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Georges Braque: Ein Leben neben Picasso

Es mag unfair sein, doch es ist eine Tatsache, dass die Geschichte sich nur an jene erinnert, die Neues, Spektakuläres, Unerhörtes geleistet haben. Entsprechend mag der Name Georges Braques (1882-1963) gelegentlich wohl in Zusammenhang mit Picassos (1881-1973) fallen – niemals aber würde jemand auf die Idee kommen, Picasso an Braque zu messen. Das Ungewöhnliche an diesem Schattendasein des französischen Künstlers, der dem gleichaltrigen und bereits berühmten Picasso im Dezember 1907 begegnet, ist allerdings, dass Braque sich auch niemals wirklich darum bemüht hat, aus dem großen Schatten des Freundes herauszutreten.

Georges Braque: Der "erlernte" Künstler

Im Gegensatz zu Picasso, der bereits im zarten Alter von fünf Jahren als Wunderkind gilt und schon wenig später die alten Meister kopiert, muss Braque, der 1882 in dem Pariser Stadtteil Argenteuil geboren wird, sein Handwerk erst erlernen. Hierzu besucht er ab 1899 Abendkurse an der Pariser Kunstakademie, macht ab 1900 eine Lehre zum Dekorationsmaler und nimmt Zeichenunterricht. In den folgenden Jahren besucht Braque die 'Académie Humbert' und macht sich intensiv mit der Pariser Kunstszene vertraut. Seine Vorbilder findet er vor allem in Paul Cézanne und den expressiv bunten Werken der Fauves, die er erstmals 1905 im 'Salon d’Automne' sieht. Als er im Jahre 1907 auf Picasso trifft, beherrscht Braque seine Kunst zwar, hat, im Gegensatz zum gleichaltrigen Picasso, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünf verschiedene Stile beherrscht, jedoch noch nicht zu einem eigenen Stil gefunden.

Braque, Picasso und die Frage des geistigen Plagiats

Picasso - Les Demoiselles d’Avignon

History Stack - Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon – pixabay.com

Braque lernt Picasso über den französischen Autor Guillaume Apollinaire kennen, welcher Ersteren mit in das Atelier des Freundes nimmt. Hier sieht Braque Picassos Gemälde "Les Demoiselles d’Avignon", das als erstes kubistisches Werk der Kunstgeschichte gilt. Braque ist so beeindruckt von der vollkommen neuen und revolutionären Formensprache des Bildes, dass er in der Folge selbst erste Versuche mit der kubistischen Malweise unternimmt, die insgesamt sehr stark an die Picasso-Vorlage erinnern. Obgleich Picasso zu diesem Zeitpunkt bereits ein "Markenname" ist und die Kunsthändler sich um ihn reißen, während Braque überwiegend unbeachtet bleibt, entwickelt sich zwischen den beiden Künstlern eine enge Freundschaft, die unter anderem durch die gemeinsame Begeisterung für Cézanne getragen ist.

Ab 1908 verbindet die beiden auch eine intensive künstlerische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Kubismus, die sich durch gegenseitige Kritik, Atelierbesuche und gemeinsame Projekte auszeichnet. So kommt es, dass sich viele der Bilder, die in der Zeit zwischen 1908 und 1914 auf der einen oder auf der anderen Seite entstehen, kaum eindeutig einem der beiden Künstler zuordnen lassen. So ist Braque der Erste, der mit gemalten Buchstaben, Etiketten und sog. Trompe-l’oeil-Effekten (illusionistische Malerei) arbeitet, was Picasso aufgreift und zu Materialcollagen weiterentwickelt, die den Eindruck der Zergliederung der Gegenstandes durch einen plastischen Effekt hervorrufen. Exemplarisch für diese Zeit sind etwa Bilder wie "Girl with a Cross" (1911), "Das Tischchen" (1913) und "Häuser in L’Estaque" aus dem Jahre 1908. Im gleichen Jahr findet auch die erste gemeinsame Ausstellung in der Galerie des Pariser Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler statt.

"Picasso und ich befanden uns gewissermaßen auf der Suche nach einer anonymen Persönlichkeit. Wir waren bereit, unsere Persönlichkeit auszulöschen, um Originalität zu finden.“, Georges Braque

Das wenig beachtete Spätwerk

Obgleich "Braque" der Kunstgeschichte natürlich ein Begriff ist, beschränkt sein Ruhm sich tatsächlich auf die Zeit zwischen 1907 und 1914, als er die Welt an der Seite Picassos in Würfel, Zylinder und Prismen zerlegte. Die gemeinsame Arbeit endet abrupt bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als Braque als Soldat dient und eine schwere Kopfverletzung erleidet. Den Pinsel kann er erst zwei Jahre später, nachdem er vollständig genesen ist, wieder aufnehmen – zu diesem Zeitpunkt hat Picasso sich bereits neuen, kühneren Projekten gewidmet. Neben spätkubistischen Arbeiten, die nach wie vor sehr an den früheren Freund erinnern, entsteht nun auch ein grafisches Werk: Braque schafft Radierungen, Lithografien und Holzschnitte. Ab 1939 widmet er sich außerdem der Bildhauerei.

Während Picasso auch im Alter das Genie, das "Wunderkind" bleibt und im Alter von 56 Jahren mit seinem Gemälde "Guernica" (1937) das Leid einer ganzen Volksgruppe auf Leinwand bannt, widmet Braque sich mit zunehmendem Alter wieder seinen fauvistischen Landschaften und synthetisch-kubistischen Landschaften und überlässt das öffentliche Interesse dem früheren Freund. Er tut dies sogar gänzlich ohne Groll: Selbst als junger Mann hatte Braque sich stets in einem gewissen Abstand zur Pariser Kunstszene bewegt, die Drogenorgien gemieden und sich stattdessen einem eher ruhigen Dasein mit seiner Lebensgefährtin Marcelle Lapre gewidmet. Anders als Picasso ist Braque niemals das Genie gewesen, das mit Freuden für seine Kunst gestorben wäre – und er hat sich auch nie als ein solches inszeniert.


Die Neuen Wilden: Expressiv-naive Kindergartenkunst

Als der Museumsdirektor Wolfgang Becker zu Beginn der 80er Jahre über die farbenfroh-naive, anti-intellektuellen Kunst der Neuen Wilden spricht, ergeht es ihm wie rund 80 Jahre zuvor dem Pariser Kunstkritiker Louis Vauxelles, der anlässlich einer Ausstellung im Salon d'Automne ironisch bemerkt: "Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien!" Sowohl Vauxcelles als später auch Becker meinen ihre Wortschöpfungen durchaus abwertend – und geben dennoch zwei jungen Bewegungen ihren Namen: Während Vauxcelles 1905 den Ausdruck "Fauves" (dt. 'die Wilden') für die französischen Expressionisten prägt, gibt Becker den jungen deutschen und österreichischen Künstlern einen Namen: Die Neuen Wilden sind geboren.

Die Neuen Wilden in den Spuren der (alten) Wilden

Rainer Fetting – Nordische Landschaft

Die Ähnlichkeit der Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, denn obgleich den Fauvismus und die Neuen Wilden beinahe ein ganzes Jahrhundert trennt, haben sie vieles gemeinsam: Beide Gruppierungen sind heterogen, arbeiten ohne explizites Programm und setzen auf naive, extrem bunte Farbigkeit. Außerdem entstehen beide Stilrichtungen gleichsam in Rebellion gegen ein akademisches Kunstverständnis, dass zu Zeiten der Fauvisten durch die Pariser "Académie des Beaux-Arts" repräsentiert wird: Die wohlstandbedingte Apathie der künstlerischen Szene der späten 70er Jahre führt zunehmend zu Repressionen gegen Künstler und Künstlerinnen, die so gezwungen werden sollen, ihre Arbeiten dem "intellektuellen" Stil anzupassen. Die wichtigste Gemeinsamkeit liegt jedoch in den künstlerischen Mitteln, aufgrund derer die Kunst der Neuen Wilden auch häufig als neoexpressionistischer Stil bezeichnet wird.

Die Neuen bzw. Jungen Wilden stehen in der Tradition von Dadaismus, Fluxus und der italienischen Transavangarde und lehnen den konventionellen Kunstbegriff kategorisch ab. Parallel zu den Umwälzungserscheinungen in Deutschland und Österreich, welche sich in Berlin, Hamburg, Köln und Wien zentrieren, formiert sich auch in den USA eine neoexpressionistische Gruppierung, die als "New Image Painting" bzw. "Wild Style" bezeichnet wird. Etwa zeitgleich entsteht in Frankreich die "Figuration Libre". Heute wird die Bezeichnung Neue Wilde häufig nicht auf die Kunst bezogen, die in dieser Bewegung entstanden ist, sondern vielmehr auf die Künstler und Künstlerinnen selbst, die in kulturellen Zentren der Zeit (allen voran Berlin) wilde Exzesse feierten und berühmt waren für ihre sexuellen Eskapaden.

Die Expressivität der Neuen Wilden: „Heftige“ Malerei

Um eine klare Abgrenzung der Neuen Wilden von ihrer jeweiligen Kunst zu schaffen, entsteht Ende der 80er Jahre eine neue Bezeichnung: Die Kreationen der Neuen Wilden werden fortan als "Heftige Malerei" bezeichnet. Genau wie die Fauves setzen sie vor allem auf eines: Auf Farbe – und zwar auf reine Farbe. Wie 80 Jahre zuvor die "Académie des Beaux-Arts", sehen sich nun die reaktionären Kunst- und Kulturkritiker in Österreich und Deutschland mit zwar durchaus traditionellen Motiven wie Landschaften, Stillleben und Portraits konfrontiert, die jedoch gänzlich antinaturalistisch gestaltet sind: Verschwimmende Konturen lassen Vorder- und Hintergrund ineinander übergehen und bilden so die hauptsächlichen Gestaltungsmerkmale für die gezielte Formlosigkeit dieser "wilden" Kunst.

Die extrem großformatigen Bilder sind häufig durch Neonfarben ergänzt und mit Graffiti-Elementen durchsetzt, die sich dem schwungvollen Pinselstrich angleichen und einen Kontrast zur betont malerischen Gestaltung bilden. Genau wie im Expressionismus werden die Kunstwerke hier zum subjektiven Ausdruck der Emotionen, Ängste und Sehnsüchte des Künstlers. Trotz der bisweilen dunklen Themen versteht die Heftige Malerei sich als betont lebensbejahende und naiv-fröhliche Kunst, die mit ihren Bildern erzählen, erfreuen und einen künstlerischen Raum schaffen will, der "mehr nach Kindergarten als nach ästhetischem Laboratorium schmeckt". Bedeutende Vertreter der Neuen Wilden sind u.a. Werner Büttner, Albert Oehlen und Martin Kippenberger in Hamburg, die sich dezidiert sozialen Themen zuwenden, und die Kölner Gruppe "Mühlheimer Freiheit", die sich selbst nach ihrem Atelier benannte. In beiden Gruppierungen entstehen viele Werke in gemeinschaftlicher Arbeit.

Helmut Middendorf – Elektrische Nacht

HEN-Magonza - Helmut Middendorf, Elektrische Nacht – flickr.com

Das bekannteste Mitglied des Berliner Kreises ist der Maler Wolfgang Cilarz, der für seinen freizügig-erotischen Performances und die Beschäftigung mit der Verbindung von Sexualität und Kunst berühmt geworden ist. Ein weiterer Vertreter der Berliner Gruppierung ist Rainer Fetting, der für seine Portraits und Landschaftsbilder, beispielsweise die "Nordische Landschaft 1" bekannt geworden ist (siehe Bild oben).

Ein weiteres Mitglied der Berliner Gruppe fällt durch besondere Expressivität auf: Helmut Middendorf erschafft Kunstwerke von unglaublicher farbiger Dynamik, so etwa in dem Bild "Elektrische Nacht" von 1979 (siehe Bild). Aufgrund ihrer unkonventionellen, freidenkerischen Art, werden die Neuen Wilden häufig in Verbindung zu Protestbewegungen wie Punk oder New Wave in Verbindung gebracht.


Action Painting: Die dynamisch-unbewusste Kunst

Der Surrealismus der Golden Fifties: Als in den späten 1940er Jahren die ersten Amerikaner beginnen, ihre Leinwände von der Staffelei auf den Boden zu verlagern und ihre Pinsel durch Holzstöcke, Farbeimer und Walzen zu ersetzen, erinnert das sehr an einen französischen Kunststil, der sich rund dreißig Jahre zuvor in Frankreich entwickelt hatte. Anders jedoch als der Surrealismus, dessen Werke programmatisch die Realität in Frage stellen, geht es im sog. Action Painting speziell um die Gegenständlichkeit des Bildes und die Erfahrung im künstlerischen Schaffensprozess. Das Action Painting entsteht als eine Strömung innerhalb des amerikanischen Expressionismus. Der bedeutendste Vertreter des Stils ist Jackson Pollock (siehe Bild).

Who is Who? Action Painting und die Kunstszene um 1950

Jackson Pollock – Number 32

Der Begriff 'Action Painting', 'Actionpainting' oder 'Aktionskunst' geht auf den amerikanischen Kunstkritiker Harold Rosenberg zurück, der 1952 einen Aufsatz über die neuartigen und ungewöhnlichen Gestaltungsmethoden des amerikanischen Expressionismus veröffentlicht und diesem die Überschrift „The American Action Painters“ gibt. Ab diesem Zeitpunkt hat die Bewegung zwar einen Namen, ist jedoch nicht klar von anderen Strömungen abgrenzbar. Als Unterkategorie der abstrakten Malerei steht sie den europäischen Erscheinungen von Tachismus und Informel nahe, das Dogma des unterbewussten Gestaltungsaktes rückt sie in die Nähe zur „Écriture automatique“ (Automatisches Schreiben) der Surrealisten. Die Tatsache, dass dem Kunstwerk im Action Painting keine konkrete Idee vorangeht und am Ende auch kein homogenes, in irgendeiner Weise definiertes Ergebnis steht, erinnert an die Techniken des Dadaismus.

Auch über die Genese der Gestaltungsprinzipien lässt sich keine definitive Aussage treffen, da beispielsweise nicht klar ist, ob Techniken wie das „Drip-Painting“ oder das „Schüttbild“ durch das Action Painting geprägt wurden oder ob Künstler, die der Aktionskunst zugeordnet werden, sich dieser Techniken zwar bedient, sie jedoch nicht „erfunden“ haben.

Dynamik und Unbewusstheit: Die Gestaltungsprinzipien der Aktionskunst

Das Action Painting löst sich komplett vom traditionellen Bild des Künstlers, der à la Monet oder Degas, den Pinsel in der einen, die Palette in der anderen Hand, sinnend vor seiner Staffelei steht: Der Schaffensprozess beginnt ohne konkrete Idee und Vorgaben – es gibt keinen Entwurf, keine Vorzeichnung und Vorstellung davon, was am Ende herauskommen soll: Action Painting ist limitiertes Chaos. Limitiert, weil es sich auf einen Malgrund beschränkt, der von der großen Leinwand über Stoffe und Holzpaletten so gut wie alles sein kann. Die Hauptsache ist, dass er ausreichend Platz und Bewegungsfreiheit bietet. Aus diesem Grund arbeiten die Aktionskünstler häufig auf dem Boden, damit sie sich auch über ihrem Malgrund bewegen und so ihren gesamten Körper in den Schaffensprozess einbinden können. Gemalt, gewalzt und gespachtelt wird mit Öl-, Acryl-, Aluminium- und Gouachefarben, die häufig einfach direkt aus der Tube auf den Malgrund gespritzt, getröpfelt (das sog. Tropfbild) oder in großen Mengen über die Leinwand geschüttet und gegossen werden. Viele Aktionskünstler arbeiten auch mit vollem Körpereinsatz, indem sie mit den Händen malen, sich über die Leinwand rollen oder Fußabdrücke auf ihr hinterlassen.

Nana - Niki de Saint Phalle

american_rugbier - Nana by Niki de Saint Phalle – flickr.com

Entscheidend ist, dass der Künstler das Werk erst im Schaffensprozess überhaupt „kennenlernt“, sich mit ihm vertraut macht und mit ihm gemeinsam eine eigene Dynamik entwickelt, in welcher es weiterwächst. Die Künstler versuchen, das bewusste Denken auszuschalten und sich ganz der Gestaltung und dem Farbrausch hinzugeben, damit das künstlerische Unterbewusstsein und die Stimmung des Augenblicks die Kontrolle übernehmen können. Entsprechend besitzen Bilder der Aktionskunst weder hierarchische noch perspektivische Organisation oder figurative Darstellung: Die Dynamik im Bild entsteht immer nur dadurch, wie weit der Pinsel bzw. Das jeweilige Arbeitsgerät vom Malgrund entfernt ist: Hockt der/ die Künstler auf dem Bild, entstehen andere Effekte, als wenn er oder sie die Farbe aus der Ferne aufbringt. Beispielhaft für einen relativ großen Abstand zwischen Künstlerin und Kunstwerk sind die "Schießbilder" der französisch-schweizerischen Malerin und Bildhauerin Niki de Saint Phalle, die durch ihre überlebensgroßen "Nana"-Skulpturen bekannt geworden ist.

Jackson Pollock: Tropfbilder & Dripping

Kein anderer Name ist so sehr mit der Aktionskunst verbunden wie der Jackson Pollocks, welcher noch heute als der wichtigste Vertreter dieses Kunststils gilt. Pollock war der erste „Mutige“, der die traditionellen Malmittel hinter sich ließ, und die Farbe direkt aus den Tuben auf die Leinwand spritzte bzw. aus Dosen auf den Malgrund tropfen ließ oder mit Kellen darüber ausgoss. Besondere Bekanntheit haben in diesem Zusammenhang Pollocks „Tropfbilder“ (1948) erlangt, die Sie auch bei uns in der Galerie entdecken können. Die Tropfbilder entstehen durch das sog. „Dripping“, dem Ausgießen oder Ausschütten der Farbe (in der Regel Farblacke) direkt über der Leinwand.

Durch die Technik entfaltet sich auf dem Malgrund eine regelrechte Landschaft fein gesponnener, dynamisch ineinandergreifender und vielschichtiger „Netze aus Farbspuren und Farbfäden“, die kunsthistorisch auch als „All over“ bezeichnet wird.

Weitere Vertreter der amerikanischen Aktionskunst sind:

Norman Bluhm,

Franz Kline und

Helen Frankenthaler


Klassizismus: Sehnsucht nach Antike und italienischer Renaissance

In gewisser Weise ist Kunst immer Nachahmung: Jedes Motiv ist schon einmal gemalt, gezeichnet oder gesprayt worden und jeder Künstler bzw. jede Künstlerin ist einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt ist, die seine bzw. ihre Arbeit prägen. Um 1800 bildet sich mit dem Klassizismus bzw. der Neoklassik in Kunst und Architektur jedoch eine Bewegung heraus, die in dem Stil vergangener Epochen nicht nur ein inspirierendes Vorbild sieht, sondern diese dezidiert kopiert. Das "Begehren" der klassizistischen Künstler richtet sich dabei vor allem auf die klassische Antike und die Formensprache der italienischen Renaissance.

Franz-Xaver Winterhalter Gemälde

Franz Xaver Winterhalter - Portrait of Empress Maria Alexandrovna

Der Begriff "Klassizismus" wird häufig mit der Epoche der klassischen Antike verwechselt. Während diese jedoch die Geschichte des antiken Griechenland, des Hellenismus und des darauf folgenden Römischen Reiches bezeichnet, bedeutet "Klassizismus" die Rückwendung (und häufig auch das Kopieren) zu der künstlerisch-architektonischen Formensprache der Antike. Kunstgeschichtlich ist die klassizistische Epoche auf den Zeitraum zwischen 1770 und 1840 datiert und löst den Spätbarock bzw. das Rokoko ab. Die nicht-europäische Bezeichnung für den Klassizismus lautet "Neoklassik", die wiederum nicht mit den neoklassizistischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verwechseln ist.

Ab 1840 wird der Klassizismus in der Architektur vom Historismus abgelöst, einer eklektischen Strömung, die auf unterschiedliche architektonische Stile, darunter etwa Romanik, Gotik, Barock und Renaissance, zurückgreift und deren Formensprache nicht nur kopiert, sondern die einzelnen Elemente miteinander kombiniert und steigert. "Geistige" Wegbereiterin des Klassizismus ist die Aufklärung, welche dem gefühlsbetonten Rokoko klare Strukturen und das Primat der Vernunft entgegensetzt.

Klassizistische Architektur: Sehnsucht nach der (griechischen) Antike

Der Klassizismus versteht sich bereits in seiner frühen Phase als künstlerisches Gegenprogramm zu der ausladenden, verschnörkelten Formensprache des (Spät)barock und der ornamentalen, aufwändigen Kunst des Rokoko: Durch die Sehnsucht nach natürlichen und schlichteren Formen wird die Erforschung der antiken Kunst und Architektur vorangetrieben, wie sie beispielsweise die Athener Akropolis aufweist. Da die klassische Architektur sich insbesondere durch einfache Formen sowie klare Linien und Gliederungen auszeichnet, werden diese schlichten, aber eindrucksvollen Grundformen in der Architektur zum Vorbild. Bedeutend für die Wiederentdeckung der klassischen Formensprache ist in Deutschland vor allem der Bibliothekar und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann. Fortan bildet das geometrische Formeninventar von Quadrat, Kreis, Kugel und Pyramide den Grundstein der klassizistischen Architektur.

Beispiele für klassizistische Architektur sind:

das Neue Potsdamer Tor in Berlin,

die St.-Pauli-Kirche in Hamburg und

der Triumphbogen in Paris sowie

die Gloriette in Schönbrunn (Wien).

Ein bekannter klassizistischer Architekt aus Deutschland ist Karl Friedrich Schinkel, der u.a. den Zentralbau der Nikolaikirche in Potsdam entworfen hat.

Klassizistische Malerei: Sehnsucht nach der italienischen Renaissance

Während die klassizistische Architektur ihr Vorbild in den klassischen griechischen Tempelbauten sieht, orientiert sich die Malerei dieser Zeit vornehmlich an der Italienischen Renaissance, die kunstgeschichtlich etwa auf das 15. und 16. Jahrhundert datiert ist. Da allerdings auch die Renaissance sich sowohl die bildnerische Formensprache als auch das Wissen und die philosophischen Vorstellungen der griechischen und römischen Antike zu eigen gemacht hatte, prägen Elemente wie idealisiertes Ebenmaß und Harmonie, sowie idealisierende Darstellung der Natur sowohl die Architektur als auch die klassizistische Malerei. In Letzterer werden schon bald Kriterien und Richtlinien zur Erzeugung jener "richtigen" Kunst festgelegt. Parallel zum Klassizismus entsteht in der Bildenden Kunst (und der Literatur) auch die Bewegung der Romantik, welcher den vernunftzentrierten, an der Aufklärung geschulten Denkstrukturen der klassizistischen Epoche eine Art Gefühlskult entgegensetzt.

Die klassizistischen Maler lösen sich von den allegorisch-symbolischen Motiven der Barockzeit und orientieren sich an klassischen literarischen Szenen der griechischen und römischen Antike. Ziel ist es, die „Fehler“ der realen Erscheinung im künstlerischen Kunstwerk auszugleichen und der Wirklichkeit eine idealisierte Fassung ihrer selbst entgegenzustellen. Zu diesem Zweck verbringen klassizistische Künstler wie François Gérard, Antoine-Jean Gros und Gottlieb Schick viel Zeit mit dem Studium der „alten Meister“ in Museen und Kunsthäusern, um sich mit den Gestaltungsregeln der antiken Kunstwerke vertraut zu machen. Der pastose, extrem intensive Farbauftrag des Barock und Rokoko weicht zunehmend einem flächigen Farbauftrag, welcher der harmonischen Gesamtkomposition entspricht. Ausdruck dieses festen Regelwerks ist auch die „Ecole des Beaux-Arts“ in Paris, die erst während der künstlerischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Einfluss verliert.

Bekannte klassizistische Gemälde sind u.a. das „Bildnis des Johann Jochamin Winckelmann“ der deutschen Künstlerin Angelika Kauffmann aus dem Jahre 1764, der „Schwur der Horatier“ des Historienmalers Jacques-Louis David von 1784 und ein Bildnis der österreichischen Kaiserin Elisabeth (Sissi) aus dem Jahre 1865, gemalt von Franz Xaver Winterhalter (Beispielgemälde siehe oben).


Minoische Kunst aus Kreta: Meister der Wandmalerei

Als ein gewaltiges Erdbeben um 1700 vor Christus auf Kreta die alten Paläste einer der rätselhaftesten frühen Kulturen der Welt zerstört, macht es zugleich den Weg frei für die Minoische Hochkultur, während derer sich die minoische Freskomalerei zur Meisterschaft entwickelt. Die Minoer, deren Name auf den mythischen Despoten Minos zurückgeht, bauen die Paläste wieder auf – und das prunkvoller als jemals zuvor. Während der darauf folgenden "Neupalastzeit" entstehen Kunstwerke, die bis heute ihresgleichen suchen.

Minoische Kunst und Kultur

Die Minoische Kultur existiert ca. seit dem sechsten vorchristlichen Jahrtausend und wird kunsthistorisch in die Vor-, die Alt-, die Jung- und die Nach-Palastzeit eingeteilt. Obgleich die Minoer in der Vorpalastzeit, welche in die Bronzezeit fällt, noch weitestgehend im Schatten der Ägypter und Mesopotamier stehen, sind schon für diesen Zeitraum wachsende künstlerische Fertigungsweisen belegt. Verschiedene Funde kunstvoller Keramik und Goldschmucks als Grabbeigaben verraten für diesen Zeitraum deutlichen ägyptischen, anatolischen und mesopotamischen Einfluss.

In der Älteren Palastzeit, die etwa um 1900 v. Chr. beginnt, erlebt die minoische Kultur ihre erste Blütephase durch die merkantile Vormachtstellung im östlichen Mittelmeer und die guten Handelsbeziehungen zu Ägypten. In diese Zeit fallen der sog. "Kamaresstil", benannt nach Keramik-Funden in der Kamaresgrotte im Ida-Gebirge. Die Ältere Palastzeit verdankt ihren Namen den mehrstöckigen Palastanlagen von Malia, Festos und Knossos, welche mit weitläufigen Hofanlagen und Wasserleitsystemen ausgestattet waren. Heute geht man davon aus, dass die Palastanlagen die religiösen und ökonomischen Zentren dieser frühen hochentwickelten Kultur waren.

Als die Paläste um 1700 durch ein Erdbeben zerstört werden, beginnt mit ihrem Wiederaufbau die "Jüngere Palastzeit" oder "Neupalastzeit", in welcher die prunkvollen Anlagen endgültig zu den wichtigsten Wirtschafts- und Kultzentren avancieren. Zu den wiedererrichteten Palästen in Knossos, Malia und Festos kommen noch Anlagen in Archanes, Kydonia und nahe der Küste Zakros hinzu. Die Handelsbeziehungen werden in dieser Zeit bis nach Italien und den vorderen Orient ausgedehnt, was sich u.a. als bedeutsamer Einfluss in den Handwerkskünsten manifestiert. Die Jüngere Palastzeit endet abrupt um 1450 v. Chr., als eine Feuerkatastrophe den Großteil der befestigten Städte und Paläste zerstört.

In der Forschung herrscht Uneinigkeit darüber, ob das Ende dieser Epoche durch den Ausbruch des Vulkans von Thera besiegelt wurde oder ob auch andere - möglicherweise kriegerisch-politische Aspekte - eine Rolle gespielt haben. Tatsache ist, dass auch die "Nachpalastzeit" nur noch wenige Jahrhunderte bestand und um 1100 v. Chr. durch die (vom griechischen Festland nach Kreta gelangten) Mykener beendet wurde, die den Palast von Knossos als Herrschersitz einnahmen.

Die Neupalastzeit: Wiege der Minoischen Kunst

Nachdem die Paläste der Älteren Zeit um 1700 prunkvoller als jemals zuvor wieder aufgebaut worden waren, wurden sie zum Sitz der bedeutendsten Künstler jener Epoche, mit denen die Freskomalerei ihren qualitativen Höhepunkt erreichte. Hier entwickelt sich die "Al-fresco-Technik", die noch viele Jahrhunderte lang überall sonst unbekannt war: Bei dieser Technik wurden die farbigen Motive direkt auf den noch feuchten, mit einer Mischung aus Putz, Kalk und Tierhaaren verputzten Untergrund gegeben, damit sich Farbe und Malgrund auf einzigartige Weise miteinander verbinden konnten.

Die Farben wurden hergestellt, indem die Künstler Farbpigmente und Mineralien feuchtem Gips beimischten. Sobald der erste Nass-in-Nass-Auftrag an der Wand getrocknet war, wurden weitere Schichten aufgetragen und die Details mithilfe von feinen Bürsten ausgearbeitet. Am Ende dieses Prozesses stand eine Lasur aus Ei-Tempera (eine Mischung aus Eigelb, Leinöl und Wasser) und ein abschließendes Polieren. Berühmte Beispiele für diese Art des Wandfreskos sind das Delfin-Fresko und die Stierspringer-Szenen aus den Ruinen des Palastes von Knossos. Die dargestellten Szenen sind in der Regel zweidimensional und ohne jede Tiefenwirkung.

Die Paläste der Neupalastzeit weisen unterschiedlichste Arten von Fresken auf, welche jeweils auf die Beschaffenheit der Räumlichkeiten abgestimmt sind, in denen sie angebracht sind. So wurden Wandgemälde wie beispielsweise Landschaften eher zentral angeordnet und hielten zum Boden, zu den Fenstern und Türen einen immer gleichen Abstand ein. Die freigelassenen unteren Bereiche über dem Boden wurden ebenfalls verziert – entweder durch Marmorfliesen oder durch kleinere Wandgemälde in Marmor-Optik. Während die oberen Bereiche unterhalb der Decke mit schmalen Fresken versehen wurden, zierten die Decken spiralförmige Muster, Rosetten und Girlanden-Bordüren. Neben den Räumlichkeiten wurden auch Altäre und Balustraden mit Fresken verziert.

Die Fresken der minoischen Künstler sind erstaunlicherweise gänzlich frei von Huldigungen an jeweilige Herrscher oder andere politische Aussagen: Die Szenen zeigen häufig kultische Rituale, religiöse Symbole und Stätten, sowie Wettkämpfe wie etwa das Stierspringen. Neben den religiösen Themen finden sich auch viele Landschaftsdarstellungen, da die minoische Kultur sehr naturverbunden war. So zeigen die Fresken Flora und Fauna der griechischen Insel mit einem Schwerpunkt auf der Darstellung der Meereslebewesen, welcher in der kunstgeschichtlichen Forschung als sog. "Meeresstil" bekannt geworden ist. Doch auch der Alltag der minoischen Kultur, wie beispielsweise Hinweise auf Kleidung und Körper- bzw. Schönheitsideale, finden sich auf den Fresken der Neupalastzeit.


Akkumulation in der Kunst: Gestaltungsprinzip der Objektkunst

"Es ist alt, ich brauche ein neues!" Die Wegwerf-Mentalität der Konsumgesellschaft ist in unserer Zeit bereits zum Topos verkommen. Während wir die 1,3 Milliarden Tonnen Müll, die Europa jährlich erzeugt, mit Augenzwinkern und Schulterzucken betrachten, sind die Anfänge dieser Entwicklung in den 1960er und 70er Jahren jedoch extrem kritisch beobachtet worden. Ihren künstlerischen Niederschlag findet diese Kritik in den avantgardistischen Bewegungen, die in dieser Zeit immer mehr zur Sozialkritik avancieren und mit der "Akkumulation" ein Gestaltungsprinzip der Objektkunst prägen, das die moderne Wegwerf-Gesellschaft zugleich ironisiert und kritisch hinterfragt.

Objektkunst – Alltagsgegenstände, die den Alltag hinterfragen

Nachdem Kubismus, Dadaismus und Surrealismus bereits jede Mimesis aus der Kunst verabschiedet und mit den traditionellen Gestaltungsmitteln gebrochen hatten, schockiert und polarisiert der amerikanisch-französische Künstler Marcel Duchamp im Jahre 1913 mit dem ersten sog. "Ready-made" (franz. 'Objet trouvé'): Einem Fahrrad-Rad, das zuvor keiner künstlerischen Bearbeitung unterzogen worden war, sondern vom Künstler schlichtweg "vorgefunden" und als Kunst deklariert wurde.

Aus dieser frühen Integration von Alltagsgegenständen in den künstlerischen Reflexionsprozess entwickelt sich nach und nach die Objektkunst, die ebenfalls mit Alltags- und Nutzgegenständen arbeitet, die unverändert oder zum Teil auch ästhetisch verfremdet zu Kunstobjekten erklärt und (zunächst) einzeln ausgestellt werden. Ein frühes bekanntes Beispiel ist der "Stierschädel" von Pablo Picasso aus dem Jahre 1942.

Während die Objektkünstler in ihrer frühen Phase noch mit einzelnen Fundstücken und Objekten arbeiten, entwickelt sich später das Prinzip der "Assemblage", bei welchem mehrere Objekte kombiniert ausgestellt werden. In den 1960er Jahren schließlich erreicht die Bewegung ihre monumentalsten Ausgestaltungen, indem ganze Räume und Gebäude (von den Künstlern "Environments" genannt) (um)gestaltet werden. Neben den berühmten Rauminstallationen von Joseph Beuys und den verhüllten Bauten Christos schafft auch der schweizerische Künstler Jean Tinguely beeindruckende Objekte, die vor allem die Rolle der Technik im Alltag hinterfragen. Seine funktionalen Maschinenplastiken finden sich häufig in Kombination mit den bunten Figuren seiner Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle. Ein gemeinsames Projekt ist beispielsweise der "Stravinski-Brunnen" in Paris.

Akkumulation – ein Haufen 'Müll' im Glaskasten

Während die Objektkunst Alltags- und Nutzgegenstände auf ihre ästhetische Qualität hin befragt und somit zugleich die Frage stellt, was die Kunst eigentlich zur Kunst macht und ob sie bestimmten Regeln zu folgen und gewisse Kriterien zu erfüllen hat, ist der Ansatz des akkumulativen Gestaltungsprinzips deutlich praktischer – und deutlich plakativer. Der Namensgeber der Bewegung, der französische Künstler setzt nicht am Anfang des Konsumkreislaufs an, wie viele seiner Kollegen, sondern am Ende: Seit den 1950er Jahren sammelt Arman weggeworfene Gegenstände, die er 1960 erstmals ausstellt, indem er die Galerie „Iris Clert“ in Paris bis unter die Decke mit dem Unrat anfüllen lässt. Die ersten Publikumsreaktionen fallen damals entsprechend heftig aus und es geht eine Welle der Empörung durch Paris.

In diese Zeit fallen auch Armans erste „Akkumulationen“, für die er eine variierende Anzahl gleichartiger Nutzgegenstände im wahrsten Sinne des Wortes „anhäuft“ (lat. accumulo = 'anhäufen') und in Plexiglashüllen oder Glaskästen ausstellt. Ein frühes Bild ist die „Accumulation des Brocs“ (Anhäufung von Kannen) aus dem Jahre 1961 mit 30 Kannen. Durch dieses Arrangement wird der Alltagsgegenstand nicht nur seiner primären Funktion entkleidet, indem er zum Kunstobjekt wird, sondern der Betrachter wird zugleich auf die individuellen Eigenschaften der – an und für sich – identischen Gegenstände aufmerksam gemacht. Auf diese Weise verleiht Arman jenen Gegenständen, die normalerweise als „Müll“ am Ende des Zivilisationsprozesses stehen, ästhetischen Wert und macht darüber hinaus deutlich, wie sehr jedes einzelne Glied der Gesellschaft vom Konsum okkupiert ist.

Doch nicht nur Arman arbeitet im Paris der 1960er Jahre mit der Akkumulation – sie ist auch festes Gestaltungsprinzip des „Nouveau Réalisme“ ('Neuer Realismus'), wie er im Oktober 1960 durch eine kleine Künstlergruppe um Arman, Yves Klein und den französischen Kunstkritiker Pierre Restany ins Leben gerufen wird. Ziel des Neuen Realismus, der auch Verbindungen zur Düsseldorfer Künstlergruppe „ZERO“ um Heinz Mack und Günther Uecker unterhält, ist eine „Sprengung“ der traditionellen Wertehierarchie in der Bildenden Kunst.

Yves Klein - Anthropometrie

Durch die Integration von Technik und neuartigen Materialien soll die tägliche Realität, der Alltag der 'Neuen Zeit' abgebildet werden. Ein wichtiger Aspekt der programmatischen Bewegung ist hierbei die 'Ästhetik des Hässlichen'. Neben Arman und Yves Klein (siehe Bild: Anthropometrie) gehören auch Daniel Spoerri, Schöpfer der sog. „Eat Art“, Jean Tinguely und (später) Niki de Saint Phalle zu den Nouveau Réalistes.


Exemplare in der Auflagenkunst: Abkürzungen und ihre Bedeutungen

Die Kunst ist eine Welt, die nach eigenen Gesetzen funktioniert, eigene Regeln macht und eine eigene Sprache verwendet. Während Kunstschaffende und mit Kunst Handelnde diesen 'Code' beherrschen, steht der Laie häufig wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berge. Insbesondere in der sog. "Auflagenkunst", d.h. in jenen künstlerischen Disziplinen, in denen die Objekte vervielfältigt werden, kursieren eine Menge Abkürzungen, die dem Wissenden den Handel erleichtern, während sie den Unwissenden in heillose Verwirrung stürzen. Wir von Zimmermann & Heitmann erklären Ihnen die wichtigsten Abkürzungen.

Limitierte Kunst: Die 'Auflage'

Bei Gemälden ist es ganz einfach: Es gibt immer ein unikates Original und eine Vielzahl von (Kunst)drucken, die jeweils zu einem deutlich geringeren Preis verkauft werden als das eine Unikat. Bei jenen Kunstrichtungen, bei denen die Vervielfältigung Teil des Kunstwerks ist, ist die Sache jedoch ein wenig komplizierter: So gilt beispielsweise bei der Druckgrafik und der Fotografie jeder einzelne Druck bzw. jeder einzelne Abzug, der im Laufe des Produktionsprozesses entsteht, als eigenständiges Kunstwerk. Gleiches gilt für das Künstlerbuch, das Multiple und (mit Einschränkungen) das Objekt und die Skulptur. Die Gesamtanzahl der Einzelexemplare wird dabei als "Auflage" bezeichnet. Wie hoch die Auflage pro Fertigungsprozess jeweils ist, bestimmt einzig und allein der Künstler selbst – sofern er seine Rechte nicht an Dritte abtritt.

Zur besseren Übersicht wird die Gesamtauflage durchnummeriert. In der Regel werden hierfür arabische Ziffern verwendet, die in Form eines Bruchs die exakte Position des jeweiligen Exemplars in der Gesamtproduktion angeben. So handelt es sich bei Exemplar 13/230 beispielsweise um den 13. Druck einer Gesamtauflage von 230 Exemplaren. Eine Überschreitung der festgelegten Auflagenhöhe ist gesetzlich verboten. Sie kann jedoch umgangen werden, indem (wiederum in Absprache mit dem Künstler) ein sog. "Nach- oder Spätdruck" vereinbart wird, dessen Stückzahl jedoch wiederum vorab festgelegt wird und der als Reproduktion des originalen Drucks in dem Ruf steht, nur mehr von geringem künstlerischen Wert zu sein. Diese strenge Reglementierung dient sowohl dem Schutz des Künstlers als auch des Sammlers vor unbefugter Vervielfältigung des jeweiligen Objekts oder Kunstdrucks.

Neben dieser (für den Markt bestimmten) Auflage werden häufig auch weitere Exemplare gefertigt, die mit einem ominösen Kürzel versehen sind, das den Eingeweihten des 'Kunst-Codes' verrät, für welchen Zweck sie vorgesehen sind. Die Gesamtauflage und die zusätzlichen Einzelexemplare bilden gemeinsam die "Edition" eines Kunstwerks. In der Regel befinden sich rund 10 bis 15% einer Edition außerhalb des Handels, d.h. sie werden entweder an den Künstler selbst oder/ und den Verleger gegeben.

Vom 'Printer's-' bis zum 'Artist Proof': Abkürzungen und ihre Bedeutungen

p.p. = Printer's proof

Die Abkürzung "p.p." ist vor allem im Bereich der Druckgrafik gebräuchlich und bezeichnet eine gewisse Anzahl von Exemplaren, die der jeweilige Drucker und/ oder Verleger als Beleg für seine Arbeit erhält. Diese Exemplare werden in der Regel als Archivexemplare oder auch zu Werbezwecken verwendet, indem sie potentiellen Auftraggebern zur Probe vorgeführt werden.

E.H. = Epreuve d'Artiste

Die Abkürzung "E.H." ist ebenfalls vor allem im Bereich der Druckgrafik gebräuchlich und bezeichnet Proben für den Künstler ('Künstlerabzug'), die bereits der gewünschten Bild- und Farbqualität entsprechen. Die 'Proben für den Künstler' zeigen diesem, wie die Einzelexemplare der Gesamtauflage letzten Endes aussehen werden. Manche Künstler nummerieren auch diese Exemplare zur besseren Übersicht. Damit sie jedoch nicht mit der 'Auflage' verwechselt werden, erfolgt die Nummerierung hier in römischen Ziffern. So ist das Exemplar E.H. III/X das dritte von insgesamt zehn Exemplaren, die dem Künstler als Vorab-Druck zur Probe überreicht wurden.

Viele Künstler verleihen ihre Vorab-Exemplare auch an Museen oder organisieren eigene Ausstellungen, auf denen sie vorgeführt werden. Da es sich bei den 'Epreuves d'Artiste' um eine sehr frühe und daher "ursprünglichere" Version der Grafik handelt, sind sie bei Sammlern besonders beliebt.

Neben der Abkürzung "E.H." sind auch die Kürzel "a.p" ('Artist proof') und "p.a." ('Prova d'artista') gebräuchlich – je nach Landessprache.

H.C. = Hors de commerce

Die Abkürzung "H.C." wird häufig synonym mit dem Kürzel "E.A." verwendet und bezeichnet die Gesamtheit der Exemplare, die sich 'außerhalb des Handels' befinden. Das heißt, als 'Hors de commerce' gelten sowohl die Exemplare für den Künstler als auch jene für den Drucker und/ oder den Verleger. Welches der Kürzel verwendet wird, hängt häufig von der jeweiligen Landessprache und den gängigen Gepflogenheit des jeweiligen Verlags ab.

Quelle: https://www.zimmermann-heitmann.de/wissenswertes


Gemälde richtig aufhängen: Die optimale Anordnung von Bildern

Gut geplant ist halb gewonnen: Da selbst das schönste Kunstwerk an Ausstrahlung verliert, wenn es schief mitten im Treppenhaus hängt oder neben einer Reihe minderwertiger Landschaftsaufnahmen verkümmert, sollte das Aufhängen Ihres Gemäldes ebenso gewissenhaft geplant sein wie der Kauf eines Kunstwerks. Welche Art der Aufhängung Sie wählen, hängt in erster Linie von dem Bild selbst ab – denn jedes Gemälde hat individuelle Ansprüche an seine Umgebung.

Sehen und gesehen werden: Die richtige Platzierung

Bevor Sie sich den Kopf über Hammer, Nägel und Dübel zerbrechen, sollten Sie zunächst einmal die richtige Stelle für Ihr Bild aussuchen. Hierfür ist natürlich entscheidend, um was für ein Kunstwerk es sich handelt: Großformatige und farblich auffällige Bilder (Beispiel siehe Bild: „The best peace of my heart“ von James Rizzi) brauchen im wahrsten Sinne des Wortes "Raum", um sich entfalten zu können. Sie sollten sich daher nicht zu nahe an Möbelstücken und auch nicht in unmittelbarer Nähe zu anderen Bildern befinden. Gleiches gilt für sog. "Serien", wie sie in der Kunstfotografie häufig sind. Darüber hinaus sollten Sie sich auch fragen, welchem Zweck das Bild dienen soll: Wenn es sich bei Ihrem Gemälde um ein Werk handelt, das zur längeren Betrachtung einlädt, empfiehlt es sich, es gegenüber einer Sitzmöglichkeit anzubringen.

James Rizzi – The best peace of my heart

Die richtige Höhe für ein Gemälde ist schnell gefunden: Grundsätzlich gilt, dass das Bild sich in der optimalen Position für den Betrachter befindet, wenn die Bildmitte in etwa auf Augenhöhe (durchschnittlich bei ca. 1,60m) ist. Haben Sie jedoch eine Position gewählt, bei der das Bild vornehmlich sitzend betrachtet wird, sollten Sie es entsprechend niedriger anbringen. Neben der Betrachter-Perspektive müssen auch architektonische Gegebenheiten wie die Diagonalen im Raum beachtet werden. So verlieren Gemälde beispielsweise an Wirkkraft, wenn sie in unmittelbarer Nähe zu Fenstern und Türen angebracht sind. Im Treppenhaus sollten Sie darauf achten, dass die Bilderfolge mit der Treppensteigung übereinstimmt.

Eyecatcher und Unikate: Einzelne Bilder gekonnt aufhängen

Indem Sie ein paar einfache Regeln beachten, stellen Sie sicher, dass Ihr Gemälde gerade und sicher an seinem Wandplatz bleibt. So benötigt ein Bild ab einer gewissen Größe beispielsweise immer zwei Aufhängpunkte. Selbst bei sehr leichten Gemälden sollten Sie hierfür niemals Nägel, sondern stets Schrauben oder Haken mit entsprechenden Dübeln verwenden. Für die Bohrung können Sie auf einen Trick zurückgreifen, indem Sie eine Holzleiste verwenden, in die sie die Löcher im gewünschten Abstand (entsprechend dem Abstand der Aufhängevorrichtung) "vorbohren". Diese Leiste fungiert an der Wand als Schablone und bietet zudem die optimale Ablage für die Wasserwaage, mit der Sie überprüfen können, ob die Bohrungen gerade sind. In Altbauwohnungen empfiehlt es sich, direkt mit Hohlraumdübeln zu arbeiten.

Sollte das Bohren bei Ihren Wänden generell problematisch sein, da sie zu porös, oder in regelmäßigen Abständen von Stahlträgern durchzogen sind, können Sie auch schöne Effekte erzielen, indem Sie Ihr Gemälde im sog. "Skyline"-Prinzip einfach vom Fußboden an die Wand lehnen oder auf ein Regal stellen. Eine ähnliche Optik können Sie auch erreichen, indem Sie eine schmale Bilderleiste anbringen, auf der das Gemälde leicht schräg gegen die Wand gelehnt wird. Diese Lösung empfiehlt sich insbesondere dann, wenn Sie mehrere Einzelstücke besitzen, die sie von Zeit zu Zeit austauschen möchten. Damit die lagernden Gemälde in der Zwischenzeit keinen Schaden nehmen, können Sie ein paar einfache Regeln zum Lagern von Gemälden beachten, die wir in unserem Kunstblog für Sie zusammengestellt haben.

Serien und Collagen: Mehrere Bilder aufhängen

Anstatt sich für ein einzelnes Gemälde mit großer Wirkkraft zu entscheiden, greifen manche Kunstliebhaber entweder zu Serien oder aber zu unterschiedlichen Bildern, die an der Wand zu einem Gesamtkunstwerk angeordnet werden (Beispiel siehe Bild: "Bathers VII - Serie blau" von Stefan Szczesny). Wichtig ist in beiden Fällen, dass die Bilder in ausreichendem Abstand angebracht werden, damit sie einander nicht "überlagern". Bei gleichformatigen Bildern, die symmetrisch aufgehängt werden, empfiehlt sich hierfür eine Schablone, mit deren Hilfe Sie die jeweiligen Abstände exakt bemessen können. Eine flexiblere Lösung wäre hier eine sog. "Bilderleiste", die in der Regel knapp unter der Decke angebracht wird und an der Sie Ihre Kunstwerke mit Nylonseilen befestigen können. Diese Vorrichtung empfiehlt sich vor allem dann, wenn Sie Ihren Wandschmuck des Öfteren austauschen möchten.

Stefan Szczesny – Bathers VII Serie blau

Sollten Sie sich eine kreativere und etwas "lebendigere" Lösung wünschen, empfiehlt sich ein geordnetes Chaos: Legen Sie zunächst alle Bilder, die Sie aufhängen möchten, auf dem Boden aus und testen Sie deren Arrangement. Dabei sollten Sie darauf achten, dass besonders auffällige (und große) Bilder sich eher im Zentrum befinden und die kleineren um diese herum arrangiert werden. Wenn Sie ihre "Collage" dann an die Wand bringen, achten Sie darauf, auch hier mit den großen Formaten zu beginnen und sich Bild für Bild nach außen vorzuarbeiten. Für die kleineren Formate in diesem Arrangement sind einfache Stahlnägel in der Regel ausreichend.


Die urbane "Underground" Kunstszene

Provokation, Rebellion & der Wunsch nach Unabhängigkeit: Die Beweggründe für Underground-Künstlerinnen und Künstler sind auf der ganzen Welt die gleichen – wenn sie auch ganz unterschiedliche Ausdrucksformen finden, um sich Gehör zu verschaffen. Wie keine zweite Kunstform ist diese 'Kunst am Rande der Gesellschaft' mit dem urbanen Raum der Großstadt verknüpft: Sie spielt mit den Möglichkeiten, die die Stadt ihr liefert, nutzt sie jedoch auch, um Missstände anzuprangern und alternative Wirklichkeiten zu entwerfen. Dabei prägt jede Underground-Kunst ihre Stadt in besonderer Weise – und auch jede Stadt bringt ihre eigene Underground-Szene hervor, die nicht kommerzielle und anti-kapitalistische Kunst schafft.

Polarisation und Exklusivität: Das Selbstverständnis des Undergrounds

Die Kunst des 'Untergrunds' definiert sich selbst in klarer Trennung vom sog. "Mainstream", welcher Kunst "für die Masse", d.h. Kunst nach allgemein etablierten Maßstäben bezeichnet. Die Underground-Kunstszene, in der so gut wie alle Sparten (von der Musik über Literatur bis hin zu Bildender Kunst) vertreten sind, zeichnet sich im Gegensatz zum Mainstream durch eine kleinere Anhängerschaft und unabhängige Produktion aus. Jede neue Underground-Erscheinung formiert sich zunächst als Kultur einer Minderheit, wird im Laufe der Zeit jedoch häufig zum Teil der "allgemeinen" Kultur, indem sich die Anhängerschaft vergrößert, sich ein entsprechender Trend entwickelt oder sie von einer weiteren Neuerscheinung im Untergrund abgelöst wird. Grundsätzlich gilt: Wenn es alle kennen und alle mögen, ist es kein 'Underground' mehr.

Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, will Undergroundkunst durchaus gesehen werden. Sie mag am Rande der Gesellschaft entstehen, hat von dort jedoch die optimale Perspektive, um anzuprangern, was sie sieht: Nur wenn der Künstler außerhalb der Gesellschaft steht, kann er oder sie wahrhaft gesellschaftskritisch arbeiten. Aus diesem Grund ist eines der wesentlichen Merkmale der Underground-Kunstszene das Polarisieren durch Provokation: Nicht selten wird der 'kommerziellen' Kunst auf öffentlich zugänglichen Ausstellungen oder groß angelegten Demonstrationen die künstlerische Qualität abgesprochen, indem sie als "Massenware" mit oftmals reaktionärem Inhalt diffamiert wird.

Streetart, Graffiti und Comics: Die Spielarten der Underground-Kunst

Wenn sich Kunst am Rande der Gesellschaft bewegt, so bedeutet dies nicht, dass sie nicht vielfältige Formen des Ausdrucks entwickeln kann. Es ist sogar das Gegenteil der Fall: Je weiter sich die Kunst von der sog. "Hochkultur" entfernt und desto mehr traditionelle Grenzen der Gestaltung sie sprengt, desto bunter und heterogener werden ihre Spielarten. Neben dem musikalischen Underground ist auch die literarische Underground-Szene extrem virulent und drückt sich vor allem in der Form des Comics bzw. der "Graphic Novel" und sog. "Fanzines" (Magazinen von Fans für Fans) aus. Ebenfalls als Erscheinung des Undergrounds, die sich vor allem in den letzten zehn Jahren immer größerer Beliebtheit in beinahe allen Großstädten der Welt erfreut, gilt der sog. "Poetry Slam", bei dem selbst verfasste Texte innerhalb kürzester Zeit einem kleinen Publikum dargeboten werden.

GB 1984 - Andy Council @ UPfest 2013, Bristol – flickr.com

In der Bildenden Underground-Kunst hat sich mit der "Urban Art" eine Kunst manifestiert, die in den Dialog mit ihrer Stadt (siehe Bild) tritt.

Als Urban Art zählen sowohl:

Graffitis,

Streetart und

Stickerkunst

als auch das weniger bekannte "Adbusting" (das Überkleben und Verfremden von Werbeplakaten im öffentlichen Raum) und das sog. "Urban - " oder "Guerilla Knitting“, bei dem Gegenstände im öffentlichen Raum (Parkbänke, Bäume, Fahrradständer etc.) durch Stricken verfremdet werden. Hierfür werden entweder verschieden große gestrickte Accessoires angebracht oder auch ganze „Stadtmöbel“ eingestrickt. Das Urban Knitting wird häufig als eine spezifisch weibliche Form der Urban Art betrachtet. So wurde anlässlich des Frauentages 2011 die Wiener Ringstraße im Rahmen einer Demonstration mit zahlreichen gestrickten Kunstwerken versehen, die jedoch (obgleich sie genehmigt waren) noch am gleichen Tag von der Straßenreinigung entfernt wurden.

Eine weitere Underground-Erscheinung ist die sog. "Demoszene", bei der es sich um einen Zweig der Computerszene der 1980er Jahre handelt: Hier werden mithilfe von Computerprogrammen sog. "Demos" entwickelt, bei denen es sich um (in der Regel musikalisch unterlegte) Digitale animierte Kunst handelt. Als Plattform für ihre nicht kommerzielle und anti-kapitalistische Kunst dienen dem Unterground (neben öffentlichen Flächen, sofern es sich um Streetart handelt) verschiedene Projekträume, sog. "Offspaces": Diese können sowohl Ateliers als auch Lagerräume oder sogar Privatwohnungen sein, die im Gegensatz zu kommerziellen Ausstellungsräumen und Galerien kostengünstig und flexibler in der Gestaltung sind.

Underground und Mainstream: Ein Teufelskreis

Jede Großstadt hat ihre eigene Underground-Kunstszene. Ganz gleich ob London, Paris, New York oder Berlin – überall rebellieren (junge) Menschen gegen die tradierten und reglementierten künstlerischen Normen, indem sie provozieren und etwas "Neues" erschaffen, worüber alle sprechen. Doch genau jene Aufmerksamkeit, die die Künstler mit ihren Aktionen und Kunstwerken erreichen möchten, ist häufig auch ihr größtes Problem – denn wann immer etwas die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind die großen Konzerne nicht weit und versuchen, das neue "Phänomen" für sich nutzbar zu machen. So setzen bereits viele Hersteller Techniken der Streetart ein, um für eigene Zwecke zu werben.


Stilllebenmalerei: Bedeutung und Arten

„Mit einem Apfel will ich Paris in Erstaunen versetzen!“ Der hier spricht, ist Paul Cézanne. Und auch, wenn sein Vorhaben angesichts der belebten und schwer zu beeindruckenden Pariser Künstlerszene um 1870 recht kühn anmutet, so zeugt es neben dem künstlerischen Selbstbewusstsein des französischen Malers auch von der im 19. Jahrhundert ungebrochenen Faszination Europas für das sog. „Stillleben“. Die künstlerische Disziplin, die erst seit dem 17. Jahrhundert als eigenständige Kunstrichtung gilt, entwickelt sich zunächst als Hintergrundelement und Teil größerer Werke.

Das „Stillleben“ zeigt unbewegte oder leblose Gegenstände wie Blumenarrangements, Früchte oder Jagdbeute, die nach ästhetischen oder (je nach Genre) symbolischen Gesichtspunkten angeordnet sind. Da grundsätzlich jede Darstellung eines unbewegten Gegenstandes als Stillleben bezeichnet werden kann und die Artenvielfalt sich von Blumen- und Früchtestücken über Bücher-, Jagd- und Küchenstücke bis hin zu Masken- und Waffenstück erstreckt, sind die Übergänge der Gattung zur Genre- und Interieurmalerei fließend. Das früheste erhaltene Stillleben, für das man bereits von einer eigenständiger Komposition sprechen kann, ist das „Rebhuhn mit Waffen“ des französischen Malers Jacopo de' Barbari aus dem Jahre 1504.

Das Stillleben vor 1600: Bildschmuck und Hintergrundmotiv

Die Motive des Stilllebens kennt im Grunde jede Epoche, da jedes Bild auf bestimmte Art und Weise arrangiert und „komponiert“ ist. So finden sich Elemente des Stilllebens auf Wandbildern, Reliefs und Mosaiken bereits in der antiken ägyptischen, hellenistischen und römischen Kunst. In der frühen abendländischen Kunst sind die „stilllebenen“ Motive zunächst nur Teile größerer Werke, da die reine Darstellung eines Gegenstandes ohne 'symbolischen' Gehalt oder versteckte Aussage den künstlerischen Grundprinzipien des europäischen Mittelalters widerspricht. Entsprechend sind die Arrangements auf den Bildern des niederländischen Malers Jan van Eyck und des Flamen Robert Campin lediglich schmückendes Beiwerk mit allegorischem Gehalt, der sich nach dem jeweiligen Hauptmotiv richtet. Die allmähliche Entwicklung des einstigen Hintergrundmotivs zum Hauptgegenstand des Bildes findet erst in der zweiten Hälfte des 16. statt.

Im Jahre 1553 malt Pieter Aertsen, der heute als der erste niederländische „Stilllebenmaler“ gilt, die Szene „Christus bei Maria und Martha“ und lässt dabei die namensgebende biblische Szene weitestgehend in den Hintergrund treten, während das prächtig gemalte Stillleben den Mittelpunkt der Darstellung bildet. Durch das im 17. Jahrhundert erstarkende Bürgertum findet eine weitere Spezialisierung des Stilllebens (beispielsweise auf Blumen-, Jagd- und Küchenstillleben) statt, die mit den Gestaltungsmitteln des bürgerlichen Realismus rein aus Farbe, Form und Komposition aufgebaut sind. Bedeutende Künstler dieser ersten Blütezeit sind neben Pieter Aertsen auch Samuel van Hoogstraten, seines Zeichens ein Schüler Rembrandt van Rijns und Maler des berühmten „Steckbretts“ (um 1660), und Willem Kalf, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts für seine Arrangements filigraner Silber-, Gold- und Porzellangegenstände in Verbindung mit Früchten und Blumen bekannt wird.

Das Stillleben zwischen 1600 und 1800: Bürgerlichkeit, Vanitas & 'Memento mori'

Speziell in den Niederlanden schwankt das Stillleben zu Beginn des Barock zwischen bürgerlichen Motiven auf der einen und symbolischen Darstellungen auf der anderen Seite: Viele Stillleben der Zeit stellen die Macht und den Reichtum ihrer Auftraggeber durch besonders wertvolle Gegenstände, wissenschaftliche Instrumentarien und kostbare Blumenarrangements dar.

Allie_Caulfield - 2009-11-15 München, Alte Pinakothek 125 Peter Paul Rubens und Jan Brueghel d.Ä., Madonna im Blumenkranz.jpg – flickr.com

Ein bekanntes Beispiel ist hier Jan Brueghel der Ältere, der (aufgrund seiner Spezialisierung) auch „Blumenbrueghel“ genannt wird. Brueghel malt u.a. die Blüten der „Madonna im Blumenkranz“ von Peter Paul Rubens (siehe Bild). Die andere Seite dieses Lobgesangs auf das 'Diesseits' und die profane Sinnlichkeit bilden die Motive der Vergänglichkeit bzw. der „Vanitas“ (lat. vanitas = 'Leere, eitles Treiben').

Als DAS Vanitas-Symbol tritt der Totenschädel als Mahnung an die Sterblichkeit des Menschen bereits im 15. Jahrhundert auf. In Verbindung mit weiteren Motiven der Vergänglichkeit (Kerze, Sanduhr, Insekten, welkende Blumen etc.) bildet er im 17. Jahrhundert schließlich einen eigenen Typus von Stillleben aus. Das Vanitas-Motiv bezieht sich auf den Prediger Salomo im Alten Testament, welcher das satte, volle Leben stets mit seiner Kehrseite von Tod und Verfall verbindet. Die Mahnung des „Memento mori“ (= 'Bedenke, dass du sterben musst!') findet im niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts ihre vollkommene bildliche Darstellung. Doch auch später findet die barocke Symbolik noch Nachahmer – so zum in Paul Cézanne und seiner „Schädelpyramide“ von 1901. Im 18. Jahrhundert verliert das Stillleben an Bedeutung. Besonders in der streng akademischen Kunst Frankreichs bleibt das Stillleben, da es das Kriterium des 'Erhabenen' nicht erfülle, lange Zeit unbeachtet. Eine Ausnahme sind hier die Arbeiten von Jean-Siméon Chardin, dessen subtiler Bildaufbau und nuancenreiches Kolorit eine technische Weiterentwicklung der künstlerischen Gestaltung darstellen. In Italien tut sich vor allem Carravaggio als Meister des Stilllebens hervor – seine Arbeit „Früchtekorb“ von 1595/96 gibt es auch bei uns in der Galerie zu entdecken.

Das Stillleben ab 1800: Gefühlskult & Abstraktion

Das 19. Jahrhundert bedeutet einen Wandel für das Stillleben, da die realistische Darstellung immer mehr in Frage gestellt, zugleich jedoch nach neuen Möglichkeiten des Ausdrucks gesucht wird. So zeigt sich im Impressionismus mit Monet und van Gogh erstmals das Stillleben im (betonten) Spiel mit Atmosphäre und Licht (Monet) sowie das Stillleben als Ausdruck starker emotionaler Impulse (van Gogh). Zu abstrakteren Gestaltungen kommt es bereits im Expressionismus und später im Fauvismus, der das Stillleben rein aus Form und Farbe aufbaut. Zu neuer Blüte gelangt das Stillleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Durch die Arbeiten Paul Cézannes, der nach und nach die Perspektive auflöst, Größenverhältnisse konsequent missachtet und die Wirklichkeit als erster auf ihre reinen geometrischen Formen reduziert, wird das (stark abstrahierte) Stillleben in dieser Zeit zu einem Hauptthema der Kunst. Die beginnende Abstraktion im Stillleben zeigt sich auch in Cézannes Arbeit „Stillleben mit Äpfeln und Orangen“ von 1895.

Bild: Stillleben Orangen, Bananen, Zitronen, Tomaten von Paula Modersohn-Becker 

Cézannes Arbeiten sind stilbildend für den Kubismus und Künstler wie Picasso, Braque und Juan Gris, welche das Stillleben später nicht mehr nur aus Farbe und Form, sondern (mittels der Collage) auch aus Papier, Tapete, Sand, Holz und anderen Stoffen aufbauen: Das Stillleben wird dreidimensional. Eine ganz neue Form entsteht in den 1920er Jahren mit den Dadaisten, welche vorgefundene Gegenstände (franz. Objets trouvés) zu Kunstwerken erklären. Im Surrealismus schließlich wird das Stillleben um eine traumhaft-visionäre Komponente bereichert, indem Künstler wie Dalí und Magritte realistische Gegenstände verfremdet in visionären Umgebungen abbilden. Grundsätzlich bietet das Genre des Stilllebens der Kunst des 20. Jahrhunderts vor allem die Möglichkeit, sich experimentell mit dem Verhältnis des Künstlers zur Objektwelt auseinanderzusetzen und dieses neu zu definieren.