind entsprechende Installationen auf eine Abwesenheit von Tageslicht und anderen (nicht in das künstlerische Projekt einbezogenen) Lichtquellen angewiesen.

Entscheidendes Charakteristikum der Lichtkunst ist ihre Selbstreferenzialität, d.h. es handelt sich nur dort um 'Lichtkunst' im engeren Sinne, wo das künstliche Licht weder für pragmatische, noch kommerzielle, sondern für rein ästhetische Zwecke genutzt wird. Aus diesem Grund fallen Beleuchtungsanlagen (z.B. für Kunstobjekte im Freien), Lichtinstallationen mit Zeichencharakter (z.B. Verkehrsampel) und kommerzielle Leuchtreklamen nicht in die Kategorie der Lichtkunst.

Frühe Lichtkunst: Die Feier des technischen Fortschritts

Im frühen 20. Jahrhundert sind die ersten Aktionen und Installationen, bei denen elektrisches Licht künstlerisch eingesetzt wird, noch ganz vom Fortschrittsoptimismus der Aufklärung und der Wohlstandswelle der Industriellen Revolution getragen. Zeitgleich mit der ästhetischen Emanzipation der Lichtkunst entwickelt sich auch die Fotografie zur eigenständigen Kunstrichtung und trägt enorm zur Wahrnehmung des Lichts als (nutzbares und bearbeitbares) Medium bei. In den 1920er Jahren entwickelt der Ungar Lázló Moholy-Nagy, welcher zu dieser Zeit am 'Bauhaus' tätig ist, den sogenannten "Licht-Raum-Modulator", mit dem er die Fotografie als erste Kunst zelebriert, die "aus der Maschine" komme.

Moholy-Nagys Objekt erzeugt mithilfe von verschiedenfarbigen Glühlampen in einer kubischen Öffnung und einem sich unablässig bewegenden Mechanismus lineare Farb- und Schattenprojektionen. Einen dunklen Schatten wirft die Instrumentalisierung des künstlichen Lichts durch den Nationalsozialismus auf die Geschichte der Lichtkunst: Die historisch gewachsene kultische Dimension und empathische Wirkung des Mediums nutzend, setzt Albert Speer, seines Zeichens Reichsminister für Bewaffnung und Munition ab 1942, die Propaganda-Aufmärsche der NS-Führungsriege mit riesigen Flakscheinwerfern in Szene.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts steht wieder ganz im Zeichen einer technikeuphorischen und zukunftsorientierten Lichtkunst: In den späten 40er Jahren wird Moholy-Nagys Idee einer radikalen Konkretisierung von Licht wieder aufgegriffen und entwickelt sich mit dem Pariser Künstler Nicolas Schöffer zu einer Utopie der vollständigen urbanen Ästhetisierung. Schöffer will mithilfe von raum-dynamischen Lichtarchitekturen eine Stadt schaffen, die auf die verschiedenen Witterungseinflüsse mit Licht und Bewegung reagiert.

Die Puristen der 60er Jahre: Das Spiel mit dem 'reinen' Licht

Anders als den frühen Lichtkünstlern geht es den Künstlern der 60er und 70er Jahre nicht nur darum, die technischen Möglichkeiten der künstlichen Lichtquelle in Szene zu setzen, sondern um das Spiel mit dem Medium selbst. Vor allem im amerikanischen Raum findet in dieser Zeit eine Konzentration auf das 'reine' Licht und die Möglichkeiten seiner Inszenierung im Raum statt. Bekanntes Beispiel dieser neuen Form ist die "Diagonale vom 25. Mai" von Dan Flavin aus dem Jahre 1963, bei der das Licht aus einer gelben, industriell genormten Leuchtstoffröhre nach außen in den Raum dringt. In der Nachfolge Flavins entstehen ganze "Lichtkorridore", die experimentell mit der Verteilung des Lichts im Raum arbeiten.

Fotograf: Nicholas Boos, Titel: Nauman (Quelle: flickr.com)

Ein weiteres Kennzeichen der puristischen Lichtkunst der 60er und 70er Jahre ist ihre explizite Selbstreferenzialität: Gearbeitet wird ausschließlich mit den physikalisch-optischen Eigenschaften des Mediums und seiner Wirkung auf das Publikum.

"Nicht irgendein Licht, nicht das, was man so kennt, strahlend, glimmend oder funkelnd. Wenn das Licht zu Kunst wird, dann will es sich kräuseln, dann züngelt es, wabert, rieselt, formt feinste Gespinste."

Neben der relativ abstrakten Lichtkunst setzt in den späten 70er Jahren auch die ästhetische Nutzbarmachung der (um 1912 entwickelten) Leuchtreklame ein: Anstatt für werbende und kommerzielle Zwecken werden die dünnen und formbaren Leuchtröhren nun von Künstlern wie François Morellet, Keith Sonnier, Mario Merz und Bruce Nauman (siehe Bild) verwendet, um leuchtende Schriftzüge oder auch ganze Bilder als Licht zu formen. Während dieser Zeit werden jedoch zunehmend auch kritische Stimmen laut, die vor der verführerischen Faszinationskraft der – an die Leuchtreklamen angelehnten – Installationen warnen. Stärker als zu Beginn der Lichtkunst rückt nun der ästhetische Diskurs in den Vordergrund: Das künstlerische Konzept muss stets den dekorativen Wert dominieren.

Moderne Lichtkunst: Politisches Engagement und soziale Wirklichkeit

Fotograf: Jef Nickerson, Titel: Jenny Holzner (Quelle: flickr.com)

Während die frühe Lichtkunst den Fortschrittsoptimismus verkörpert und die puristische Lichtkunst der 60er und 70er Jahre den Wert des 'reinen' Lichts in Szene setzt, definiert sich die moderne Lichtkunst etwa ab den 1980er Jahren über ihren gesellschaftskritischen Impetus. Frühes Beispiel ist hier das Leuchtschriftenwerk der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer, deren projizierte Leuchtschriften das Publikum mitten am New Yorker Times Square mit Gemeinplätzen und Binsenwahrheiten konfrontieren, die einen Einbruch der Kunst in die soziale Wirklichkeit darstellen (siehe Bild). Ebenfalls typisch für die moderne Lichkunst ist ihr Einsatz im Dienste des kulturellen Gedächtnisses: Der französische Künstler Christian Boltanski verwendet Lichtinstallationen wie leuchtende Hampelmänner und Projektionen von Drahtfiguren in Kombination mit Kindheitserinnerungen in Vitrinen, um den traumatisierenden Einbruch des Holocaust in die kindliche Lebenswelt zu symbolisieren.

In der modernen Lichtkunst wird das Medium in erster Linie als Bedeutungsträger zur visuellen Kommunikation genutzt, verweist in dieser Eigenschaft jedoch auch auf die wesensimmanente Doppelbödigkeit von Botschaften, die immer ideologisch geprägt sind und niemals unreflektiert betrachtet werden dürfen.


Stilrichtungen der Konzeptkunst: Prozesskunst, Objektkunst und Happening

Die 60er Jahre brechen künstlerisch mit allen Tabus. Im Zuge der avantgardistischen Bewegungen wird nicht nur die Trennung von Künstler und Kunstwerk zeitweise aufgehoben, sondern auch die Wertehierarchie im künstlerischen Schaffensprozess hinterfragt. Als Weiterentwicklung der Tendenzen aus der abstrakten Malerei und progressiven Strömungen wie Kubismus und Dadaismus, gesteht die sogenannte "Konzeptkunst" der Planung und Idee zu einem Werk den gleichen Stellenwert zu wie dem fertigen Objekt. Aus diesem "Spiel" mit Konventionen, Begrifflichkeiten und Traditionen entstehen die Stilrichtungen der Prozess- und Objektkunst, sowie das Happening.

Im Jahre 1966 fand mit der Ausstellung „Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to Be Viewed as Art“ in New York die erste Ausstellung statt, bei der nicht fertige Kunstobjekte, sondern Kunst-Konzeptionen vorgeführt werden: Skizzen, Anleitungen, Schriftstücke und bisweilen ganze "Künstlerbücher", die in Vorbereitung auf einen künstlerischen Schaffensprozess entstanden sind. Drei Jahre später findet im Leverkusener Museum 'Morsbroich' die erste Konzeptkunst-Ausstellung auf deutschem Boden statt.

Die Prozesskunst – Der Weg ist das Ziel

Am deutlichsten spiegelt sich der Gedanke von der Gleichwertigkeit aller Arbeitsschritte von der Idee bis hin zum fertigen Kunstobjekt in der sogenannten "Prozesskunst": Hier wird nicht nur der Prozess der Gestaltung festgehalten, sondern Zeit und Raum sollen sowohl für den Künstler selbst als auch für das Publikum als autarke Größen erfahrbar werden. Zugleich sollen die Hintergründe der Entstehung die Wahrnehmung des fertigen Objektes beeinflussen, indem der Prozess der Gestaltung in die Präsentation mit einbezogen wird. Um den Prozess "erfahrbar" zu machen, werden bevorzugt Videoaufnahmen bzw. Fotostrecken verwendet, die dem prozesshaften Charakter der Gestaltung nachempfunden sind.

Durch die Dokumentation des Gestaltungsvorgangs in Ausschnitten oder als Gesamtprozess wird außerdem deutlich, welchen Alltagseinflüssen das fertige Objekt während seiner Entstehung ausgesetzt war (z.B. Unterschiedliche Bedingungen an unterschiedlichen Standorten, Erosion, "helfende Hände" etc.) und der Betrachter kann sich ein Bild davon machen, welche Entwicklungen dadurch eventuell angestoßen wurden bzw. inwiefern das Objekt hiervon beeinflusst wurde. Bekannte deutsche Vertreter der Prozesskunst sind u.a. Eva Hesse, die 1972 noch postum auf der fünften 'documenta' in Kassel vertreten war (siehe Bild), Ulrich Rückriem und Jochen Gerz. Bekannte internationale Prozesskünstler sind Bruce Nauman, Richard Serra und Robert Morris, dessen sogenannte "Bleibilder" im 'Museum of Modern Art' in New York ausgestellt sind.

Fotograf: richard winchell, Titel: Eva Hesse, flickr.com

Die Objektkunst – Vom Alltag zur Kunst

Die Ursprünge der Objektkunst liegen in einer Frage, die am Beginn fast jeder avantgardistischen Bewegung steht: Was macht Kunst zur Kunst? Während im Kubismus bereits die traditionellen Formen verschwimmen, die in der Abstrakten Malerei dann gänzlich aufgelöst werden, stellen sowohl der späte Dadaismus, als auch der Surrealismus explizit die Frage nach einer Kunst, die abgelöst vom Künstler existiert. Der französisch-amerikanische Künstler Marcel Duchamp schließlich polarisiert mit seinen sogenannten "Ready-mades“ (franz. Objet trouvé), bei denen es sich um beliebige Alltagsgegenstände (wie beispielsweise ein Pissoir) handelt, die er unverändert als „Kunst“ präsentiert. In der – sich daraus entwickelnden – Objektkunst werden ebenfalls Nutzgegenstände oder auch natürliche Fundstücke unverändert oder verfremdet als Kunstwerke deklariert und einzeln (oder zur „Assemblage“ kombiniert) ausgestellt. Ein berühmtes Beispiel ist hier der Stierschädel“ Picassos von 1942.

Während der 1960er Jahre erreicht die Objektkunst ihre monumentalsten Ausgestaltungen, indem Künstler ganze Räume und Gebäude, zum Teil in Anlehnung an die „Merz-Bauten“ von Kurt Schwitters, gestalten. Bekannte Beispiele für diese „Environments“ sind neben den verhüllten Bauten Christos und den Rauminstallationen von Joseph Beuys auch die Arbeiten des Schweizer Malers und Bildhauers Jean Tinguely (siehe Bild: Chaos), der vor allem für seine funktionalen Maschinenplastiken aus Metall berühmt ist. Ab 1979 ist Tinguely außerdem an den Arbeiten für den „Giardino dei Tarocchi“ (den sogenannten „Tarotgarten“) seiner Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle beteiligt, in dem eine Vielzahl begehbarer „Environments“ im Stile der überlebensgroßen bunten „Nanas“ entstehen.

Das Happening – Aktionskunst als Provokation

Das Happening (vom engl. to happen = 'geschehen') ist neben der Fluxus-Bewegung die wichtigste Ausdrucksform der sogenannten "Aktionskunst", welche in den 1960er Jahren gegen einen als zu eng empfundenen Kunstbegriff revoltiert und sich explizit als Manifestation politischer Meinungsbildung versteht. Indem traditionelle Grenzen bewusst überschritten werden, soll die künstlerische Gestaltung als Teil der Lebenswirklichkeit anerkannt werden und in die soziale Wirklichkeit eingreifen. Die konzeptionelle Grenzüberschreitung schlägt sich u.a. in der Suche nach neuen medialen und performativen Ausdrucksformen und in der expliziten Aufhebung der Grenze zwischen Künstler und dem Publikum dar. Die geläufigste Form des Happenings ist daher ein improvisiertes Ereignis, in welches das Publikum direkt mit einbezogen wird. Da sich die Kunstform als fließender, nicht fixierbarer Übergang zwischen Kunst und Leben versteht, sind auch Anfangs- und Endpunkt des Ereignisses in keiner Weise markiert.

Die Interaktion mit dem Publikum ist auf eine Schockwirkung ausgerichtet, weshalb die Darstellenden u.a. Gegenstände in den Zuschauerraum werfen, mit Blut- oder Farbbeuteln werfen oder das Bühnenbild zerstören. Der Geschehensablauf richtet sich nach dem Zufallsprinzip und folgt den Reaktionen des Publikums. Eine besondere Form des Happenings ist die sogenannte "Körperkunst" (Body-Art), zu der auch der geplante Exhibitionismus gehört, der in "Performances" in Szene gesetzt wird. Hier kann der Künstler sich entweder selbst zum Bild machen oder auch andere Körper im Bühnenraum "arrangieren". 


Holz und Kunst: Wissenswertes zu Holzmalerei, Holzschnitt und Holzstich

Seit Menschen Kultur schaffen, gibt es auch Kunstwerke aus Holz. Aufgrund der (diachron betrachtet) relativ kurzen Halbwertszeit des natürlichen Werkstoffes sind heute zwar so gut wie keine historischen Objekte mehr erhalten, doch laut Forschung sind überdimensionale Holzskulpturen beispielweise in Nigeria bereits um 500 v. Chr. entstanden. Während Holz lange Zeit als bevorzugtes Material der sogenannten "Volkskünste" galt, erlebt der Werkstoff seit einigen Jahren auch ein Comeback in der Hochkunst. Anders als bei Stein, Ton oder Leinwand handelt es sich bei Holz jedoch nicht nur um einen natürlichen, sondern um einen lebendigen Stoff, der dementsprechend besondere Anforderungen an seine Verarbeitung stellt.

Der lebendige Bildträger: Holzmalerei

Holz ist bis weit ins 17. Jahrhundert hinein nicht nur der bevorzugte, sondern lange auch der einzig erschwingliche Bildträger. Lange Zeit wird es auch als Untergrund in der Ölmalerei verwendet, bis sich nach und nach die Leinwand als Malgrund durchsetzt, die sich aufgrund ihres geringeren Eigengewichts insbesondere bei großformatigen Bildern besser eignet als Holz. Wer Holz als Malgrund verwenden möchte, sollte vor allem darauf achten, dass es verzugsfrei ist. Aus diesem Grund sollten nur solche Hölzer verwendet werden, die auch bei dickem Farbauftrag (= hoher Feuchtigkeitsgehalt) stabil bleiben. Sehr gut geeignet sind mitteldichte Holzfaserplatten, Spanplatten und Stabsperrholz, die vor dem Farbauftrag jedoch grundiert werden müssen, damit sie nicht "quellen". Bei den ältesten noch erhaltenen Bildträgern aus Holz handelt es sich um griechisch-ägyptische Tafelbilder aus der Zeit um 200 v. Chr. Auch in der italienischen Malerei finden sich häufig Arbeiten aus Holz, so u.a. bei Giotto di Bondone im 13. Jahrhundert.

"Holzmalerei" meint jedoch nicht nur das Malen auf Holz, sondern auch das Bemalen von Holz im Sinne ästhetischer Verzierung. In der Regel handelt es sich um kleinere Gegenstände wie Kästchen, Truhen, Rahmen oder Teller, die mit Intarsien, floralen Mustern oder kleinen Landschaftsszenen verschönert werden. Hierzu sollte der Malgrund sorgfältig mit Glaspapier abgeschliffen und anschließend mit einer Lösung aus Gelantine und Wasser behandelt werden. Für die Holzmalerei eignen sich am besten Aquarellfarben oder, bei dunkleren Hölzern wie Mahagoni oder Kirsche, sogenannte "Gouache-Farben", welche zähflüssiger und dadurch besser deckend sind. Um die Holzmalerei dauerhaft haltbar zu machen, werden die Gegenstände anschließend mit Holzlack oder einem Auarellfirnis behandelt.

Das Werk von Marisa Rosato der modernen Zeit („Woanders ist es auch schön!“) zeigt eine Mischtechnik auf Holz und besitzt auch insgesamt einen sehr holzartigen Charakter. Auch das Bild „Orange Purcells Wallsculpture“ von Frank Böhmer wurde mit einer Mischtechnik auf Holz aufgetragen, was jedoch in dem Fall nicht auf dem ersten Blick ersichtlich ist.

Die dritte und jüngste Art der Holzmalerei ist das sogenannte „Maserieren“, bei dem durch einen geschickten Anstrich die unterschiedlichsten Holzarten extrem wirklichkeitsnahe imitiert werden. Ihren Höhepunkt erlebt die Maserierung im 19. Jahrhundert, als Möbel, Türen und Dekorationsgegenstände aus kostengünstigem Weichholz hergestellt und von professionellen Dekorationsmalern mittels Öl- oder Wasserlasur auf einem Untergrund aus Leinölfarbe in edles Hartholz wie Esche, Eiche oder Ahorn „verwandelt“ werden.

Lebendiger Druckstock: Der Holzschnitt

Aufgrund der weichen und leicht zu bearbeitenden Beschaffenheit des Materials, wird Holz schon früh zur Herstellung von "Druckstöcken" verwendet, für die aus einem glatten Holzblock mittels Schneidemessern nach vorgefertigtem Muster reliefartig Teile herausgeschnitten werden. Die erhabenen Stellen werden anschließend eingefärbt und mit großem Druck auf den jeweiligen Bedruckstoff (in der Regel Textil oder Papier) aufgebracht. Der Holzschnitt zählt zu den Hochdruck-Verfahren und unterscheidet sich erheblich von Tief-, Flach- und Siebdruck. Die Wiege des Holzschnitts liegt in China, wo um 100 n. Chr. das Papier erfunden wird und sich mit der sogenannten "Steinabreibung" die erste druckgraphische Technik überhaupt entwickelt.

Hierzu wird ein entsprechend gravierter Stein mit nassem Papier überzogen, auf das (sobald es getrocknet ist) Tusche aufgetragen wird, wobei die tiefliegenden Flächen weiß bleiben. Parallel zur Steinabreibung entwickeln sich auch die ersten Modelle aus Holz. Der älteste erhaltene Holzschnitt wurde in einem koreanischen Tempel entdeckt und auf das Jahr 751 datiert. Die früheste grafische Technik in Mitteleuropa entsteht aus der Notwendigkeit heraus, die wachsende Nachfrage nach sogenannten "Andachtsbildern" zu befriedigen, die in den Klöstern traditionell von Hand gezeichnet wurden. Mithilfe des "Einblattholzschnitts" gelingt es um 1400, das Gebrauchsgut für den spirituellen Ritus ohne großen Zeitaufwand zu vervielfältigen.

Bereits wenige Jahrzehnte später findet der Holzschnitt bereits Verwendung im künstlerischen Bereich, wenn u.a. Tizian und Michelangelo ihn nutzen, um ihre Werke zu vervielfältigen. Auch Albrecht Dürer erkennt die Druckgrafik schon früh als eigenständige künstlerische Ausdrucksform an (siehe Bild: Selbstbildnis von Albrecht Dürer) und publiziert sogar ganze „Holzschnitt-Folgen“ wie etwa die „Apokalypse“ aus dem Jahre 1498. Die „Apokalyptischen Reiter“ aus dieser Serie können Sie auch bei uns in der Galerie entdecken. Mit der bevorzugt höfischen Kunst des Barock und dem Genie-Kult des 19. Jahrhunderts verliert der Holzdruck immer mehr an Bedeutung, bis er im frühen 20. Jahrhundert durch die Expressionisten wiederentdeckt wird.

Weiterentwicklung des Holzschnitts: Der Holzstich

Da das Druckbild des Holzschnitts mittels Schneidemessern gefertigt wird, sind die entstehenden Grafiken relativ grob und lassen kaum unterschiedliche Hell-Dunkel-Werte erkennen. Aus diesem Grund entwickelt der Brite Thomas Bewick Mitte des 18. Jahrhunderts eine "feineren" Holzschnitt, der aufgrund seiner Herstellung den Namen "Holzstich" erhält: Verwendet wird ausschließlich sehr hartes Holz wie etwa Buchsbaum, welches quer zur Maserung (in der Regel als Hirn- oder Kernholz) geschnitten und in das mit Sticheln sehr feine Linien gestochen werden. Durch diesen aufwändigen Prozess können für jede Stelle der späteren Grafik beliebige Tonabstufungen und insgesamt eine beinahe fotorealistische Wirkung erzielt werden.

Aufgrund der hohen Widerstandsfähigkeit des Buchsbaumholzes kann eine Druckplatte für bis zu 100.000 Grafiken verwendet werden, weshalb der Holzstich im 19. Jahrhundert zur beliebtesten Vervielfältigungsmethode wird und den Kupferstich weitestgehend verdrängt. Dieser wiederum hatte zuvor den Holzschnitt als beliebtestes druckgrafisches Mittel verdrängt.


Genremalerei: Welche Rolle spielt der Alltag in der Kunst?

Trunkene Bauern und kreischende Mägde: Die "Genremalerei", die zwischen den ästhetischen Formen der Landschaftsmalerei und des Portraits changiert, wird häufig als eine Art gemalte Alltagsszene betrachtet, da sie auf karikierende Weise die Lebensformen der niederen sozialen Stände darstellt. Ihre Blütezeit hat die Genremalerei im 17. Jahrhundert in den Niederlanden – doch die entsprechenden Figurendarstellungen mit belehrendem Charakter finden sich schon deutlich früher auch an anderer Stelle in der Kunstgeschichte.

Der Brockhaus von 2006 definiert die Genremalerei in seiner 21. Auflage als "Darstellungsbereich, der Handlungen und Begebenheiten des alltäglichen Lebens zum Inhalt hat". Dass die von rüpelhaften Bauernfiguren und betrügerischen Dirnen bevölkerten Gemälde jedoch nicht nur Momentaufnahmen des Alltags sind, sondern durchaus ikonografischen Charakter besitzen, hat man erst in den 1970er Jahren erkannt. Durch den ikonografischen Stil entsteht innerhalb einer beliebigen alltäglichen Szene gleichsam eine zweite Bedeutungsebene, die häufig eine moralisch-erzieherische Aussage enthält: Durch das Dargestellte sollen negative Verhaltensweisen angeprangert und die Betrachter dazu aufgefordert werden, das eigene Verhalten zu überdenken.

Dieser "zweiten Seite" hat die Stilrichtung den Beinamen "Sittenbild" oder "Sittenmalerei" zu verdanken. Dem Volk durch Verbildlichungen den Spiegel vorzuhalten, ist jedoch bei weitem keine Idee des 17. Jahrhunderts. Schon Aristoteles hat um 350 v. Chr. die Belehrung des Publikums durch die Kunst gefordert: Gemäß seinen Darstellungen zu Tragödie und Komödie fordert er die Belehrung durch Idealisierung bzw. Karikierung. Die Genremalerei arbeitet beinahe ausschließlich mit karikierenden Elementen.

Die "Sitte" im "Genre": Der erzieherische Anspruch der Genremalerei

Insbesondere im christlichen Kontext ist es schon früh Usus, lächerlich-rüpelhafte Figuren als Verkörperungen von Maßlosigkeit und Zügellosigkeit in überspitzter Manier ärmlich und plump darzustellen, damit sie den größtmöglichen Kontrast zum – von der Kirche erwünschten – bescheidenen und demütigen Verhalten bilden konnten. Auf diese Weise wird der Bauernstand in den Buchillustrationen des Spätmittelalters der höfischen Gesellschaft gegenübergestellt, um Letztere daran zu erinnern, welches Verhalten nicht von ihnen erwartet wird. Ebenfalls im christlichen Kontext entstehen schon früh sogenannte Tafelbilder mit warnenden Darstellungen der Sieben Todsünden (z. B. von Hieronymus Bosch um 1500), die sich später zu Bordell-, Prügel- und Trinkgelageszenen entwickeln, in denen das schlechte Benehmen explizit angeprangert wird.

Bekannte Beispiele sind hier u.a. "Der eingeschlafene Wirt" von Adriaen Brouwer (ca. 1630) und die "Verkehrte Welt" von Jan Steen aus dem Jahre 1663, welche die negativen Folgen eines schlecht geführten Haushaltes anprangert. Auch die für die Genremalerei typischen Darstellung von Familien- und Bauernszenen in ländlicher Umgebung findet sich bereits im 16. Jahrhundert beispielsweise bei Jan Bruegel dem Älteren und Pieter Aertsen. Ihre Blütezeit jedoch erlebt die Genremalerei erst im 17. Jahrhundert in den Niederlanden, wo sie sich erstmals vollständig von genrehaften Szenen in flämischen Monatsbildern und Stundenbüchern emanzipiert und zur eigenständigen Gattung wird.

Die Wiege der Genrebilder: Antwerpen

Der starke erzieherische Impetus vor allem der frühen niederländischen Genremalerei erklärt sich aus der Weltanschauung der nördlichen Niederlande, welche zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert vorwiegend calvinistisch geprägt waren und die Genrebilder dazu verwendeten, dem Volk die entsprechenden Lehren zu vermitteln. Da der Calvinismus von einer grundsätzlichen Verderbtheit des natürlichen Menschen ausgeht und von der Malerei fordert, dass sie belehrend sein müsse, stellen die Genrebilder der Region Antwerpen gleichsam einen permanent erhobenen Zeigefinger der Obrigkeit dar. Doch auch in den südlichen, weniger calvinistisch geprägten Niederlanden, erfreuen sich die belehrenden Darstellungen großer Beliebtheit vor allem bei der bürgerlichen Bevölkerungsschicht: Die Assoziation des schlechten Benehmens mit dem Bauernstand ist zugleich Aufwertung und Legitimation des eigenen Verhaltens.

Das Bürgertum ist im 17. Jahrhundert auch die Schicht, von der die meisten Genre- oder Sittenbilder in Auftrag gegeben werden. Für sozial höhere Stände werden die erzieherisch-moralischen Lehren mittels klassischer oder mythologischer Themen dargestellt, die als ästhetisch wertvoller gelten; diese Unterart der Sittenmalerei wird später unter dem Begriff „Historienmalerei“ bekannt. Von den südlichen Niederlanden, besonders jedoch von Antwerpen aus, greift die Genremalerei nach und nach auch auf andere Gegenden über. Vor allem in Norditalien und Spanien wird die Stilrichtung schnell heimisch, da beide Länder enge wirtschaftliche Verbindungen mit den exportorientierten Antwerpern pflegen.

Das Genre zwischen Portrait- und Landschaftsmalerei

Während die frühen niederländischen Bauern- und Familienszenen einen starken Akzent auf der Darstellung der ländlichen und bäurischen Landschaft erkennen lassen, verschiebt sich die Gestaltung später immer mehr vom Landschaftsbild hin zur Portraitkunst. Insbesondere in den nördlichen Niederlanden, die zur Hochburg des belehrenden Sittenbildes werden, ist die portraitistische Darstellung beliebt, da sie es dem Künstler erlaubt, den lasterhaften Menschen in allen Einzelheiten gleichsam in "Nahaufnahme" darzustellen und zeitgleich zu karikieren. Berühmtes Beispiel für diese Genrevermischung ist die "Malle Babbe" des antwerpener Malers Frans Hals:

"Die grobe, beinah skizzenhafte Pinselführung, der durch Trunkenheit verzerrte Gesichtsausdruck, der Bierkrug, die Eule als Symbol des Diabolischen sind Kennzeichen für einen lasterhaften Menschen, zumal für eine Frau."

Gleichsam eine Sonderform des Genrebildes findet sich bei Jan Vermeer, der zwar – wie für das Genre- und Sittenbild üblich – Einzelfiguren oder Gruppen in alltäglichen Situationen darstellt, diese jedoch weder überzeichnet, noch karikiert. Darüber hinaus sind die Figuren Vermeers eindeutig keine Angehörigen des Bauernmilieus, sondern wirken, wenn auch nicht wohlhabend, so doch gebildet und wohlerzogen. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist das "Mädchen mit dem Perlenohrring" (niederländisch: Het meisje met de parel), das es auch bei uns in der Galerie zu entdecken gibt (siehe Bild). Vermeers Arbeiten gelten – und das ist selten in der Genremalerei – als Belehrung durch Idealisierung: Seine Figuren tragen kein lasterhaftes Verhalten, sondern anzustrebende Tugenden zur Schau.

Quellen:

Brockhaus-Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 10: Fries-Glar, Leipzig und Mannheim 2006, S. 474.


"Eat Art" – weil Essen mehr ist als Nahrungsaufnahme

Kahlo, Kaulbach, Kartoffelbrei: Bei der "Eat Art" wird Essen zu Kunst und die Nahrungsmittel werden ebenso gekonnt in Szene gesetzt wie der berühmte "Stierkopf" Picassos oder die bunten "Nanas" von Niki de Saint Phalle. Die spezielle und bis dahin unbekannte Form der Objektkunst entsteht in den 1960er Jahren im Zuge von neodadaistischen und neofuturistischen Strömungen und tritt in gewisser Weise das Erbe der "Cucina Futurista“ an – einer Vereinigung italienischer Künstler, die öffentliche Festessen zu Kunstwerken erklärten.

Der geistige Vater der „Eat Art“: Daniel Spoerri

Titel: Eat Art - Temptation, Fotograf: Inga Vltola, Quelle: flickr.com

Als berühmtester Vertreter der Ess-Kunst gilt der Schweizer Künstler Daniel Spoerri, welcher auch den Begriff „Eat Art“ prägt. Bekannt wird Spoerri, welcher Mitglied der französischen Künstlergruppe Nouveau Réalisme ist, in den 1960er Jahren vor allem durch seine sogenannten „Fallenbilder“ (franz. Tableaux pièges), für die er beliebige Überreste einer Mahlzeit mittels Leim und Konservierungsstoffen auf der Tischplatte fixierte, um eine dreidimensionale Momentaufnahme zu erschaffen. Es ist der Versuch, ein Stück Alltagswirklichkeit gleichsam „einzufangen“ und damit im doppelten Wortsinn „haltbar“ zu machen (siehe: https://www.spoerri.at/leben-und-werk-daniel-spoerri.htm).

Die Ess-Kunst als solche steht, da sie Alltagsgegenstände zur Kunst erhebt und der Lebenswirklichkeit einen Platz in der künstlerischen Ästhetik einzuräumen sucht, zwar in der Folge von (Spät)kubismus und Dadaismus, geht jedoch ganz neue Wege. Neben der ästhetisch-materialistischen Komponente der Nahrungsmittel geht Spoerri auch der gesellschaftlich-sozialen Bedeutung des Essens und der Esskultur nach und setzt sich intensiv mit dem menschlichen Geschmackssinn auseinander. Folge dieser Überlegungen sind eine Reihe kulinarischer Experimente, in denen Spoerri sowohl mit Geschmacksnerven, als auch mit Konventionen spielt.

Eines dieser Experimente ist das sogenannte „Palindromische Diner“, das unter anderem 2001 zu Ehren der „Fluxus“-Ausstellung in Bremen serviert wurde: Gemäß seinem Namen scheint dieses Menü in umgekehrter Reihenfolge abzulaufen, indem mit dem Kaffee begonnen und mit der Vorsuppe geendet wird. Geschmacklich entpuppt sich die Speisenfolge jedoch als ganz „normal“ im Sinne der Konvention, indem der Kaffee sich als Vorsuppe und die vermeintliche Suppe als Cappuccino herausstellt. Ein anderes kulinarisches Experiment ist Spoerris „Kartoffelbrei-Eis“, das mit (vermeintlichen) Fleischpralinen serviert wird.

Bekenntnisse zur „Eat Art“: Ausstellungen und Museen

Spoerri, der zahlreiche Texte zur Ess-Kunst veröffentlichte und seit 1970 mit dem sogenannten „Gastronoptikum“ auch eine Kulinarik-Kolumne herausgibt, eröffnet bereits in den 1968 das erste Restaurant, in dem Kunst und Kulinarik auf der Tagesordnung und der Menükarte stehen. Bereits zwei Jahre später wird mit der „Eat Art Galerie“ in Düsseldorf der erste Ausstellungsraum eröffnet, in dem alle Kunstgegenstände entweder selbst essbar sein, oder sich mit entsprechenden Themen auseinandersetzen müssen. Ausgestellt werden damals neben Objekten von Spoerri selbst auch Arbeiten von Roy Lichtenstein und Joseph Beuys.

Ein weiterer bekannter Vertreter der „Eat Art“ ist der Schweizer Künstler und Grafiker Dieter Roth (siehe Bild: Schweiz Hutsalat von Dieter Roth), der ebenfalls in den 1960er Jahren damit anfängt, Nahrungsmittel „zweckentfremden“. Anders jedoch als Spoerri, der die Kunst mit dem Essen soziologisch begründet und unter anderem nach den Hintergründen für den Umgang mit Nahrungsmitteln fragt, kommt Roth aus der Happening- und Fluxus-Bewegung und nutzt in erster Linie die materiale Seite der Leckereien: So entstehen unter Roths Händen Objekte aus Schokolade, Wurstscheiben und verschiedenen Gewürzen. Ab 1961 arbeitet er außerdem an den – bis heute umstrittenen – so genannten „Literaturwürsten“, für deren Herstellung er Buchseiten zerkleinert und (vermengt mit Gewürzen und Fett) in Schweinedärme füllte. „Verwurstet“ wurden unter anderem Grass´ „Blechtrommel“ und eine Hegel-Gesamtausgabe.

Die philosophische Seite der „Eat Art“: Die Frage nach dem „Warum?“

Anders als Roth, der mit seinen Ess-Kunst-Objekten in erster Linie provoziert, verfolgt Daniel Spoerri einen eher philosophischen Ansatz, indem er den Umgang mit Essen und den Prozess der Nahrungszubereitung und -aufnahme als Teil des gesamten Lebenszyklus begreift. Dementsprechend betrachtet er auch seine „Fallenbilder“ nur als einen winzigen Ausschnitt zwischen Leben und Tod, Verwesung und Wiedergeburt. Indem Spoerri mit Essen experimentiert und Nahrungsmittel sinnlich wie optisch verändert, schafft er nicht nur ein Bewusstsein für Essgewohnheiten und kulinarische Konventionen, sondern stellt diese zugleich in Frage.

Seit einigen Jahren arbeitet Spoerri auch in größerem Maßstab und setzt seine Ideen in Bronzeskulpturen um. Diese sogenannten Assemblages, die als eine Art plastische Collage gestaltet sind, stellt er – ähnlich wie Niki de Saint Phalle mit ihrem Tarotgarten – in der Toskana aus, wo er seit 1997 den Künstlergarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“ betreibt. Auf dem rund 14 ha großen Gelände finden sich neben seinen eigenen Arbeiten auch Installationen befreundeter Künstlerinnern und Künstler.


Aktkunst mit Stil: Bekannte Aktfotografien

Was hat Rihanna mit Uschi Obermaier und Marilyn Monroe gemeinsam? Richtig: Die Aktfotografie! Was bereits in der Frühgeschichte mit der Darstellung nackter menschlicher Körper zu rituellen Zwecken beginnt, entwickelt sich bei den Griechen zur eigenständigen Kunstform und wird von der akademischen Malerei schließlich mit dem Begriff des „Aktes“ belegt. Mit der Erfindung der Fotografie zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden die Aktmodelle nicht länger gemalt oder in Stein gehauen, sondern fotografisch in Szene gesetzt: Die künstlerische Aktfotografie ist geboren.

Während Marilyn Monroe und Uschi Obermaier sich bereits in den 1960er Jahren spärlich bekleidet vor die Linse wagten, zierte Rihanna im Dezember 2013 das Cover der 25. Jubiläumsausgabe des britischen Männermagazins „GQ“. In Szene gesetzt wurde sie dafür von dem Fotografen Mariano Vivanco und dem bekannten britischen Provokateur Damien Hirst. Gemeinsam verwandelten sie Rihanna in eine moderne Version der griechischen Sagengestalt Medusa.

Der Akt: Zwischen heidnischem Kultus und sakraler Kunst

Man kann nur das darstellen, was man kennt. Nach diesem Credo, das seinen Ursprung in der „Poetik“ des griechischen Philosophen Aristoteles hat, handelten auch die Professoren der großen europäischen Kunstakademien, wenn sie ihre Schüler Stellungen und Bewegungsabläufe anhand nackter Körper studieren ließen. Dementsprechend setzt sich die Bezeichnung „Akt“ aus den lateinischen Wörtern „agere“ („in Bewegung setzen“) und „actus“ („Gestikulation“) zusammen. Der klassische Akt wird als Abbildung der Gebärde bzw. der Haltung verstanden, die das jeweilige Modell beim Übergang von einer Position oder Bewegung in die nächste vollführt.

Obgleich die Bezeichnung erst mit dem Akademismus geprägt wurde, handelt es sich bei der Darstellung nackter menschlicher Körper um eines der ältesten Genres der Kunstgeschichte: Während die Körperdarstellung in der frühgeschichtlichen Kunst einen eher symbolisch-kultischen Charakter hatte, galt sie in der idealisierenden griechischen (und später auch der römischen) Kunstauffassung bereits als eigene Form. Im christlichen Mittelalter wurde die Aktmalerei in den Dienst der Kirche gestellt und nur in solchen Fällen nicht als moralisch verwerflich eingestuft, in denen die dargestellte Nacktheit tatsächlich erforderlich war. Ein berühmtes Beispiel dieser Periode ist das Deckenfresko „Die Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle, das zwischen 1508 und 1512 von Michelangelo Buonarroti geschaffen wurde (siehe Bild).

Titel: Die Erschaffung Adams (Vatikan)
Fotograf: Jörg Lohrer
Bild-Quelle: https://www.flickr.com/

Akademische Aktkunst und künstlerische Moderne

In der Renaissance wurden neben den christlichen Motiven zunehmend auch weltliche Themen mittels Aktmalerei dargestellt, welche – gemäß ihren antiken Vorbildern – häufig mit mythisch-allegorischer Bedeutung aufgeladen waren. In diese Zeit fallen auch die Anfänge des Akademischen Kunststils, der das Zeichnen und Malen von unbekleideten nackten Modellen als Teil der technischen Unterweisung vorsah. In Deutschland wurde das Aktzeichnen im Jahre 1662 als Unterrichtsfach der Kunstakademien eingeführt. Bekannt für seine Aktzeichnungen (zum Teil auch in Form von Selbstbildnissen) ist in Deutschland unter anderem Albrecht Dürer, der – ebenso wie Leonardo da Vinci – auch Aktteilstudien als eigenständige Kunstwerke deklarierte. Ein Beispiel hierfür sind beispielsweise Dürers „Betende Hände“ aus dem Jahre 1508 - das Original befindet sich derzeit in der Albertina in Wien. Bei uns ist das Werk als Poster bestellbar (siehe Bild).

Mit dem Beginn der künstlerischen Moderne um 1900 verliert die Aktmalerei schließlich ihre Einschränkung auf religiöse, mythologische und historische Motive und befreit sich zudem von ihrer pädagogischen Instrumentalisierung. Im Im- und Expressionismus wird sie erstmals mit dem Ziel ausgeführt, nicht den Körper an sich zu portraitieren, sondern die äußere Erscheinung zugunsten der körpersprachlichen Details zurücktreten zu lassen.

Zu berühmten Aktmalern der Moderne zählen:

Henri Matisse,

Gustav Klimt,

Peter Paul Rubens und

Egon Schiele.

Entdecken Sie deren bekanntesten Werke hier in unserer Kunstgalerie!

Sehr beliebt für seine weiblichen Akte ist außerdem der italienische Maler Amedeo Modigliani – seine Arbeit „Nudo“ hat zahlreiche Nachahmer gefunden. In unserem Zimmermann & Heitmann Postershop erhalten Sie das Werk „Nude Seated On Left Leg“ als Poster.

Aktfotografie: Zwischen Akademie und Erotik

Zeitgleich mit der Akzentverschiebung in der modernen Aktmalerei werden mit der Fotografie ganz neue künstlerische Ausdrucksformen geboren; allerdings machen die extrem langen Belichtungszeiten das Fotografieren von Menschen während der ersten Jahre so gut wie unmöglich. So tauchen erst um 1845 in Paris die ersten Daguerreotypien mit erotischen Darstellungen auf, die damals noch von Hand koloriert werden. Zu diesem Zeitpunkt ist der Handel mit fotografischen Aktaufnahmen gesellschaftlich nur zu künstlerischen (die Fotografie ersetzt in dieser Zeit zunehmend das lebende Aktmodell) und medizinischen Zwecken (als Studienmaterial) akzeptiert. Nichtsdestotrotz entwickelte sich ab 1870 auch die erotische Fotografie immer mehr.

Die Unterscheidung zwischen Aktfotografien für den künstlerischen Gebrauch und Erotischer Fotografie für den Privatgebrauch besteht vor allem in dem „Drumherum“: Während bei den künstlerischen Aktfotografien die Körperlichkeit im Vordergrund steht und eine karge Studioeinrichtung für die Fokussierung des Blicks sorgt, spielt die Erotische Fotografie mit Kulissen und einem entsprechenden Ambiente wie Salons, Parks oder dem Boudoir. Diese Aufnahmen, mit denen sich vor allem in Paris ein florierender Handel entwickelte, zählen nicht zum Genre der künstlerischen Aktfotografie, werden mit diesem jedoch häufig gleichgesetzt oder gar verwechselt.

Der Akt: Vom französischen Boudoir in deutsche Wohnzimmer

Die künstlerische Aktfotografie entwickelte sich stark am Vorbild der Aktmalerei und brachte mit Fotografen wie Paul Marcellin Berthier und Gaudenzio Marconi schnell ihre ersten „Profis“ hervor. In Deutschland erschließt sich die Aktfotografie insbesondere mit den reformistischen Bewegungen der 1920er Jahre neue Themenfelder: Die sogenannte „Freikörperkultur“ verbindet sich mit einem neuen Schönheits- und Körpergefühl und prägt so die Arbeiten bekannter Fotografen wie Gerhard Riebicke. Neben dem traditionellen „Vollakt“ entstehen nach und nach auch die „Detailansicht“, die den Fokus eher auf Formen und Strukturen als auf die Gesamtansicht legt, und der „Halbakt“, bei dem das Modell teilweise bekleidet oder von Objekten verdeckt ist.

Neben diesen drei Grundformen gibt es in der Aktfotografie eine ganze Reihe an Subgenres, die zum Teil mit expliziter Provokation arbeiten. Ein gutes Beispiel sind hier die Arbeiten des deutschen Fotografen Horst Werner, dessen Akte in der Regel auf Friedhöfen in Szene gesetzt sind oder Modelle mit körperlicher Behinderung zeigen. Ähnlich polarisierend sind die Arbeiten des amerikanischen Fotografen Joel-Peter Witkin, welcher sich in erster Linie Themen wie Tod, Verwesung und körperlicher Missgestaltung widmet und bei seinem Publikum Gefühle von Beklemmung bis Abscheu hervorruft. Die ebenfalls amerikanische Fotografin Nan Goldin setzt sich mit Themen wie Suizid, Kindesmissbrauch und -pornographie auseinander, während die Werke Terry Richardsons stark zwischen Kunstfotografie und Pornografie oszillieren.

Die Aktfotografie unterscheidet sich von der Pornografie und verwandten Genres vor allem in ihrem künstlerischen Anspruch: Ähnlich wie beim Portrait handelt es sich beim Akt um die hohe Schule der Fotografie, welche neben technischen Fertigkeiten auch das intuitive Spiel mit Licht und Schatten voraussetzt sowie das Vermögen, eine zugleich professionelle als auch positive Beziehung zum jeweiligen Modell aufzubauen.


Akademischer Kunststil – strenge Regeln und ästhetizistische Kunst

Es ist die letzte Bastion der mimetischen Kunst: Lange bevor die Impressionisten um Monet und Renoir die Wirklichkeit in Form und Farbe auflösen und in französischen Ateliers der Schlachtruf „L'art pour L'art“ ertönt, gilt nur das als Kunst, was einem strengen Regelwerk entspricht. Die Regelhoheit liegt bei den europäischen Kunstakademien dieser Zeit, die vom 17. bis ins 19. Jahrhundert eine Kunstrichtung prägen, die als Akademischer Kunststil bzw. Akademismus in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

Nach unserem heutigen Verständnis lebt die Kunst in erster Line von der Freiheit ihrer Form. An Kunsthochschulen und -universitäten werden zwar unterschiedliche Kunstrichtungen gelehrt, doch die Ausbildung fungiert mehr als grundlegendes Handwerkszeug des angehenden Künstlers, der früher oder später jedoch zu einem eigenen Stil findet. So machen bereits seit dem 20. Jahrhundert vor allem jene Kunstwerke von sich reden, die sich von anderen abheben – sei es aufgrund ihres Motivs, ihrer Materialien oder der angewandten Technik. Heute gilt also das als 'schön', was durch Neuartigkeit und einen gewissen revolutionären Charakter polarisiert.

Vor dem Beginn der künstlerischen Moderne ist Kunst (weder in der Literatur noch in der Bildhauer- oder Malerei) jedoch keine Frage des persönlichen Ausdrucks und des individuellen Genies, sondern einzig und allein eine Frage strenger formaler und ästhetischer Regeln.

Die Hüter des Regelwerks: Die Kunstakademien Europas

Die Ursprünge der Akademischen Kunst liegen in Italien: Mitte des 16. Jahrhunderts entsteht in Florenz mit der „Accademia delle Artidel Disegno“ unter der Schirmherrschaft der Medici-Familie der erste Vorläufer unserer heutigen Kunsthochschulen. Das Modell dieser ersten Akademie für Malerei findet landesweit Nachahmung und setzt sich schnell auch im restlichen Europa durch. Zunächst haben nur die künstlerisch begabten Sprösslinge adliger Familien Zugang zu jenen Schulen, doch die Ausbildung bleibt nicht lange ein reines Privileg des Adels.

Die planmäßige und strenge Ausbildung junger Künstler hat damals vor allem das Ziel, die Position von Künstlern in der Gesellschaft aufzuwerten und sie somit gleichberechtigt neben andere akademische Berufsgruppen zu stellen. Erreicht wird dies, indem die Künste dank der Ausbildung gleichsam zu einer Wissenschaft erhoben werden: Die Akademien lehren Malerei und Bildhauerei nach strengen klassizistischen Regeln, die sich am Stil der klassischen griechischen und römischen Kunst orientieren. Oberstes Gebot ist hier die sogenannte „Mimesis“, also die Nachahmung der Wirklichkeit.

Dieses Postulat, das auf die „Poetik“ des griechischen Philosophen Aristoteles zurückgeht, bedeutet in der Bildenden Kunst die möglichst wirklichkeitsgetreue, d.h. weitestgehend realistische Wiedergabe des jeweiligen Motivs. Im Klassizismus, der sich um 1770 im deutschsprachigen Raum entwickelt und sich zu großen Teilen mit dem akademischen Kunststil verbindet, bedeutet „Mimesis“ zugleich auch die formale und technische Nachahmung der klassischen Kunst. Die Kunstakademien entwickeln sich innerhalb kürzester Zeit zur obersten Instanz in Sachen Kunstvermittlung und -tradierung und prägen so rund drei Jahrhunderte lang die Vorstellung dessen, was 'Schönheit' bedeutet.

'Schön' ist, was ästhetisch schön ist: Der Ästhetizismus der Akademischen Kunst

Während man heute speziell bei der Betrachtung zeitgenössischer Kunst durchaus darüber streiten kann, was schön ist und was nicht, herrschen im Akademismus nicht nur klare Vorstellungen, sondern auch strenge Vorschriften in Sachen künstlerischer Schönheit. Lange, bevor so etwas wie eine 'Ästhetik des Hässlichen' auch nur denkbar wird, gilt als 'schön' also nur das, was ästhetisch ansprechend ist. Konkret bedeutet dies die Harmonie der Form und der Gesamtkomposition: Eine Skulptur oder ein Gemälde gilt nur dann als schön, wenn es auf den Betrachter einen harmonischen und ausgeglichenen Eindruck macht.

Zu den technischen Regeln der Akademischen Kunst zählt u.a. die perfekte Umsetzung der Wirklichkeit in Farbe, Licht und Schatten, was zu Arbeiten von nahezu fotorealistischer Perfektion führt. Ebenfalls beliebt sind hier Gemälde, denen man durch ein spezielles Finish nicht mehr ansieht, dass es sich um Malerei handelt. Als im Jahre 1797 die „École des Beaux-Arts“ in Frankreich gegründet wird, die einen starken neoklassizistischen Einfluss hat, vermischen sich die Ideale des Akademismus nach und nach mit den klassizistischen Forderungen. Eine Synthese aus beiden sind beispielsweise die Arbeiten des österreichischen Malers Hans Makart.

Wirklichkeitsferne und Eklektizismus: Die Abwendung vom Akademismus

Neben den formalen und technischen Vorschriften zeichnet sich der Akademische Kunststil durch klare motivische Vorgaben aus, da nur solche Themen als „nachahmenswert“ empfunden werden, die bereits eine gewisse motivgeschichtliche Tradition haben. So entsteht mit der Zeit ein strenger Kanon von Motiven, die hauptsächlich literarisch, mythologisch und historisch motiviert sind. Alltägliches, Profanes und alles, was nicht als ästhetisch schön gilt (so zum Beispiel die Darstellung von Armut und Leid in der einfachen Bevölkerung) zählen nicht zum Repertoire des Akademischen Kunststils. Die Mimesis beschränkt sich folglich auf die rein technische Wiedergabe und mündet nicht – wie etwa im Realismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts – in einer kritischen Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit.

Jener akademische Idealismus ist auch der Grund dafür, dass der Kunststil ab ca. 1900 mit dem Aufkommen vornehmlich subjektiv geprägter Kunstformen wie Im- und Expressionismus zunehmend kritisch gesehen wird. Erst in den 1990er Jahren werden bestimmte Künstler wie etwa Alexandre Cabanel (Siehe Bild: „Die Geburt der Venus“, 1863) oder Anselm Feuerbach („Medea“, 1870) wiederentdeckt. Seitdem werden die Künstler des Akademismus nicht mehr vorrangig für ihren Eklektizismus verachtet, sondern erneut für ihre außerordentliche Kunstfertigkeit geschätzt.