Das offizielle Kunstmagazin für Kunstliebhaber

Kubismus: Alle Perspektiven auf einen Blick

"Alles in der Kunst bildet sich aus Kugel, Kegel und Zylinder." Dieser Ausspruch Paul Cézannes beschreibt das Grundprinzip der (aus heutiger Sicht) revolutionärsten Neuerung in der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts: des Kubismus (franz. 'cube' = Würfel, Kubus). Die Stilrichtung entsteht um 1907 in Frankreich, wo sie den Fauvismus ablöst, und führt das Prinzip der künstlerischen Abstraktion, das durch die französischen Post- und Neoimpressionisten begründet wurde, zu einem neuen Höhepunkt: Anstatt durch perspektivische Verfremdung oder unnatürliche Farbgebung wird der Gegenstand im Kubismus mathematisch analysiert und in seine geometrischen Formen zergliedert.

Im Allgemeinen unterscheidet man in dieser Stilrichtung eine frühe, eine analytische und eine synthetische Phase. Der Einfluss des Kubismus auf die Klassische Moderne ist kaum zu überschätzen: Obgleich es niemals, wie etwa im Futurismus oder dem Fauvismus, ein "Manifest" bzw. theoretische Niederschriften gegeben hat, leitet der Kubismus in der Bildenden Kunst eine neue Denkordnung ein, die in der Folge sogar auf die Bildhauerei, die Architektur und die Plastik übergeht. Zu den wichtigsten Vertretern zählen neben Pablo Picasso auch Robert Delaunay und Georges Braque. Obgleich sich die Bewegung bis in die 1920er Jahre fortsetzt, treten mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 bereits erste Zersetzungserscheinungen ein.

Frühkubismus ab 1907: Picasso und Braque

Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon

History Stack - Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon – pixabay.com

Als erstes „kubistisches“ Bild der Kunstgeschichte gelten die „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907) des französischen Malers Pablo Picasso: Hier zeigen sich fünf Prostituierte frontal einem imaginären Betrachter, während sie durch die spezifisch perspektivische Darstellung jedoch zugleich selbst eine Art Betrachter-Position einnehmen. Picassos Bild zeigt mit der beginnenden Zersplitterung der Frauenkörper in kubenähnliche Formen und der Reduzierung der Farbpalette auf gebrochene Töne wie Braun, Grau und Blau bereits die „typischen“ Merkmale des Kubismus. Zeitgleich mit Picasso arbeitet um 1907 auch Georges Braque an ersten Entwürfen, in denen Gegenstand, Farbe und Raum auf ihre jeweiligen Grundelemente zurückgeführt werden. In der Forschung wird häufig darüber diskutiert, ob beide Künstler unabhängig voneinander zur kubistischen Methode fanden oder ob Braque von Picasso inspiriert wurde.

Analytischer Kubismus (1910-1912): Vom Konkreten zum Abstrakten

Der Analytische Kubismus entwickelt die geometrische Aufsplitterung des Körpers weiter, indem er den Fokus noch deutlicher auf die Form legt und das Kolorit stärker reduziert, während reinfarbige (häufig schwarze oder weiße) Linien zur motivischen Begrenzung eingesetzt werden. Anstatt das Abgebildete jedoch „nur“ in seine Grundelemente zu zerlegen, strebt der Analytische Kubismus danach, diesen Zerlegungsprozess sichtbar zu machen und die unterschiedlichen Perspektiven frontal in einer Ansicht miteinander zu vereinen. Das Prinzip der 'Simultaneität' ist geboren. So werden Ansichten aus unterschiedlichen Sichtwinkeln zeitgleich dargestellt, wodurch sich der konkrete Gegenstand auflöst und durch einander durchdringende Einzelformen gleichsam neu konstruiert. Im Analytischen Kubismus liegt das Hauptaugenmerk auf Alltagsgegenständen und -situationen. Beispielhaft steht hier Georges Braques Bild „Krug mit Violine“ von 1910.

Auch Picassos Materialcollagen zählen zum Analytischen Kubismus: Während die „Zersplitterung“ des Gegenstandes in der Malerei allein durch Form und Perspektive erreicht wird, nutzt Picasso Materialien wie Sand, Holz und verschiedene andere Textilien, um Simultaneität durch plastische Effekte zu erzeugen. Seine diesbezüglichen Arbeiten sind auch wegweisend für die sog. „Kubistische Plastik“, welches das Prinzip der Simultaneität auf dreidimensionale Arbeiten überträgt. Wichtige Vertreter sind hier auch der amerikanische Bildhauer Alexander Archipenko und der deutsche Künstler Rudolf Belling.

Synthetischer Kubismus ab 1912: Vom Abstrakten zum Konkreten

Pablo Picasso - Bildnis Fernande Olivier

HEN-Magonza - Pablo Picasso, Bildnis Fernande Olivie – pixabay.com

Ab 1912 löst der Kubismus sich vollständig vom konkreten Gegenstand und arbeitet nur noch mit geometrischen Einzelformen, die synthetisch, das heißt ohne Vorlage eines Motivs, zu „neuen“ Objekten zusammengefügt werden. Während der Analytische Kubismus also konkrete Gegenstände in ihre Einzelformen zerlegt, existieren im Synthetischen Kubismus nur noch die geometrischen Formen, welche frei zu neuen Kreationen kombiniert werden, die teilweise auch fließend ineinander übergehen. Insgesamt ist der Kubismus in dieser letzten Phase wieder deutlich „bunter“, indem mit einander überlagernden Farbflächen gearbeitet wird, die durch starke Konturen voneinander abgesetzt sind. Auch die Verwendung kräftig reiner Farben ist ein beliebtes Stilmittel des synthetischen Kubismus.

Neben Braque und Picasso, dessen „Bildnis Fernande Olivier“ (1909) zu den bekanntesten synthetischen Kunstwerken zählt, ist der spanische Maler Juan Gris einer der wichtigsten Vertreter dieser Stilrichtung. Gris sind auch die einzigen theoretischen Schriften zu dem Thema zu verdanken, welche sich jedoch ausschließlich auf diese letzte Phase des Kubismus beziehen. Zu den bekanntesten Werken Gris` zählen das „Portrait von Pablo Picasso“ (1912) und der „Harlekin mit Gitarre“ aus dem Jahre 1919.


Action Painting: Die dynamisch-unbewusste Kunst

Der Surrealismus der Golden Fifties: Als in den späten 1940er Jahren die ersten Amerikaner beginnen, ihre Leinwände von der Staffelei auf den Boden zu verlagern und ihre Pinsel durch Holzstöcke, Farbeimer und Walzen zu ersetzen, erinnert das sehr an einen französischen Kunststil, der sich rund dreißig Jahre zuvor in Frankreich entwickelt hatte. Anders jedoch als der Surrealismus, dessen Werke programmatisch die Realität in Frage stellen, geht es im sog. Action Painting speziell um die Gegenständlichkeit des Bildes und die Erfahrung im künstlerischen Schaffensprozess. Das Action Painting entsteht als eine Strömung innerhalb des amerikanischen Expressionismus. Der bedeutendste Vertreter des Stils ist Jackson Pollock (siehe Bild).

Who is Who? Action Painting und die Kunstszene um 1950

Jackson Pollock – Number 32

Der Begriff 'Action Painting', 'Actionpainting' oder 'Aktionskunst' geht auf den amerikanischen Kunstkritiker Harold Rosenberg zurück, der 1952 einen Aufsatz über die neuartigen und ungewöhnlichen Gestaltungsmethoden des amerikanischen Expressionismus veröffentlicht und diesem die Überschrift „The American Action Painters“ gibt. Ab diesem Zeitpunkt hat die Bewegung zwar einen Namen, ist jedoch nicht klar von anderen Strömungen abgrenzbar. Als Unterkategorie der abstrakten Malerei steht sie den europäischen Erscheinungen von Tachismus und Informel nahe, das Dogma des unterbewussten Gestaltungsaktes rückt sie in die Nähe zur „Écriture automatique“ (Automatisches Schreiben) der Surrealisten. Die Tatsache, dass dem Kunstwerk im Action Painting keine konkrete Idee vorangeht und am Ende auch kein homogenes, in irgendeiner Weise definiertes Ergebnis steht, erinnert an die Techniken des Dadaismus.

Auch über die Genese der Gestaltungsprinzipien lässt sich keine definitive Aussage treffen, da beispielsweise nicht klar ist, ob Techniken wie das „Drip-Painting“ oder das „Schüttbild“ durch das Action Painting geprägt wurden oder ob Künstler, die der Aktionskunst zugeordnet werden, sich dieser Techniken zwar bedient, sie jedoch nicht „erfunden“ haben.

Dynamik und Unbewusstheit: Die Gestaltungsprinzipien der Aktionskunst

Das Action Painting löst sich komplett vom traditionellen Bild des Künstlers, der à la Monet oder Degas, den Pinsel in der einen, die Palette in der anderen Hand, sinnend vor seiner Staffelei steht: Der Schaffensprozess beginnt ohne konkrete Idee und Vorgaben – es gibt keinen Entwurf, keine Vorzeichnung und Vorstellung davon, was am Ende herauskommen soll: Action Painting ist limitiertes Chaos. Limitiert, weil es sich auf einen Malgrund beschränkt, der von der großen Leinwand über Stoffe und Holzpaletten so gut wie alles sein kann. Die Hauptsache ist, dass er ausreichend Platz und Bewegungsfreiheit bietet. Aus diesem Grund arbeiten die Aktionskünstler häufig auf dem Boden, damit sie sich auch über ihrem Malgrund bewegen und so ihren gesamten Körper in den Schaffensprozess einbinden können. Gemalt, gewalzt und gespachtelt wird mit Öl-, Acryl-, Aluminium- und Gouachefarben, die häufig einfach direkt aus der Tube auf den Malgrund gespritzt, getröpfelt (das sog. Tropfbild) oder in großen Mengen über die Leinwand geschüttet und gegossen werden. Viele Aktionskünstler arbeiten auch mit vollem Körpereinsatz, indem sie mit den Händen malen, sich über die Leinwand rollen oder Fußabdrücke auf ihr hinterlassen.

Nana - Niki de Saint Phalle

american_rugbier - Nana by Niki de Saint Phalle – flickr.com

Entscheidend ist, dass der Künstler das Werk erst im Schaffensprozess überhaupt „kennenlernt“, sich mit ihm vertraut macht und mit ihm gemeinsam eine eigene Dynamik entwickelt, in welcher es weiterwächst. Die Künstler versuchen, das bewusste Denken auszuschalten und sich ganz der Gestaltung und dem Farbrausch hinzugeben, damit das künstlerische Unterbewusstsein und die Stimmung des Augenblicks die Kontrolle übernehmen können. Entsprechend besitzen Bilder der Aktionskunst weder hierarchische noch perspektivische Organisation oder figurative Darstellung: Die Dynamik im Bild entsteht immer nur dadurch, wie weit der Pinsel bzw. Das jeweilige Arbeitsgerät vom Malgrund entfernt ist: Hockt der/ die Künstler auf dem Bild, entstehen andere Effekte, als wenn er oder sie die Farbe aus der Ferne aufbringt. Beispielhaft für einen relativ großen Abstand zwischen Künstlerin und Kunstwerk sind die "Schießbilder" der französisch-schweizerischen Malerin und Bildhauerin Niki de Saint Phalle, die durch ihre überlebensgroßen "Nana"-Skulpturen bekannt geworden ist.

Jackson Pollock: Tropfbilder & Dripping

Kein anderer Name ist so sehr mit der Aktionskunst verbunden wie der Jackson Pollocks, welcher noch heute als der wichtigste Vertreter dieses Kunststils gilt. Pollock war der erste „Mutige“, der die traditionellen Malmittel hinter sich ließ, und die Farbe direkt aus den Tuben auf die Leinwand spritzte bzw. aus Dosen auf den Malgrund tropfen ließ oder mit Kellen darüber ausgoss. Besondere Bekanntheit haben in diesem Zusammenhang Pollocks „Tropfbilder“ (1948) erlangt, die Sie auch bei uns in der Galerie entdecken können. Die Tropfbilder entstehen durch das sog. „Dripping“, dem Ausgießen oder Ausschütten der Farbe (in der Regel Farblacke) direkt über der Leinwand.

Durch die Technik entfaltet sich auf dem Malgrund eine regelrechte Landschaft fein gesponnener, dynamisch ineinandergreifender und vielschichtiger „Netze aus Farbspuren und Farbfäden“, die kunsthistorisch auch als „All over“ bezeichnet wird.

Weitere Vertreter der amerikanischen Aktionskunst sind:

Norman Bluhm,

Franz Kline und

Helen Frankenthaler


Klassizismus: Sehnsucht nach Antike und italienischer Renaissance

In gewisser Weise ist Kunst immer Nachahmung: Jedes Motiv ist schon einmal gemalt, gezeichnet oder gesprayt worden und jeder Künstler bzw. jede Künstlerin ist einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt ist, die seine bzw. ihre Arbeit prägen. Um 1800 bildet sich mit dem Klassizismus bzw. der Neoklassik in Kunst und Architektur jedoch eine Bewegung heraus, die in dem Stil vergangener Epochen nicht nur ein inspirierendes Vorbild sieht, sondern diese dezidiert kopiert. Das "Begehren" der klassizistischen Künstler richtet sich dabei vor allem auf die klassische Antike und die Formensprache der italienischen Renaissance.

Franz-Xaver Winterhalter Gemälde

Franz Xaver Winterhalter - Portrait of Empress Maria Alexandrovna

Der Begriff "Klassizismus" wird häufig mit der Epoche der klassischen Antike verwechselt. Während diese jedoch die Geschichte des antiken Griechenland, des Hellenismus und des darauf folgenden Römischen Reiches bezeichnet, bedeutet "Klassizismus" die Rückwendung (und häufig auch das Kopieren) zu der künstlerisch-architektonischen Formensprache der Antike. Kunstgeschichtlich ist die klassizistische Epoche auf den Zeitraum zwischen 1770 und 1840 datiert und löst den Spätbarock bzw. das Rokoko ab. Die nicht-europäische Bezeichnung für den Klassizismus lautet "Neoklassik", die wiederum nicht mit den neoklassizistischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verwechseln ist.

Ab 1840 wird der Klassizismus in der Architektur vom Historismus abgelöst, einer eklektischen Strömung, die auf unterschiedliche architektonische Stile, darunter etwa Romanik, Gotik, Barock und Renaissance, zurückgreift und deren Formensprache nicht nur kopiert, sondern die einzelnen Elemente miteinander kombiniert und steigert. "Geistige" Wegbereiterin des Klassizismus ist die Aufklärung, welche dem gefühlsbetonten Rokoko klare Strukturen und das Primat der Vernunft entgegensetzt.

Klassizistische Architektur: Sehnsucht nach der (griechischen) Antike

Der Klassizismus versteht sich bereits in seiner frühen Phase als künstlerisches Gegenprogramm zu der ausladenden, verschnörkelten Formensprache des (Spät)barock und der ornamentalen, aufwändigen Kunst des Rokoko: Durch die Sehnsucht nach natürlichen und schlichteren Formen wird die Erforschung der antiken Kunst und Architektur vorangetrieben, wie sie beispielsweise die Athener Akropolis aufweist. Da die klassische Architektur sich insbesondere durch einfache Formen sowie klare Linien und Gliederungen auszeichnet, werden diese schlichten, aber eindrucksvollen Grundformen in der Architektur zum Vorbild. Bedeutend für die Wiederentdeckung der klassischen Formensprache ist in Deutschland vor allem der Bibliothekar und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann. Fortan bildet das geometrische Formeninventar von Quadrat, Kreis, Kugel und Pyramide den Grundstein der klassizistischen Architektur.

Beispiele für klassizistische Architektur sind:

das Neue Potsdamer Tor in Berlin,

die St.-Pauli-Kirche in Hamburg und

der Triumphbogen in Paris sowie

die Gloriette in Schönbrunn (Wien).

Ein bekannter klassizistischer Architekt aus Deutschland ist Karl Friedrich Schinkel, der u.a. den Zentralbau der Nikolaikirche in Potsdam entworfen hat.

Klassizistische Malerei: Sehnsucht nach der italienischen Renaissance

Während die klassizistische Architektur ihr Vorbild in den klassischen griechischen Tempelbauten sieht, orientiert sich die Malerei dieser Zeit vornehmlich an der Italienischen Renaissance, die kunstgeschichtlich etwa auf das 15. und 16. Jahrhundert datiert ist. Da allerdings auch die Renaissance sich sowohl die bildnerische Formensprache als auch das Wissen und die philosophischen Vorstellungen der griechischen und römischen Antike zu eigen gemacht hatte, prägen Elemente wie idealisiertes Ebenmaß und Harmonie, sowie idealisierende Darstellung der Natur sowohl die Architektur als auch die klassizistische Malerei. In Letzterer werden schon bald Kriterien und Richtlinien zur Erzeugung jener "richtigen" Kunst festgelegt. Parallel zum Klassizismus entsteht in der Bildenden Kunst (und der Literatur) auch die Bewegung der Romantik, welcher den vernunftzentrierten, an der Aufklärung geschulten Denkstrukturen der klassizistischen Epoche eine Art Gefühlskult entgegensetzt.

Die klassizistischen Maler lösen sich von den allegorisch-symbolischen Motiven der Barockzeit und orientieren sich an klassischen literarischen Szenen der griechischen und römischen Antike. Ziel ist es, die „Fehler“ der realen Erscheinung im künstlerischen Kunstwerk auszugleichen und der Wirklichkeit eine idealisierte Fassung ihrer selbst entgegenzustellen. Zu diesem Zweck verbringen klassizistische Künstler wie François Gérard, Antoine-Jean Gros und Gottlieb Schick viel Zeit mit dem Studium der „alten Meister“ in Museen und Kunsthäusern, um sich mit den Gestaltungsregeln der antiken Kunstwerke vertraut zu machen. Der pastose, extrem intensive Farbauftrag des Barock und Rokoko weicht zunehmend einem flächigen Farbauftrag, welcher der harmonischen Gesamtkomposition entspricht. Ausdruck dieses festen Regelwerks ist auch die „Ecole des Beaux-Arts“ in Paris, die erst während der künstlerischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Einfluss verliert.

Bekannte klassizistische Gemälde sind u.a. das „Bildnis des Johann Jochamin Winckelmann“ der deutschen Künstlerin Angelika Kauffmann aus dem Jahre 1764, der „Schwur der Horatier“ des Historienmalers Jacques-Louis David von 1784 und ein Bildnis der österreichischen Kaiserin Elisabeth (Sissi) aus dem Jahre 1865, gemalt von Franz Xaver Winterhalter (Beispielgemälde siehe oben).


Fauvismus vs. Expressionismus: Zwei Namen, ein Konzept?

Rote Pferde, gelbe Bäume, blaue Menschen – was in Deutschland als "expressionistisch" bezeichnet wird, gilt in Frankreich als Fauvismus. Tatsächlich kommt es nicht von ungefähr, dass die 'Fauves' (die 'Wilden') um Henri Matisse und André Derain häufig als die "französischen Expressionisten" betitelt werden, denn die gestalterischen Mittel und die weltanschaulichen Hintergründe sind ungefähr deckungsgleich – mit dem Unterschied, dass es sich beim Expressionismus um eine gesellschaftskritische, international ausgerichtete Strömung handelt.

Einer der Gründe, weshalb die Unterscheidung zwischen Fauvismus und Expressionismus heute so schwer so treffen ist, ist die Tatsache, dass beide Stilrichtungen sich um 1905 in Abkehr von der impressionistischen Malerei entwickeln. Während der Fauvismus jedoch fast ausschließlich auf Frankreich beschränkt bleibt, wird von der expressionistischen Strömung insbesondere auch Deutschland erfasst, wo sich in den Künstlergruppierungen "Die Brücke" (Berlin) und der "Blaue Reiter" (München) eine eigene Ausprägung dieser Kunst ausbildet.

Nichtsdestotrotz liegen die Wurzeln beider Stilrichtungen in den postimpressionistischen Strömungen Frankreichs, die entweder (wie etwa Seurat oder Pissarro) die impressionistischen Techniken weiterentwickeln, wodurch u.a. der sog. 'Pointillismus' entsteht oder sich aber bewusst von den Gestaltungsmitteln eines Claude Monet oder Edgar Degas abwenden. Zu diesen Künstlern zählen Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Henri de Toulouse-Lautrec, die in der Folge zu jeweils unterschiedlichen Stilen finden und u.a. Wegbereiter des Cloisonismus und Synthetismus werden.

Die Expressionisten: Progressiv & kämpferisch

Nachtcafé, Van Gogh

Das entscheidende historische Ereignis, das die Entstehung der expressiven Kunst aus der Kunst der Impression (= Impressionismus) in Gang setzt, ist der Erste Weltkrieg. Während die Impressionisten fortschrittsoptimistisch die Errungenschaften der Industriellen Revolution feierten und auf unzähligen Leinwänden die florierende Metropole Paris verherrlichten, ist diese jüngere Generation von einem tiefen Zweifel bzgl. des rasanten technischen Fortschritts geprägt. Die Expressionisten empfinden stark die 'Beschleunigung' der Welt und die Problematik des Individuums. Zudem lassen die umfassenden technischen Neuerungen Zweifel an der Wahrnehmungsfähigkeit des menschliches Auges aufkommen: Jene „neue Welt“ scheint den Malern ab 1900 nicht mehr auf Leinwand zu bannen zu sein.

Die Folge ist eine drastische Abkehr von den impressionistischen Gestaltungsmethoden zugunsten des Ausdrucks im Inneren: Das jeweilige Motiv wird nicht länger mimetisch abgebildet, sondern an Stelle seiner Gegenständlichkeit treten die Empfindungen des Künstlers. Im Gegensatz zu den Impressionisten strebt diese neue Generation nicht danach, den flüchtigen Augenblick festzuhalten, sondern ihre eigenen Sinneseindrücke und emotionalen Erlebnisse unmittelbar auf das Bild zu übertragen. Auf diese Weise wird das expressionistische Kunstwerk zum Medium einer Botschaft, die auch programmatisch festgeschrieben wird: Man wendet sich dezidiert gegen das Bürgertum und die sog. „akademische Kunst“ und orientiert sich stattdessen an der naiven Volkskunst zu, die weniger „verbildet“ erscheint. Mit der Abkehr von den traditionellen Gestaltungsmethoden geht auch die Reduktion der künstlerischen Mittel einher: Die Perspektiven verschwimmen, „Tiefe“ wird rein durch Farbe und Form aufgebaut.

Die Expressionisten streben keine mimetische Wiedergabe an, sondern verfremden bis zur vollständigen Deformation des Gegenstandes. Neben der „Brücke“, zu der u.a. Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und später auch Emil Nolde zählen, und dem „Blauen Reiter“ um Wassily Kandinsky und Franz Marc, formiert sich mit den "Peintre Maudits", zu denen u.a Amadeo Modigliani, Joan Miró und (zeitweise) Pablo Picasso zählen, auch in Frankreich eine explizit expressionistische Gruppierung.

Sehr bekannte expressionistische Arbeiten sind beispielsweise die „Großen blauen Pferde“ (1911) von Franz Marc und die „Dame in grüner Jacke“ (1913) von August Macke. Zu den frühesten als Expressionismus bezeichneten Werken zählen Van Goghs „Sternennacht“ von 1889 und das „Nachtcafé“ aus dem Jahre 1888 (siehe Bild).

Die Fauvisten: Plakativ & träumerisch

Natürlich sind die Übergänge zwischen Expressionismus und Fauvismus fließend, da viele Künstler (wie beispielsweise Amadeo Modigliani und Kees van Dongen) bereits damals mal zur einen, mal zur anderen Seite gezählt werden. Aus diesem Grund lassen sich die beiden Kunstrichtungen weniger durch ihre Mitglieder, als vielmehr durch ihr Programm bzw. ihr nicht vorhandenes Programm unterscheiden. Während die Expressionisten deutlich progressiv sind und auch eine „geistige Erneuerung“ der Kunst anstreben, hat die heterogene Gruppierung um Henri Matisse, die von dem Kunstkritiker Louis Vauxcelles 1905 mit dem Ausdruck „Fauves“ belegt wird, im Grunde kein Programm, da ein Zusammenschluss niemals vorgesehen war. Erst Jahre später äußert Matisse sich zu den theoretischen Grundlagen des Fauvismus – und diese sind deutlich „ätherischer“ als jene des (deutschen) Expressionismus:

„Wenn die Mittel so verbraucht sind [wie in der Malerei des 19. Jahrhunderts], dass ihre Aussagekraft erschöpft ist, dann muss man zu den Grundlagen zurückkehren.“ (Henri Matisse)

Das konstitutive Merkmal der fauvistischen Arbeiten ist demnach vor allem eines: Farbe – und zwar reine Farbe. Zwar bricht auch der Expressionismus mit der naturgetreuen Wiedergabe des Motivs, doch tut er es auf eine drastische, häufig gar naive Weise. In den Kunstwerken der Fauves hingegen wird die Farbe um ihrer Selbstwillen eingesetzt und mit einer aufwändigen geplanten Komposition verbunden, die man den Bildern selbst in der Regel nicht ansieht. Matisse spricht in diesem Zusammenhang von der „Reinheit der Mittel“, wie sie beispielsweise in seinem Akt „Blue Nude“ zu sehen ist. Anders als den Expressionisten geht es Matisse, Derain & Co. nicht um den Ausdruck des emotionalen Erlebens des Künstlers, sondern um den Ausdruck der Komposition: Die Fauves sehen das oberste Ziel darin, Farben, Konturen & Leinwand in Einklang zu bringen und ihnen eine „Stimme“ zu geben. Trotz dieser Unterschiede wird der Fauvismus häufig als eine „Teilströmung“ des internationalen Expressionismus bezeichnet.


Stilmerkmale des Fauvismus: Die "bunte" Kunst

"Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien!" Als der Kunstkritiker Louis Vauxcelles im Jahre 1905 anlässlich einer Ausstellung im Pariser Salon d'Automne diesen Ausruf tut, gibt er damit einer Reihe von jungen Künstlern ihren Namen, die sich bis dahin gar nicht als Gruppe gesehen hatten: den "Fauves" (franz.: die 'Wilden'). Als Strömung der französischen Avantgarde besteht der Fauvismus zwischen 1904 und 1908 und leitet durch seine Abkehr vom Postimpressionismus den Übergang zur Klassischen Moderne ein. Zu den bekanntesten Vertretern zählen neben Henri Matisse vor allem Maurice de Vlaminck und André Derain, die sich ab 1907 selbst als die 'Fauves' bezeichnen und damit den Ausdruck Vauxcelles übernehmen.

Die beiden Wegbereiter des Fauvismus: Impressionismus und Expressionismus

Die klassische Moderne beginnt dort, wo die mimetische Wiedergabe der Wirklichkeit in den Hintergrund tritt und der Künstler erstmals eine Synthese dessen abbildet, was er sieht, fühlt und denkt. Mit dieser neuen Freiheit der Kunst wird um 1900 nicht nur der individuelle Ausdruck, sondern auch der Stil geboren. Mit der Loslösung von den Traditionen des akademischen Kunststils geht auch eine neue Freiheit der Form einher und die Künstler beginnen, mit Perspektive, Raum und Farbe zu experimentieren. Als erste große avantgardistische Strömung etablieren sich Ende des 19. Jahrhunderts die 'Impressionisten' um Claude Monet: Diese Künstler, die sich ganz der "Faszination des Augenblicks" verschreiben, lösen sich von dem gegenständlichen Wert ihrer Motive zugunsten des subjektiven Sinneseindrucks und versuchen, die Wirklichkeit in Licht und Farbe aufzulösen. Ihren Namen erhalten sie nach dem Gemälde "Impression: soleil levant" ('Impression, Sonnenaufgang) von Claude Monet.

Claude Monet, Jardin de Giverny, Impressionismus

Während die Impressionisten als mehrheitlich bürgerliche Kunst die Errungenschaften der Industriellen Revolution in farbenfrohen Momentaufnahmen feiern, entsteht etwa um 1905 eine neue Generation, die bereits durch die Schrecken des Ersten Weltkriegs geprägt ist: Die 'Expressionisten' brechen radikal mit dem naiven Farbrausch ihrer Vorgänger, indem sie nicht die blühende Metropole Paris, sondern das von Isolation und Anonymität bedrohte Individuum abzubilden suchen. Anders als der Impressionismus, der auf die Schönheit der äußeren Erscheinung setzt, geht es den Expressionisten um den Ausdruck im Inneren: Das Kunstwerk soll sich von seiner illusionistischen Abbildfunktion emanzipieren. Zu diesem Zweck werden die Regeln der formalen Malerei aufgelöst und die künstlerischen Mittel radikal reduziert. Neben den französischen "Peintre Maudits", zu denen u.a. Pablo Picasso, Joan Miró und Amadeo Modigliani zählen, formieren sich mit der „Brücke“ (Berlin) und dem „Blauen Reiter“ (München) auch in Deutschland zwei expressionistische Gruppierungen.

Der Fauvismus in der französischen Avantgarde

Henri Matisse, La Danse

Da der Fauvismus ebenfalls um 1904/05 entsteht, finden sich in den entsprechenden Arbeiten sowohl expressionistische als auch postimpressionistische Einflüsse. Die jungen Maler um Henri Matisse orientieren sich an der (rein aus Farbe aufgebauten) Perspektive Van Goghs und dem intensiven Farbreichtum Paul Gauguins, welcher sich, als Wegbereiter des Synthetismus, bereits deutlich vom Impressionismus abkehrt. Den stärksten postimpressionistischen Einfluss übt der 'Pointillismus' auf die Fauves aus: Dieser von Georges Seurat entwickelte Stil steigert bewusst die „Aufspaltung“ der Farbpalette in reine Farben, indem er sie ungemischt in winzigen Tupfern direkt auf der Leinwand aufbringt. Auf diese Weise entsteht (ähnlich wie bei Van Gogh) Perspektive aus reinem Farbauftrag. Vom 'Cloisonismus' übernehmen die Fauves die Abstraktion von Perspektive, Farbspiel und Detailreichtum, sowie die starke hell-dunkel Konturierung von Flächen im Stile der naiven Volkskunst. In dieser Reduktion auf elementare Formen findet sich bereits eine Vorstufe zum späteren Kubismus.

Anders jedoch als der Expressionismus, der über ein explizites ästhetisches Programm verfügt, kommt es in der heterogenen Gruppe der Fauves nicht zur Formulierung eines Manifests. Henri Matisse äußert sich erstmals Jahre nach der Auflösung der Gruppierung theoretisch zum Fauvismus und betont dabei insbesondere dessen experimentellen Charakter. Zwar bleiben die hauptsächlichen Motive traditionell Landschaften, Portraits und Stillleben, doch sieht sich die recht antiquierte Pariser Kulturszene plötzlich antinaturalistischer Farbgebung, die Vorder- und Hintergrund in einem wilden Farbrausch zur Fläche werden lässt. Insbesondere die "Académie des Beaux-Arts", welche einen strengen akademischen Kunststil fordert, lehnt diese 'Wildheiten' kategorisch ab.

Der Fokus der Fauves liegt auf Landschaftsbildern vom Süden Frankreichs, wie sie bereits Van Gogh bevorzugt gemalt hatte. Zu diesem Zweck unternehmen die Künstler um Matisse in wechselnden Gruppierung Sommer- und Herbstfahrten nach Saint-Tropez, Marseille und La Ciotat, wo sie häufig mit anderen Malern zusammenarbeiten. Bekannte, auf diesen Reisen entstandene, Bilder sind u.a. "Paysage du Midi" von Albert Marquet von 1906 und "Batelli nel porto" sowie „Mountains at Collioure“ von André Derain aus dem Jahre 1905. Ebenfalls in diesem Jahr entstehen die „Papageien-Tulpen“ von Matisse. Der Verzicht auf die traditionelle Perspektive ist in Matisse „Intérieur à la fougére noire“ sehr deutlich, auch wenn die räumliche Tiefe hier durchaus noch angedeutet wird. Gänzlich „flächig“ wirken hingegen La Danse“ von 1909, das Sie auch online in unserer Galerie finden.


'Gothic Revival': Stil und Merkmale der Neugotik

Was haben die Wiener Votivkirche, das Budapester Parlament und das Neue Rathaus in München gemeinsam? Richtig: Sie alle sehen mit ihren Rippengewölben und Spitzbögen viel "älter" aus als sie sind. Allesamt zwischen 1830 und 1900 entstanden, sind sie Beispiele für den Historismus des 19. Jahrhunderts, der sich an den Architektur- und Kunststilen früherer Jahrhunderte orientiert. Im Falle von Kirche, Parlament und Rathaus handelt es sich bei dem kopierten Stil um die "Gotik", welche im 18. und 19. Jahrhundert zunächst in England und später auch in Kontinentaleuropa wieder aufgegriffen wird. Ausgehend von dieser Epoche, trägt ihre Nachahmung den Namen "Neugotik" (dt.) bzw. "Gothic Revival" (engl.).

Vom Stephansdom bis Notre Dame – die Gotik

Bei der Gotik handelt es sich um eine europäische Kunst- und Architekturepoche, die um 1140 in Frankreich, in der Region um Paris entsteht, und die noch eng mit der Romanik verknüpft ist. Die einzelnen Phasen von Früh-, Hoch- und Spätgotik prägen sich in den unterschiedlichen Ländern zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten aus; spätestens ab 1550 gilt die Gotik jedoch als beendet und wird (zunächst in Italien und Frankreich) durch die Renaissance "abgelöst". Bekannt ist diese Epoche heute vor allem für ihre herausragenden architektonischen Schöpfungen, unter denen das "Meisterstück" die gotische Kathedrale ist. In der übrigen bildenden Kunst hingegen ist der gotische Stil nicht eindeutig abgrenzbar.

Stephansdom in Wien

Dennis Jarvis - Austria-00040 - Last View of St. Stephen's Cathedral – flickr.com

Die Fokussierung der Gotik auf den sakralen Bau erklärt sich daraus, dass es sich um eine Epoche strenger christlicher Werte handelt, in der es Aufgabe von Kunst und Architektur ist, die christliche Ideenwelt materiell zu manifestieren. Die Kathedrale gilt als Meisterwerk der Gotik, da sie alle künstlerischen Schöpfungen des Mittelalters in den Bereichen Architektur, Malerei, filigraner Glaskunst und Plastik in sich vereint. Die gotische Kathedrale markiert den Übergang zu einer neuen Art des Kirchenraums, da sie die romanischen Rundbögen und Tonnengewölbe durch eine filigranere Bauweise ablöst, bei der durch Kreuzgewölbe und Spitzbögen höheres Bauen möglich wird. Während die Wände der romanischen Kirchen bis zum Ansatz des Daches in der Regel geschlossen waren, werden sie in der Gotik durch Fensterreihen durchbrochen, wodurch der Kirchenraum erstmals "lichtdurchflutet" wird.

Insgesamt ist die gotische Bauweise deutlich "schmuckvoller" als ihre Vorgänger: Durch die Verwendung von Strebe- und Bündelpfeilern, die das Gewicht des Gewölbes tragen, werden die Wände statisch quasi überflüssig. Die großzügige Raumaufteilung wird optisch durch Rippen, Fensterrosen und Giebel unterstützt, während der Chor in der Regel um einen Kapellenkranz erweitert wird. Bekannte gotische Sakaralbauten sind neben dem Stephansdom in Wien (siehe Foto) und der Kathedrale Notre-Dame in Paris außerdem die Sainte-Chapelle (ebenfalls in Paris), die Liebfrauenkirche in Trier, der Straßburger Münster und der Kölner Dom. Das umfassende Bauprogramm, das sich um 1830 dank des Gothic Revivals entwickelt, knüpft an ein idealisiertes Mittelalterbild an und strebt danach, die Geisteskultur jener Zeit für die eigene Epoche nutzbar zu machen.

Neugotik oder 'Gothic Revival': Sehnsucht nach dem Mittelalter

Die Wiederaufnahme der Gotik beginnt etwa um 1750 mit dem Bau von Landhäusern wie beispielsweise "Strawberry Hill" im englischen Twickenham. Von England weitet sich die Neugotik rasch auf Kontinentaleuropa aus, wo mit dem Nauener Tor (Potsdam) auf Anweisung Friedrich des Großen auch das erste neugotische Bauwerk in Deutschland entsteht. Während das Gothic Revival schon in England von einem historistischen Ideal getragen ist, welches die Architektur vergangener Zeiten zum neuen Fixpunkt macht, verbindet sich die Neugotik in Deutschland mit einem spezifischen Nationalitätsbewusstsein, das insbesondere das deutsche Kaiserreich zum Sehnsuchtsbild macht. In den 1830er Jahren entsteht in England das – bis heute – repräsentativste Gebäude in neugotischem Stil: das Londoner Parlament, geplant von Sir Charles Barry.

Für das Gothic Revival bleibt es allerdings nicht bei der Nachahmung von Spitzbögen und Strebefeilern: Man versucht, die Formensprache eines idealisierten (!) Mittelalterbildes auf die zeitgenössische Architektur zu übertragen, wobei häufig der Symbolcharakter der gotischen Formenlehre außer Acht gelassen wird. Aus diesem Grund finden sich viele Formenelemente (wie beispielsweise die Spitzbögen) an Rathäusern, Schulen oder Bahnhöfen des 19. Jahrhunderts, obgleich diese ursprünglich den Sakralbauten vorbehalten waren. Ähnliches gilt für die Handwerkskunst und die Glasmalerei dieser Zeit, die sich zwar am gotischen Vorbild orientieren, die Darstellung jedoch "modernisieren". Aus diesem Grund wirken viele neugotische Bauten deutlich "verspielter" (bisweilen verschwimmt auch die Grenze zum Kitsch) als ihre (echt-)gotischen Vorbilder.

Bekannte neugotische Bauten sind neben der Wiener Votivkirche, dem Münchner Rathaus und dem Budapester Parlament außerdem das Wiener Rathaus, die Herz-Jesu-Kirche in Graz, St. Paul in München und das Rijksmuseum ('Reichsmuseum') Amsterdam.


Pop Art in 3D: Farbenfroh & lebendig

Eine Blondine mit plakativer Sprechblase und eine neun-köpfige Marilyn in unterschiedlichen Schattierungen – DAS ist Pop Art. Als Krönung der avantgardistischen Strömungen entsteht die sog. "Popular Art" Mitte der 1950er Jahre zeitgleich in den USA und in England und erobert innerhalb kürzester Zeit auch das restliche Europa. Die Bewegung wendet sich dezidiert den 'niederen' Motiven des Alltags zu, indem sie die Welt der Massenmedien, des Konsums und der allgegenwärtigen Werbebotschaften zum Fixpunkt der künstlerischen Tätigkeit macht. Ein Vertreter der zeitgenössischen Pop Art ist der US-amerikanische Künstler Charles Fazzino.

Pop Art als "Anti-Kunst"

Wie der Name schon sagt, versteht die 'Popular Art' sich als Kunst für die Massen. Das heißt, dass nicht nur das Pop-Art-Kunstwerk selbst sich (akademisch betrachtet) durch relative Anspruchslosigkeit auszeichnet, sondern dass auch die Motive aus dem Bereich des Trivialen stammen: Pop Art zeigt die Welt von Konsumwahn und Massenmedien, von Werbebotschaften und kapitalistischem Wettbewerbsgeist. Als solche kontrastiert sie in besonderer Weise die Abstrakte Kunst, wie sie mit dem analytischen und synthetischen Kubismus, Konstruktivismus und Suprematismus, dem 'Bauhaus', der "Straight Photography" und dem abstrakten Expressionismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden war.

Gegen diese Richtungen, die u.a. durch die kunsttheoretischen Betrachtungen von Künstlern wie Wassily Kandisky in dem Ruf einer besonders "intellektuellen" Kunst stehen, formiert sich die Popular Art als eine bewusste Anti-Kunst. Gestalterisch schlägt sich dies durch eine meist fotorealistische Darstellung, klar definierte Strukturen und extreme Plakativität nieder. Darüber hinaus arbeiten viele Pop-Art-Künstler in Comic-Manier mit schwarzen Umrandungen, sog. "Outlines" und verwenden neben den Unbunten ausschließlich die Primärfarben. Während die frühe Pop Art die Welt des wiedererlangten Wohlstands nach dem Zweiten Weltkrieg preist, arbeiten die späteren Popkünstler sozialkritischer: Jüngere Werke setzen sich mit Problematiken wie den Rassenunruhen, dem Vietnamkrieg und dem steigenden Drogenkonsum in den USA während der 1960er Jahre auseinander, welche kritisch reflektiert werden.

Roy Lichtenstein – Thinking of Him

Die "Helden" der Pop Art

Als Begründer der Pop Art wird häufig der britische Künstler Richard Hamilton genannt, dessen Collage „Just What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?“ aus dem Jahre 1956 als erstes Werk gilt, das alle Merkmale der Popular Art in sich vereint. Das Werk ist Grundlage für das Plakat zur Ausstellung "This is Tomorrow", die im gleichen Jahr in der Whitechapel Art Gallery in London stattfindet. Hamilton seines Zeichens ist Mitglied der sog. "Independent Group", die sich vier Jahre zuvor am Londonder "Institute of Contemporary Art" formiert hatte und als erste Künstlergruppe Großbritanniens die Nutzbarmachung der Trivialkultur für die Kunst forderte.

"Pop ist love, denn es akzeptiert alles ... Pop ist die Bombe werfen. Es ist der amerikanische Traum, optimistisch, generös und naiv ..."

In den USA ist die Popular Art von Beginn an deutlich kritischer und weniger theoretisch orientiert, da sie als direkte (ablehnende) Reaktion auf den abstrakten Expressionismus der späten 40er Jahre entsteht. Als Wegbereiter gelten hier u.a. Richard Lindner, der aus der 'Neuen Sachlichkeit' kommt und deren grotesk-entlarvenden Elemente mit der modernen Werbesprache verbindet. Als Pop Art-typisch gelten auch viele Werke von Jasper Johns, dessen Bild „Target“ es in unserer Galerie zu entdecken gibt. Die bekanntesten frühen amerikanischen Popkünstler sind neben Robert Rauschenberg sicher Roy Lichtenstein und Andy Warhol, der für seine Siebdrucke bekannt geworden ist. Seine Marilyn-Serie (siehe Bild), die zu den bekanntesten Werken Warhols zählt, finden Sie auch in unserer Kunstgalerie online!

Andy Warhol – Marilyn

Neue Zeit und neue Ausdrucksform: Charles Fazzino

Der amerikanische Künstler Charles Fazzino hat im Bereich Pop Art bereits mit allen Mitteln gearbeitet, die dem Dogma der Bewegung entsprechen – darunter etwa Lithographie, Radierung und überdimensionierte Acrylbilder. Mit seiner 3D-Technik jedoch hat er die Kunstrichtung vor rund dreißig Jahren im wahrsten Sinne des Wortes in eine neue Zeit geführt, indem er der ursprünglich plakativen und eindimensionalen Gestaltungsweise eine neue räumliche Perspektive entgegensetzte. Die Tiefe in seinen Werken wird durch extremen Detailreichtum und starke Farbkontraste kreiert, durch welche mehrere Bildebenen gleichzeitig dargestellt werden können.

Charles Fazzino – Eating New York

Wie auch bei den Pop Art-Künstlern der ersten Stunde ist Fazzinos bevorzugtes Motiv das quirlige und bunte Leben im urbanen Raum. In Fazzinos Fall insbesondere das Leben in seiner Heimatstadt New York. Dabei fängt er stets verschiedene Aspekte des Lebens in der amerikanischen Großstadt ein, wie beispielsweise in seinem Bild "Eating New York", das Sie auch bei uns in der Galerie finden (siehe Bild). Zu Fazzinos Markenzeichen zählt der Apfel, der sich nicht nur (mehr oder weniger versteckt) in vielen seiner New York-Bilder findet, sondern manchmal auch das hauptsächliche Motiv bildet – wie beispielsweise in "The Apple is Manhattan".


Postimpressionismus – Kunststile und Künstler auf dem Weg in die Moderne

Alle schauen auf Paris: Während man im restlichen Europa noch immer den Tod der Geschichte verkündet und die Wirklichkeit in Form und Farbe auflöst, etablieren sich in Frankreich zwischen 1880 und 1905 schon wieder neue künstlerische Formen, die den Impressionismus zum Teil weiterentwickeln, sich zum Teil aber auch bewusst von ihm abgrenzen. Die Stile, die in dieser Zeit entstehen, werden unter dem Begriff "Post-, Nach- oder Spätimpressionismus" zusammengefasst, da sie alle in Abhängigkeit von der durch Claude Monet geprägten impressionistischen Malweise entstehen.

Während der Spätimpressionismus (häufig auch als Neoimpressionismus bezeichnet) sich in starker Abhängigkeit zur impressionistischen Malerei entwickelt und deren Techniken, beispielsweise durch den von Georges Seurat geprägten Pointillismus, lediglich weiterentwickelt, zeichnet sich der Post- bzw. Nachimpressionismus vor allem durch die dezidierte Überwindung des impressionistischen Dogmas aus, ohne jedoch seinerseits zu einem homogenen ästhetischen Stil zu finden. Zu den Künstlern, die die Überwindung des Impressionismus in Gang setzen und dadurch den entscheidenden Schritt in die künstlerische 'Moderne' wagen, zählen u.a.:

Vincent van Gogh,

Paul Cézanne und

Paul Gauguin.

In den Spuren des Impressionismus: Der Pointillismus (Divisionismus)

Während sich die impressionistische Malweise betont subjektiven Sinneseindrücken hingibt und versucht, Objekte in Licht aufzulösen und mit Farbe auf die Leinwand zu übertragen, geht der Spätimpressionismus noch darüber hinaus, indem er die "Aufspaltung" der Farbpalette bewusst steigert. Exemplarisch für diese Technik steht der französische Maler Georges Seurat, welcher die Farben ungemischt als winzig kleine "Tupfer" auf die Leinwand aufbringt und auf diese Weise Perspektive und Tiefe durch reinen Farbauftrag entstehen lässt. Ein bekanntes Beispiel dieses "Pointillismus" (auch "Divisionismus" genannt) ist das Bild „Sonntag Nachmittag“ auf der Grande Jatte um 1885. Ein weiterer Vertreter des Pointillismus ist Paul Signac, der später und gemeinsam mit Camille Pissarro auch politisch aktiv wird.

Wie schon die ersten impressionistischen Künstler wenden sich auch die Vertreter der spät- und nachimpressionistischen Strömungen dezidiert gegen die recht strenge und reaktionäre Kunstauffassung in Paris um 1900, welche 'Kunst' und Kultur generell zentralistisch zu organisieren sucht. Die Wertmaßstäbe werden in dieser Zeit hauptsächlich durch die "Académie des Beaux-Arts" festgelegt, welche einen strengen akademischen Kunststil fordert und Ausstellungen in der Regel auf den "Salon de Paris" im Louvre eingrenzt.

Ein Künstler, der in besonderem Maße gegen das strikte Regelwerk des Pariser "Salons" aufbegehrt, ist Paul Cézanne: Zu Beginn noch stark impressionistisch geprägt, abstrahiert er seine Motive immer mehr zugunsten von klaren und reinen farblichen Strukturen. Als einer der ersten begreift Cézanne die Leinwand als eine "Welt mit eigenen Gesetzen", die nicht von der Gesellschaft usurpiert werden dürfe. Aus dieser Überzeugung heraus formiert sich 1884 mit der "Société des artistesindepéndants" eine Gesellschaft unabhängiger Künstler, die sich bewusst gegen den akademischen Kunststil stellt.

Auf neuen Wegen: Cloisonismus, Synthetismus und expressive Kunst

Während Seurat, Signac und Cézanne die impressionistischen Techniken weiterentwickeln, grenzen sich Künstler wie Vincent van Gogh und Paul Gauguin bewusst davon ab, da der Impressionismus ihnen zu "bürgerlich" und zu ästhetizistisch ist. Van Gogh übernimmt das impressionistische Farbspiel, geht jedoch zu einer deutlich expressiveren Darstellungsweise über, indem er die eigenen Emotionen über das Motiv stellt. So entstehen Werke von teils bedrückender Intensität mit charakteristischem Van Gogh'schen Pinselstrich wie z.B. "Kornfeld mit Krähen" aus dem Jahre 1890, das es auch bei uns in der Galerie zu entdecken gibt.

Edvard Munch – der Schrei

Um 1886 findet sich mit der "Schule von Pont-Aven", einer Gemeinde im Westen von Frankreich, eine Reihe von Künstlern zusammen, die den sog. "Synthetismus" als Gegenentwurf zu Impressionismus und Pointillismus entwickeln. Ziel der Gruppe um Paul Gauguin ist es, die Wirklichkeit mit den eigenen Emotionen und ästhetischem Regelwerk zu verbinden und die "Synthese" dieser drei Gesichtspunkte aus der Erinnerung heraus auf die Leinwand zu bringen. Ein weiterer Stil, der hier geprägt wird, ist der sog. "Cloisonismus", der eine Abstraktion von Perspektive, Farbspiel und Detailreichtum mit sich bringt. Der Cloisonismus ist auch der Volkskunst insofern verwandt, als dass er mit starker Konturierung der Flächen und extremen Hell-Dunkel-Werten arbeitet. In seiner Reduktion auf elementare Formen ist der Cloisonismus als eine Art Vorläufer des Kubismus zu verstehen.

Paul Gauguin selbst versteht seine Arbeit als eine Verbindung von Synthetismus und Cloisonismus und bezeichnet sie als "symbolisch". Mit dem "Symbolismus" beginnt ebenfalls um 1880 eine Stilrichtung, die sich nicht mehrheitlich auf Frankreich beschränkt, sondern Vertreter in ganz Europa findet. Eines der berühmtesten Beispiele ist hier "Der Schrei" des norwegischen Malers Edvard Munch aus dem Jahre 1893, was auch bei uns in der Galerie erhältlich ist (siehe Bild).


Surrealismus: "Mehr" als Realismus

Zerfließende Uhren, zersplitternde Menschen und eine Pfeife, von der die Bildunterschrift hartnäckig behauptet: 'Ceci n'est pas une pipe." (= 'Das ist keine Pfeife.') Als die ersten surrealistischen Künstler sich im Paris der 1920er Jahre um den Schriftsteller André Breton formieren, stellen sie nicht nur die Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern die Realität selbst in Frage: Die Werke, die sowohl in der Bildenden Kunst als auch in der Literatur dieser Zeit entstehen, bewegen sich über ( = franz. 'sur') der Wirklichkeit, indem sie sich von der realistischen Darstellung abwenden und sich stattdessen für den Traum, das Unbewusste und das Phantastische öffnen.

Sora - SALVADOR DALI "La persistencia de la memoria" – flickr.com

Der "Surrealismus" wird schon bald zur europaweiten Strömung und findet nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Vermittlung Max Ernsts und Salvador Dalís auch in den USA Nachahmer. Von der phantastischen Malerei vergangener Jahrhunderte, wie sie sich etwa bei Hieronymus Bosch und den Symbolisten des 19. Jahrhunderts findet, unterscheidet sich die surrealistische Weltsicht dadurch, dass sie durchaus von der Realität aus und zudem über sie hinausgeht. Sie nutzt eine naturalistische, gegenständliche Gestaltungsweise, verfremdet diese jedoch so stark, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Traum auch für den Betrachter kaum mehr möglich ist.

Diese "Verschmelzung" von visionärer und wirklicher Welt, die Breton in seinem ersten "Surrealistischen Manifest" im Jahre 1924 als Ziel der Bewegung formuliert, wird im surrealistischen Werk durch unterschiedliche künstlerische Mittel umgesetzt.

Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. (André Breton, Surrealistisches Manifest 1924)

Die Wegbereiter des Surrealismus: Dadaismus & Psychoanalyse

Bei den ersten Künstlern, die sich ab 1919 um Breton scharen und sich sechs Jahre später mit dem Begriff "Surrealisten" nach dem Untertitel eines Dramas von Guillaume Apollinaire ("Les Mamelles des Tirésias. Drame surréaliste“) belegen, handelt es sich um Dadaisten der ersten Stunde: Diese satirische und kämpferische Bewegung war um 1915 als Protest gegen den Ersten Weltkrieg und den damit verbundenen Nationalismus des Bürgertums entstanden. Anders als ihre surrealistischen „Erben“ streben die Dadaisten jedoch nicht die Erschaffung einer neuen Kunst und einer neuen ästhetischen Wirklichkeit (einer Wirklichkeit über der mit traditionellen Mitteln wahrgenommenen Realität) an, sondern erklären Zufall und Sinnlosigkeit angesichts der unheilvollen Realität zu ihrem Programm: Ein Protest ohne Inhalt.

Philosophisch-geistigen Einfluss übt in dieser Zeit vor allem die wissenschaftliche Entdeckung des Unbewussten/ Unterbewussten in der Psychoanalyse Sigmund Freuds aus. Besonders die 1900 publizierte "Traumdeutung" des österreichischen Arztes fließt in das Programm der Surrealisten ein: Während sie vom Dadaismus in erster Linie den revolutionären und anti-kapitalistischen Charakter übernehmen, setzen sie sich durch Freud verstärkt mit den Tiefenstrukturen des menschlichen Seelenlebens auseinander und gestehen den unbewussten Impulsen einen höheren Stellenwert zu als der rationalen und logischen Überlegung.

Die Techniken des Surrealismus: Collage, Frottage, Grattage

Da die Surrealisten, anders als ihre dadaistischen Vorgänger, durchaus eine Revolution und eine neue Unabhängigkeit der Kunst anstreben, entwickeln sie auch vollkommen neuartige Ausdrucksformen. Dazu gehört die Verwendung traditioneller bildnerischer Mittel wie etwa Ölfarbe, Bleistift und Zeichenkohle ebenso wie das Schaffen neuer Techniken wie Collage, Frottage und Grattage: Bei der Collage, die vor allem durch Pablo Picasso und George Braque bekannt wird, werden bekannte Materialen wie Tapete, Papierschnipsel und Stoff zu einem neuen Ganzen zusammengefügt.

Bei der – durch den deutschen Maler Max Ernst bekannt gewordenen – "Frottage" wird Papier auf eine Oberfläche mit deutlicher Struktur (wie beispielsweise Holz oder Bimsstein) gelegt und die Maserung mit Hilfe eines weichen Bleistifts "durchgerieben". Anschließend wird die so entstehende Vorlage mit Farbe bearbeitet und so zu einem neuen Bild weiterentwickelt. Die "Grattage" hingegen arbeitet ausschließlich mit Farbe, indem mehrere Schichten übereinander auf einer Leinwand aufgetragen und anschließend partiell wieder abgekratzt werden. So entstehen neue Farbmuster.

"Mehr" als Realismus: Traum, Vision & Rausch

Die wichtigste Neuerung gegenüber den traditionellen Gestaltungsweisen sind jedoch weder Materialien noch Techniken – es ist die Beschaffenheit des künstlerischen Gestaltungsprozesses selbst: Die Surrealisten streben bei der künstlerischen Gestaltung die vollkommene Freiheit von Verstand und beschränkender Logik an, damit das künstlerische Unterbewusstsein und die spontane Stimmung die Kontrolle übernehmen könnten. Eine in Zusammenhang mit diesem Ideal entwickelte Technik ist das sog. "Automatische Schreiben", bei dem der Künstler unter Ausschaltung jeglicher Gedanken dem spontanen Impuls folgt und mit dem Bleistift oder der Zeichenkreide das gestaltet, was sein oder ihr 'künstlerischer Wille' ihm oder ihr eingibt.

Wichtig sind bei dieser Arbeit vor allem Assoziationen, welche sofort eingearbeitet werden, sowie die Arbeit mit visionären Traum- und Rauschzuständen. Viele surrealistische Künstler "arbeiten" in Phasen des Halbschlafs oder der Bewusstseinsdämmerung, um ihre 'Traumwelten' zu Papier oder auf die Leinwand bringen zu können. Auch bewusst hervorgerufene Rauschzustände durch Alkohol oder Drogen sind in der surrealistischen Szene durchaus keine Seltenheit. Eine Künstlerin, die zu den bekanntesten Vertretern des Surrealismus gezählt wird, ist die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo, die durch ihre (zum Teil phantastisch anmutenden) Selbstbildnisse bekannt geworden ist – so in etwa das "Selbstbildnis mit Dornenhalsband" von 1940. Anders als viele andere, hat Kahlo jedoch zeitlebens keinen Grund, das visionäre Erlebnis zu "erzwingen": Auf den surrealistischen Gehalt ihrer Bilder hin befragt, sagt die Mexikanerin: Ich male, was ich sehe.

Die Realität im Surrealismus: Salvador Dalí & René Magritte

Neben den Künstlern, die mit neuen Techniken einer neuen Kunst zum Aufschwung verhelfen möchten, gibt es eine zweite Tendenz im Surrealismus, die nicht nach neuen Techniken der künstlerischen Gestaltung sucht, sondern danach trachtet, die Wahrnehmung zu verändern bzw. den Betrachter dazu zu bringen, seine Wahrnehmung zu hinterfragen. Künstler wie der Spanier Salvador Dalí und der belgische Maler René Magritte malen gegenständlich-realistisch und extrem detailliert, verfremden ihre Motive jedoch, indem sie sie in ungewohnter Manier darstellen oder in phantastisch anmutende Umgebungen versetzen. Während Dalí vor allem für seine "zerfließenden" Uhren und Elefanten berühmt geworden ist, die auf Spinnenbeinen durch die Wüste ziehen, stellt Magritte in besonderer Weise die Frage nach dem Realitätsgehalt der Wahrnehmung.

Zu Dalís bekanntesten Werken zählen neben "La persistencia de la memoria“ (= 'Die zerfließende Zeit') aus dem Jahre 1931, auch „Der erhabene Augenblick“ und „Die Versuchung des heiligen Antonius“. Alle drei Bilder sind (rein formal) extrem realistisch gestaltet, jedoch so sehr verfremdet, das zwischen den Anteilen der alltäglichen Wirklichkeit und des Traums bzw. der Vision unmöglich unterschieden werden kann. Auch Magritte malt Bilder, die stets ein Fragezeichen offen lassen und so niemals den Zweifel beseitigen, ob das Dargestellte nicht vielleicht doch etwas ganz anderes zeigt. Bekannt geworden sind daher vor allem jene Bilder, deren Figuren die Gesichtszüge fehlen, weil sie stets verdeckt sind – so etwa in dem Ölgemälde "Le Fils de L'Homme" von 1964 (siehe Bild), das es auch in unserer Galerie zu entdecken gibt.


Konstruktivismus und Suprematismus

Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund: Als der russische Avantgardist Kasimir Malewitsch sein 79 x 79 cm großes Ölgemälde im Jahre 1915 erstmals ausstellt, präsentiert er der Öffentlichkeit das „wohl radikalste Bild der Kunstgeschichte“. Die farb- und gegenstandslose, rein nach geometrischen und architektonischen Gesichtspunkten konstruierte Komposition vereinigt bereits alle charakteristischen Merkmale der gegenstandlosen Malerei, die ihre Blütezeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht. Mit dem „Konstruktivismus“ entwickelt sich eine Kunst, die den wissenschaftlichen und technischen Höhepunkt ihrer Zeit abzubilden sucht.

Der Konstruktivismus wird heute vor allem als kommunistisch propagandistische Kunstrichtung verstanden, die sich im revolutionären Russland entwickelt hat.

Neben dem russischen Konstruktivismus, welcher in der Tat wesentlich durch den politisch engagierten Suprematismus geprägt ist, gibt es jedoch auch zwei weitere Formen:

Der europäische analytische Konstruktivismus

Der praktisch-experimentelle Konstruktivismus

Der europäische „analytische“ Konstruktivismus geht von der konkreten Malerei aus und hat sich in starker Nähe zum deutschen „Bauhaus“ und der niederländischen Künstlervereinigung „De Stijl“ entwickelt, während der praktisch-experimentelle Konstruktivismus vorrangig durch die moderne Architektur geprägt ist und in größerem Maßstab mit audiovisuellen und räumlichen Konstruktionen sowie mobilen Mechanismen arbeitet. Im Allgemeinen werden die analytischen und die praktisch-experimentellen Ausformungen als „Internationaler Konstruktivismus“ zusammengefasst, da sie mehr ästhetisch als politisch motiviert sind.

Die Wegbereiter des Konstruktivismus: Konkrete Kunst und Kubismus

Während der Impressionismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch regelrechte „Stimmungsbilder“ aus Farbe und Licht zusammensetzt und auch der Expressionismus auf kräftige Farben und bildnerische Dynamik setzt, um das Seelenleben des Künstlers abzubilden, löst sich die Malerei im frühen 20. Jahrhundert immer mehr von Farbspiel und Gegenständlichkeit. Bereits um 1900 stellen sich mit Henri Matisse und Wassily Kandisky die Weichen für die „Konkrete Kunst“, die rein aus Form und Farbe aufgebaut und weitestgehend vom Gegenständlichen abstrahiert ist. Diese neue Autonomie bildnerischer Gestaltung ist mit dem Schlachtruf „L'art pour L'art“ in die Kunstgeschichte eingegangen, da sie eine Kunst propagiert, die nur ihren eigenen Gesetzen folgt und in keiner Weise funktionalisiert werden dürfe. Der sich ab 1907 entwickelnde Kubismus greift jene neue „Gegenstandslosigkeit“ in der Malerei auf, geht jedoch von der konstruktiven Struktur des Gegenstandes aus und nutzt die einzelnen Elemente für die Bildkomposition. Nach Paul Cézanne sei die Wirklichkeit einzig und allein aus den Formen Kubus, Kegel und Kugel aufgebaut – und könne daher auch in der Malerei auf jene Formen reduziert werden.

Jene Gestaltungsweise zeigt sich bereits in den „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907) von Picasso, welcher – wie George Braque – Vertreter des „analytischen“ Kubismus ist. Bei dieser Richtung der kubistischen Kunst werden die traditionellen illusionistischen Mittel wie Raum und Perspektive komplett aufgelöst, indem die Objekte in ihre Teile zergliedert und gleichsam „auf der Bildfläche ausgebreitet“ werden. Durch die Auflösung der Perspektive sind Maler wie Braque, Picasso, Juan Gris, Fernand Léger und Alexander Archipenko in der Lage, in ihren Bildern eine gewisse „Gleichzeitigkeit“ darzustellen, die mit traditionellen bildnerischen Mitteln nicht erreicht werden kann. Besonders deutlich kommt jene Simultaneität von Augenblicken 1937 in Picassos „Guernica“ zum Ausdruck, in welchem er die Zerstörung der Stadt Gernika während des Spanischen Bürgerkriegs verarbeitet. Der „synthetische“ Kubismus geht noch einen Schritt weiter und setzt reale Dinge wie Tapeten, Zeitungsausschnitte oder Teile anderer Bilder zu neuen ästhetischen Objekten zusammen.

Material und Raum: Der Internationale Konstruktivismus

Hat die konkrete Kunst also bereits den Gegenstand aus der bildnerischen Gestaltung entfernt und der Kubismus die Wirklichkeit in geometrische Formen zerlegt, so geht der Konstruktivismus noch einen Schritt weiter und macht die mathematische Konstruktion aus exakt bemessenen Elementen zur Grundlage seiner künstlerischen Ästhetik: Gemäß seines Namens (lat. 'construere' = aufbauen, errichten, zusammenfügen) vertritt der Internationale Konstruktivismus eine künstlerische Gestaltung, in der die Elemente in fest definierten Beziehungen und Maßeinheiten zueinander stehen. Folglich stehen die räumliche Gestaltung und die Architektur im Mittelpunkt dieser Phase. Im Gegensatz zum Kubismus findet sich im Konstruktivismus auch eine deutliche Beschränkung der Farbpalette: Neben Schwarz, Weiß und Grau werden nur (und selten) die Primärfarben verwendet.

Bedeutende Vertreter des Internationalen Konstruktivismus sind u.a. der Schweizer Künstler Johannes Itten, der am „Bauhaus“ die konstruktivistische Farbtheorie lehrt und der ebenfalls am Bauhaus tätige deutsch-amerikanische Maler und Karikaturist Lyonel Feininger, der sich mit der Farbverteilung im Raum und dem Aufbau von Perspektiven aus reiner Farbabstufung auseinandersetzt (siehe Bild: Regenklarheit).

Eine ungewohnt figurale Ausformung des Konstruktivismus findet sich bei dem deutschen Künstler Oskar Schlemmer, dessen Bilder mit der Verteilung von Figuren im Raum experimentieren (Siehe Bild: Gruppe am Geländer)

Propaganda und Philosophie: Der Russische Konstruktivismusy

Der russische Konstruktivismus teilt sich mit dem „Utilitarismus“ nach Wladimir Jewgrafowitsch und dem „Suprematismus“ um Kasimir Maletwisch in zwei Richtungen, die jedoch beide ideologisch motiviert sind. Während das utilaristische Prinzip mehrheitlich von der Technik- und Zukunftsbegeisterung des Futurismus beeinflusst ist und die Kunst zur Revolutionierung der Gesellschaft nutzen möchte, entzieht der Suprematismus die Kunst jener gesellschaftlichen Funktionalisierung zugunsten einer reinen geometrischen Formbestimmtheit. Nichtsdestotrotz ist auch Malewitschs Konzept weit entfernt von der „L'art pour L'art“ der Konkreten Kunst: Anders als der Utilarismus will der Suprematismus die Kunst zwar nicht funktionalisieren, doch Malewitsch betrachtet seine Arbeit als ästhetisch-künstlerisches Spiegelbild der kommunistischen Konzepte.

Die Reduktion auf die einfachsten geometrischen Formen sowie die Verwendung der „Unifarben“ Schwarz, Weiß und Grau dienen nach dem "Suprematistischen Manifest" von 1915 ausschließlich der Veranschaulichung der 'höchsten' menschlichen Erkenntnisprinzipien, welche Malewitsch im Kommunismus verdichtet sieht. Folglich betrachten die Vertreter des Suprematismus sich gleichsam als „Verlängerung“ der offiziellen politischen Funktionäre und haben den Anspruch, „das kommunistische Gedankengut mit ihrer Kunst ins Volk zu tragen.“ Dementsprechend bezeichnen die suprematistischen Künstler sich selbst als „Ingenieure“ und sprechen in Zusammenhang mit ihrer Arbeit von der „Front der Kunst“. Auch der Suprematismus ist auf formaler Ebene durch die radikale Reduktion auf einfache geometrische Formen gekennzeichnet, die ihre Vorbilder in der Volkskunst, dem Neo-Primitivismus und den fauvistischen Arbeiten von Henri Matisse finden.

Rein ideologisch betrachtet sieht der Suprematismus in jeder Form von gegenständlicher Darstellung in der Kunst die hierarchischen Strukturen des (durch das Zarentum unterdrückten) Russland verkörpert. Durch die „Verbannung“ von Perspektive, Plastizität und Farbe ist das suprematistische Bild der gegenständlichen und damit 'wirklichen' Welt entrückt und bildet damit einen 'idealen' Raum ab. Die Variante des Russischen Konstruktivismus ist zwischen 1915 und 1930 extrem virulent und hat auch erheblichen Einfluss auf die europäische Avantgarde. Unter Stalin wird der Suprematismus 1927 jedoch verboten und der Sozialistische Realismus zur Staatskunst erklärt.