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Georges Braque: Ein Leben neben Picasso

Es mag unfair sein, doch es ist eine Tatsache, dass die Geschichte sich nur an jene erinnert, die Neues, Spektakuläres, Unerhörtes geleistet haben. Entsprechend mag der Name Georges Braques (1882-1963) gelegentlich wohl in Zusammenhang mit Picassos (1881-1973) fallen – niemals aber würde jemand auf die Idee kommen, Picasso an Braque zu messen. Das Ungewöhnliche an diesem Schattendasein des französischen Künstlers, der dem gleichaltrigen und bereits berühmten Picasso im Dezember 1907 begegnet, ist allerdings, dass Braque sich auch niemals wirklich darum bemüht hat, aus dem großen Schatten des Freundes herauszutreten.

Georges Braque: Der "erlernte" Künstler

Im Gegensatz zu Picasso, der bereits im zarten Alter von fünf Jahren als Wunderkind gilt und schon wenig später die alten Meister kopiert, muss Braque, der 1882 in dem Pariser Stadtteil Argenteuil geboren wird, sein Handwerk erst erlernen. Hierzu besucht er ab 1899 Abendkurse an der Pariser Kunstakademie, macht ab 1900 eine Lehre zum Dekorationsmaler und nimmt Zeichenunterricht. In den folgenden Jahren besucht Braque die 'Académie Humbert' und macht sich intensiv mit der Pariser Kunstszene vertraut. Seine Vorbilder findet er vor allem in Paul Cézanne und den expressiv bunten Werken der Fauves, die er erstmals 1905 im 'Salon d’Automne' sieht. Als er im Jahre 1907 auf Picasso trifft, beherrscht Braque seine Kunst zwar, hat, im Gegensatz zum gleichaltrigen Picasso, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünf verschiedene Stile beherrscht, jedoch noch nicht zu einem eigenen Stil gefunden.

Braque, Picasso und die Frage des geistigen Plagiats

Picasso - Les Demoiselles d’Avignon

History Stack - Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon – pixabay.com

Braque lernt Picasso über den französischen Autor Guillaume Apollinaire kennen, welcher Ersteren mit in das Atelier des Freundes nimmt. Hier sieht Braque Picassos Gemälde "Les Demoiselles d’Avignon", das als erstes kubistisches Werk der Kunstgeschichte gilt. Braque ist so beeindruckt von der vollkommen neuen und revolutionären Formensprache des Bildes, dass er in der Folge selbst erste Versuche mit der kubistischen Malweise unternimmt, die insgesamt sehr stark an die Picasso-Vorlage erinnern. Obgleich Picasso zu diesem Zeitpunkt bereits ein "Markenname" ist und die Kunsthändler sich um ihn reißen, während Braque überwiegend unbeachtet bleibt, entwickelt sich zwischen den beiden Künstlern eine enge Freundschaft, die unter anderem durch die gemeinsame Begeisterung für Cézanne getragen ist.

Ab 1908 verbindet die beiden auch eine intensive künstlerische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Kubismus, die sich durch gegenseitige Kritik, Atelierbesuche und gemeinsame Projekte auszeichnet. So kommt es, dass sich viele der Bilder, die in der Zeit zwischen 1908 und 1914 auf der einen oder auf der anderen Seite entstehen, kaum eindeutig einem der beiden Künstler zuordnen lassen. So ist Braque der Erste, der mit gemalten Buchstaben, Etiketten und sog. Trompe-l’oeil-Effekten (illusionistische Malerei) arbeitet, was Picasso aufgreift und zu Materialcollagen weiterentwickelt, die den Eindruck der Zergliederung der Gegenstandes durch einen plastischen Effekt hervorrufen. Exemplarisch für diese Zeit sind etwa Bilder wie "Girl with a Cross" (1911), "Das Tischchen" (1913) und "Häuser in L’Estaque" aus dem Jahre 1908. Im gleichen Jahr findet auch die erste gemeinsame Ausstellung in der Galerie des Pariser Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler statt.

"Picasso und ich befanden uns gewissermaßen auf der Suche nach einer anonymen Persönlichkeit. Wir waren bereit, unsere Persönlichkeit auszulöschen, um Originalität zu finden.“, Georges Braque

Das wenig beachtete Spätwerk

Obgleich "Braque" der Kunstgeschichte natürlich ein Begriff ist, beschränkt sein Ruhm sich tatsächlich auf die Zeit zwischen 1907 und 1914, als er die Welt an der Seite Picassos in Würfel, Zylinder und Prismen zerlegte. Die gemeinsame Arbeit endet abrupt bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als Braque als Soldat dient und eine schwere Kopfverletzung erleidet. Den Pinsel kann er erst zwei Jahre später, nachdem er vollständig genesen ist, wieder aufnehmen – zu diesem Zeitpunkt hat Picasso sich bereits neuen, kühneren Projekten gewidmet. Neben spätkubistischen Arbeiten, die nach wie vor sehr an den früheren Freund erinnern, entsteht nun auch ein grafisches Werk: Braque schafft Radierungen, Lithografien und Holzschnitte. Ab 1939 widmet er sich außerdem der Bildhauerei.

Während Picasso auch im Alter das Genie, das "Wunderkind" bleibt und im Alter von 56 Jahren mit seinem Gemälde "Guernica" (1937) das Leid einer ganzen Volksgruppe auf Leinwand bannt, widmet Braque sich mit zunehmendem Alter wieder seinen fauvistischen Landschaften und synthetisch-kubistischen Landschaften und überlässt das öffentliche Interesse dem früheren Freund. Er tut dies sogar gänzlich ohne Groll: Selbst als junger Mann hatte Braque sich stets in einem gewissen Abstand zur Pariser Kunstszene bewegt, die Drogenorgien gemieden und sich stattdessen einem eher ruhigen Dasein mit seiner Lebensgefährtin Marcelle Lapre gewidmet. Anders als Picasso ist Braque niemals das Genie gewesen, das mit Freuden für seine Kunst gestorben wäre – und er hat sich auch nie als ein solches inszeniert.