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Streetart: Vandalismus oder Kunst?

Eine junge Frau in Schwarz, die sich vornüber an die Wand stützt und einen Schwall kleiner roter Herzchen erbricht: Ist das Kunst? Als Jugendliche in den 60er Jahren die ersten Häuserzeilen und U-Bahnwaggons in der amerikanischen Bronx mit ihren Namenszügen verzieren, tritt die sog. „Graffiti-Kunst“ auch in Europa ihren Siegeszug an. Mittlerweile ist die „Streetart“, wie sie sich aus dem Graffiti entwickelt hat, ein globales Phänomen und ziert in allen Großstädten der Welt Häuserwände, Laternen, Gehsteige und Verkehrsschilder. Als Teilbereich der „Urban Art“ beschränkt sich die „Streetart“ in der Regel auf den städtischen Raum und die Gestaltung von vorhandenen Flächen.

Als Barack Obama im Jahre 2009 zum 44. Präsidenten der USA gewählt wird ist dies nicht nur ein Sieg für die Demokraten, sondern auch für die Streetart: Der Wahlsieg Obamas macht den Amerikaner Shephard Fairey, der das sogenannte „Change“-Plakat gestaltete, zum Star der Urban Art-Szene und seine Darstellung zur Ikone des gesamtem Wahlkampfs. Und damit nicht genug: Dank Internet, Smartphone und Digitalfotografie schaffen es immer mehr Streetart-Werke in Museen und Galerien, die vielfach auch direkt Arbeiten bei den entsprechenden Künstler in Auftrag geben.

Seit etwa zehn bis fünfzehn Jahren wird die Kunst im öffentlichen Raum und das dazugehörige unangepasst-jugendliche Image zunehmend auch für werbende Zwecke genutzt, indem die entsprechenden Shops Sticker an ihre Kundschaft verteilen, welche diese wiederum im weitläufigen Stadtgebiet anbringen. Der Hersteller Nike ist für großflächige Wandmalereien bekannt, deren kommerzieller Charakter auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, und die Firma Sony hat eigens eine Streetart-Galerie in Berlin-Mitte eingerichtet, um die Vermarktung der neuen „PlayStation Portable“ zu unterstützen.

Streetart – Zwischen Kunst und Rebellion

Während die amerikanische Graffiti-Bewegung in den 60er und 70er Jahren sich noch als Kampf gegen die Konsumgesellschaft und den Kapitalismus versteht und auf diese Weise schnell zum globalen Ausdruck von jugendkultureller Identität wird, richtet sich die Streetart als Teil der Urban Art zwar auch gegen die Privatisierung urbaner Räume, hat darüber hinaus jedoch auch einen klaren künstlerischen Anspruch. Neben den, durch die Graffiti-Kunst berühmt gewordenen, Spraydosen verwenden „Streetartler“ auch Poster, Pinsel, Malerrollen und Aufkleber sowie Sticker, um ihre Ideen umzusetzen.

"Wer ungefragt an eine Hauswand sprüht, begeht eine Sachbeschädigung. Für mich ist es so: Wenn jemand nur schnell mal seinen Namen hinkrakelt und das Werk keinerlei ästhetischen Anspruch hat, ist es Vandalismus." (Martin Arz, Koautor von „Street Art München“, 2012)1

Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Streetart auf Privatbesitz, für die keine Genehmigung vorliegt, um Sachbeschädigung. Von Vandalismus und einfachem „Gekrakel“ unterscheiden sich sowohl die Streetart im Besonderen als auch die Urban Art jedoch dadurch, dass der Gestaltung ein Prozess der Planung vorausgeht. Die Darstellung im öffentlichen Raum versteht sich deshalb als Kunstrichtung, weil sie mit der vorgefundenen Umgebung arbeitet, sie in die Gestaltung einbezieht und zum Teil des Prozesses werden lässt.

Obgleich es auch immer mehr Grundstückseigentümer und Gemeinden gibt, die Streetart-Künstlermit der Gestaltung dafür vorgesehener Flächen beauftragen, zeichnet sich die Kunst im öffentlichen Raum noch immer weitgehend vor allem dadurch aus, dass sie eben nicht dauerhaft (weil in den meisten Fällen illegal) ist. Diese Tatsache zieht zwei Folgen nach sich: Erstens bleiben die meisten Vertreter der Stilrichtung anonym und arbeiten ausschließlich unter der Verwendung von Pseudonymen. Zweitens hat sich mittlerweile eine breite Community formiert, die sich dem Auffinden und fotodokumentarischen Erhalten von Streetart widmet.

Die Stars der Szene – Weltbekannt trotz Anonymität

JapanBlack  - banksy – flickr.com

Als „Urvater“ der Streetart gilt der Pariser Künstler Gérard Zlotykamien, der zunächst mit Kreide und Pinsel, später jedoch mit Sprühfarbe arbeitet. Seine Darstellungen sind von gesellschaftlich-politischer Relevanz, da er sich mit Themen wie Tod, Krieg und Faschismus auseinandersetzt. Seine sogenannten „Éphémères“ ('vom baldigen Verschwinden Bedrohte'), bei denen es sich um abstrahierte Strichfiguren handelt, sind u.a. von der Judenverfolgung in Deutschland, Österreich und Frankreich während des Zweiten Weltkriegs inspiriert.

Ein aktueller „Star“ der Szene ist ein britischer Künstler, der unter dem Pseudonym „Banksy“ mittels Schablonengraffiti zunächst in Bristol und London (siehe Bild) und später auch in der ganzen Welt bekannt wird. Obgleich Banksy dem Kunstbetrieb nach eigener Aussage fernsteht, gibt es seit dem Jahre 2000 immer wieder Ausstellungen seiner Werke – u.a. die „Barely Legal“ 2006 in Los Angeles und die „Banksy vs. Bristol Museum“ 2009, zu der in weniger als sechs Wochen mehr als 300.000 Besucher kamen.

Auch auf deutschem Boden hat sich die Street Art mittlerweile zur anerkannten Kunstrichtung entwickelt. So werben Städte wie etwa Schwerin und Leipzig nicht nur mit „ihrer“ Streetart, um Touristen anzuziehen, sondern es werden auch regelmäßig Streetart-Festivals organisiert, die die Stars der Szene versammeln. So findet in diesem Jahr am 01. und 02. August bereits das fünfte Internationale StreetArt Festival in Wilhelmshaven statt.

1 https://www.welt.de/print/wams/muenchen/article106298775/Zwischen-Kunst-und-Vandalismus.html