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Georges Braque: Ein Leben neben Picasso

Es mag unfair sein, doch es ist eine Tatsache, dass die Geschichte sich nur an jene erinnert, die Neues, Spektakuläres, Unerhörtes geleistet haben. Entsprechend mag der Name Georges Braques (1882-1963) gelegentlich wohl in Zusammenhang mit Picassos (1881-1973) fallen – niemals aber würde jemand auf die Idee kommen, Picasso an Braque zu messen. Das Ungewöhnliche an diesem Schattendasein des französischen Künstlers, der dem gleichaltrigen und bereits berühmten Picasso im Dezember 1907 begegnet, ist allerdings, dass Braque sich auch niemals wirklich darum bemüht hat, aus dem großen Schatten des Freundes herauszutreten.

Georges Braque: Der "erlernte" Künstler

Im Gegensatz zu Picasso, der bereits im zarten Alter von fünf Jahren als Wunderkind gilt und schon wenig später die alten Meister kopiert, muss Braque, der 1882 in dem Pariser Stadtteil Argenteuil geboren wird, sein Handwerk erst erlernen. Hierzu besucht er ab 1899 Abendkurse an der Pariser Kunstakademie, macht ab 1900 eine Lehre zum Dekorationsmaler und nimmt Zeichenunterricht. In den folgenden Jahren besucht Braque die 'Académie Humbert' und macht sich intensiv mit der Pariser Kunstszene vertraut. Seine Vorbilder findet er vor allem in Paul Cézanne und den expressiv bunten Werken der Fauves, die er erstmals 1905 im 'Salon d’Automne' sieht. Als er im Jahre 1907 auf Picasso trifft, beherrscht Braque seine Kunst zwar, hat, im Gegensatz zum gleichaltrigen Picasso, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünf verschiedene Stile beherrscht, jedoch noch nicht zu einem eigenen Stil gefunden.

Braque, Picasso und die Frage des geistigen Plagiats

Picasso - Les Demoiselles d’Avignon

History Stack - Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon – pixabay.com

Braque lernt Picasso über den französischen Autor Guillaume Apollinaire kennen, welcher Ersteren mit in das Atelier des Freundes nimmt. Hier sieht Braque Picassos Gemälde "Les Demoiselles d’Avignon", das als erstes kubistisches Werk der Kunstgeschichte gilt. Braque ist so beeindruckt von der vollkommen neuen und revolutionären Formensprache des Bildes, dass er in der Folge selbst erste Versuche mit der kubistischen Malweise unternimmt, die insgesamt sehr stark an die Picasso-Vorlage erinnern. Obgleich Picasso zu diesem Zeitpunkt bereits ein "Markenname" ist und die Kunsthändler sich um ihn reißen, während Braque überwiegend unbeachtet bleibt, entwickelt sich zwischen den beiden Künstlern eine enge Freundschaft, die unter anderem durch die gemeinsame Begeisterung für Cézanne getragen ist.

Ab 1908 verbindet die beiden auch eine intensive künstlerische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Kubismus, die sich durch gegenseitige Kritik, Atelierbesuche und gemeinsame Projekte auszeichnet. So kommt es, dass sich viele der Bilder, die in der Zeit zwischen 1908 und 1914 auf der einen oder auf der anderen Seite entstehen, kaum eindeutig einem der beiden Künstler zuordnen lassen. So ist Braque der Erste, der mit gemalten Buchstaben, Etiketten und sog. Trompe-l’oeil-Effekten (illusionistische Malerei) arbeitet, was Picasso aufgreift und zu Materialcollagen weiterentwickelt, die den Eindruck der Zergliederung der Gegenstandes durch einen plastischen Effekt hervorrufen. Exemplarisch für diese Zeit sind etwa Bilder wie "Girl with a Cross" (1911), "Das Tischchen" (1913) und "Häuser in L’Estaque" aus dem Jahre 1908. Im gleichen Jahr findet auch die erste gemeinsame Ausstellung in der Galerie des Pariser Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler statt.

"Picasso und ich befanden uns gewissermaßen auf der Suche nach einer anonymen Persönlichkeit. Wir waren bereit, unsere Persönlichkeit auszulöschen, um Originalität zu finden.“, Georges Braque

Das wenig beachtete Spätwerk

Obgleich "Braque" der Kunstgeschichte natürlich ein Begriff ist, beschränkt sein Ruhm sich tatsächlich auf die Zeit zwischen 1907 und 1914, als er die Welt an der Seite Picassos in Würfel, Zylinder und Prismen zerlegte. Die gemeinsame Arbeit endet abrupt bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als Braque als Soldat dient und eine schwere Kopfverletzung erleidet. Den Pinsel kann er erst zwei Jahre später, nachdem er vollständig genesen ist, wieder aufnehmen – zu diesem Zeitpunkt hat Picasso sich bereits neuen, kühneren Projekten gewidmet. Neben spätkubistischen Arbeiten, die nach wie vor sehr an den früheren Freund erinnern, entsteht nun auch ein grafisches Werk: Braque schafft Radierungen, Lithografien und Holzschnitte. Ab 1939 widmet er sich außerdem der Bildhauerei.

Während Picasso auch im Alter das Genie, das "Wunderkind" bleibt und im Alter von 56 Jahren mit seinem Gemälde "Guernica" (1937) das Leid einer ganzen Volksgruppe auf Leinwand bannt, widmet Braque sich mit zunehmendem Alter wieder seinen fauvistischen Landschaften und synthetisch-kubistischen Landschaften und überlässt das öffentliche Interesse dem früheren Freund. Er tut dies sogar gänzlich ohne Groll: Selbst als junger Mann hatte Braque sich stets in einem gewissen Abstand zur Pariser Kunstszene bewegt, die Drogenorgien gemieden und sich stattdessen einem eher ruhigen Dasein mit seiner Lebensgefährtin Marcelle Lapre gewidmet. Anders als Picasso ist Braque niemals das Genie gewesen, das mit Freuden für seine Kunst gestorben wäre – und er hat sich auch nie als ein solches inszeniert.


Kubismus: Alle Perspektiven auf einen Blick

"Alles in der Kunst bildet sich aus Kugel, Kegel und Zylinder." Dieser Ausspruch Paul Cézannes beschreibt das Grundprinzip der (aus heutiger Sicht) revolutionärsten Neuerung in der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts: des Kubismus (franz. 'cube' = Würfel, Kubus). Die Stilrichtung entsteht um 1907 in Frankreich, wo sie den Fauvismus ablöst, und führt das Prinzip der künstlerischen Abstraktion, das durch die französischen Post- und Neoimpressionisten begründet wurde, zu einem neuen Höhepunkt: Anstatt durch perspektivische Verfremdung oder unnatürliche Farbgebung wird der Gegenstand im Kubismus mathematisch analysiert und in seine geometrischen Formen zergliedert.

Im Allgemeinen unterscheidet man in dieser Stilrichtung eine frühe, eine analytische und eine synthetische Phase. Der Einfluss des Kubismus auf die Klassische Moderne ist kaum zu überschätzen: Obgleich es niemals, wie etwa im Futurismus oder dem Fauvismus, ein "Manifest" bzw. theoretische Niederschriften gegeben hat, leitet der Kubismus in der Bildenden Kunst eine neue Denkordnung ein, die in der Folge sogar auf die Bildhauerei, die Architektur und die Plastik übergeht. Zu den wichtigsten Vertretern zählen neben Pablo Picasso auch Robert Delaunay und Georges Braque. Obgleich sich die Bewegung bis in die 1920er Jahre fortsetzt, treten mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 bereits erste Zersetzungserscheinungen ein.

Frühkubismus ab 1907: Picasso und Braque

Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon

History Stack - Pablo Picasso - Les Demoiselles d'Avignon – pixabay.com

Als erstes „kubistisches“ Bild der Kunstgeschichte gelten die „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907) des französischen Malers Pablo Picasso: Hier zeigen sich fünf Prostituierte frontal einem imaginären Betrachter, während sie durch die spezifisch perspektivische Darstellung jedoch zugleich selbst eine Art Betrachter-Position einnehmen. Picassos Bild zeigt mit der beginnenden Zersplitterung der Frauenkörper in kubenähnliche Formen und der Reduzierung der Farbpalette auf gebrochene Töne wie Braun, Grau und Blau bereits die „typischen“ Merkmale des Kubismus. Zeitgleich mit Picasso arbeitet um 1907 auch Georges Braque an ersten Entwürfen, in denen Gegenstand, Farbe und Raum auf ihre jeweiligen Grundelemente zurückgeführt werden. In der Forschung wird häufig darüber diskutiert, ob beide Künstler unabhängig voneinander zur kubistischen Methode fanden oder ob Braque von Picasso inspiriert wurde.

Analytischer Kubismus (1910-1912): Vom Konkreten zum Abstrakten

Der Analytische Kubismus entwickelt die geometrische Aufsplitterung des Körpers weiter, indem er den Fokus noch deutlicher auf die Form legt und das Kolorit stärker reduziert, während reinfarbige (häufig schwarze oder weiße) Linien zur motivischen Begrenzung eingesetzt werden. Anstatt das Abgebildete jedoch „nur“ in seine Grundelemente zu zerlegen, strebt der Analytische Kubismus danach, diesen Zerlegungsprozess sichtbar zu machen und die unterschiedlichen Perspektiven frontal in einer Ansicht miteinander zu vereinen. Das Prinzip der 'Simultaneität' ist geboren. So werden Ansichten aus unterschiedlichen Sichtwinkeln zeitgleich dargestellt, wodurch sich der konkrete Gegenstand auflöst und durch einander durchdringende Einzelformen gleichsam neu konstruiert. Im Analytischen Kubismus liegt das Hauptaugenmerk auf Alltagsgegenständen und -situationen. Beispielhaft steht hier Georges Braques Bild „Krug mit Violine“ von 1910.

Auch Picassos Materialcollagen zählen zum Analytischen Kubismus: Während die „Zersplitterung“ des Gegenstandes in der Malerei allein durch Form und Perspektive erreicht wird, nutzt Picasso Materialien wie Sand, Holz und verschiedene andere Textilien, um Simultaneität durch plastische Effekte zu erzeugen. Seine diesbezüglichen Arbeiten sind auch wegweisend für die sog. „Kubistische Plastik“, welches das Prinzip der Simultaneität auf dreidimensionale Arbeiten überträgt. Wichtige Vertreter sind hier auch der amerikanische Bildhauer Alexander Archipenko und der deutsche Künstler Rudolf Belling.

Synthetischer Kubismus ab 1912: Vom Abstrakten zum Konkreten

Pablo Picasso - Bildnis Fernande Olivier

HEN-Magonza - Pablo Picasso, Bildnis Fernande Olivie – pixabay.com

Ab 1912 löst der Kubismus sich vollständig vom konkreten Gegenstand und arbeitet nur noch mit geometrischen Einzelformen, die synthetisch, das heißt ohne Vorlage eines Motivs, zu „neuen“ Objekten zusammengefügt werden. Während der Analytische Kubismus also konkrete Gegenstände in ihre Einzelformen zerlegt, existieren im Synthetischen Kubismus nur noch die geometrischen Formen, welche frei zu neuen Kreationen kombiniert werden, die teilweise auch fließend ineinander übergehen. Insgesamt ist der Kubismus in dieser letzten Phase wieder deutlich „bunter“, indem mit einander überlagernden Farbflächen gearbeitet wird, die durch starke Konturen voneinander abgesetzt sind. Auch die Verwendung kräftig reiner Farben ist ein beliebtes Stilmittel des synthetischen Kubismus.

Neben Braque und Picasso, dessen „Bildnis Fernande Olivier“ (1909) zu den bekanntesten synthetischen Kunstwerken zählt, ist der spanische Maler Juan Gris einer der wichtigsten Vertreter dieser Stilrichtung. Gris sind auch die einzigen theoretischen Schriften zu dem Thema zu verdanken, welche sich jedoch ausschließlich auf diese letzte Phase des Kubismus beziehen. Zu den bekanntesten Werken Gris` zählen das „Portrait von Pablo Picasso“ (1912) und der „Harlekin mit Gitarre“ aus dem Jahre 1919.


Stilmerkmale des Fauvismus: Die "bunte" Kunst

"Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien!" Als der Kunstkritiker Louis Vauxcelles im Jahre 1905 anlässlich einer Ausstellung im Pariser Salon d'Automne diesen Ausruf tut, gibt er damit einer Reihe von jungen Künstlern ihren Namen, die sich bis dahin gar nicht als Gruppe gesehen hatten: den "Fauves" (franz.: die 'Wilden'). Als Strömung der französischen Avantgarde besteht der Fauvismus zwischen 1904 und 1908 und leitet durch seine Abkehr vom Postimpressionismus den Übergang zur Klassischen Moderne ein. Zu den bekanntesten Vertretern zählen neben Henri Matisse vor allem Maurice de Vlaminck und André Derain, die sich ab 1907 selbst als die 'Fauves' bezeichnen und damit den Ausdruck Vauxcelles übernehmen.

Die beiden Wegbereiter des Fauvismus: Impressionismus und Expressionismus

Die klassische Moderne beginnt dort, wo die mimetische Wiedergabe der Wirklichkeit in den Hintergrund tritt und der Künstler erstmals eine Synthese dessen abbildet, was er sieht, fühlt und denkt. Mit dieser neuen Freiheit der Kunst wird um 1900 nicht nur der individuelle Ausdruck, sondern auch der Stil geboren. Mit der Loslösung von den Traditionen des akademischen Kunststils geht auch eine neue Freiheit der Form einher und die Künstler beginnen, mit Perspektive, Raum und Farbe zu experimentieren. Als erste große avantgardistische Strömung etablieren sich Ende des 19. Jahrhunderts die 'Impressionisten' um Claude Monet: Diese Künstler, die sich ganz der "Faszination des Augenblicks" verschreiben, lösen sich von dem gegenständlichen Wert ihrer Motive zugunsten des subjektiven Sinneseindrucks und versuchen, die Wirklichkeit in Licht und Farbe aufzulösen. Ihren Namen erhalten sie nach dem Gemälde "Impression: soleil levant" ('Impression, Sonnenaufgang) von Claude Monet.

Claude Monet, Jardin de Giverny, Impressionismus

Während die Impressionisten als mehrheitlich bürgerliche Kunst die Errungenschaften der Industriellen Revolution in farbenfrohen Momentaufnahmen feiern, entsteht etwa um 1905 eine neue Generation, die bereits durch die Schrecken des Ersten Weltkriegs geprägt ist: Die 'Expressionisten' brechen radikal mit dem naiven Farbrausch ihrer Vorgänger, indem sie nicht die blühende Metropole Paris, sondern das von Isolation und Anonymität bedrohte Individuum abzubilden suchen. Anders als der Impressionismus, der auf die Schönheit der äußeren Erscheinung setzt, geht es den Expressionisten um den Ausdruck im Inneren: Das Kunstwerk soll sich von seiner illusionistischen Abbildfunktion emanzipieren. Zu diesem Zweck werden die Regeln der formalen Malerei aufgelöst und die künstlerischen Mittel radikal reduziert. Neben den französischen "Peintre Maudits", zu denen u.a. Pablo Picasso, Joan Miró und Amadeo Modigliani zählen, formieren sich mit der „Brücke“ (Berlin) und dem „Blauen Reiter“ (München) auch in Deutschland zwei expressionistische Gruppierungen.

Der Fauvismus in der französischen Avantgarde

Henri Matisse, La Danse

Da der Fauvismus ebenfalls um 1904/05 entsteht, finden sich in den entsprechenden Arbeiten sowohl expressionistische als auch postimpressionistische Einflüsse. Die jungen Maler um Henri Matisse orientieren sich an der (rein aus Farbe aufgebauten) Perspektive Van Goghs und dem intensiven Farbreichtum Paul Gauguins, welcher sich, als Wegbereiter des Synthetismus, bereits deutlich vom Impressionismus abkehrt. Den stärksten postimpressionistischen Einfluss übt der 'Pointillismus' auf die Fauves aus: Dieser von Georges Seurat entwickelte Stil steigert bewusst die „Aufspaltung“ der Farbpalette in reine Farben, indem er sie ungemischt in winzigen Tupfern direkt auf der Leinwand aufbringt. Auf diese Weise entsteht (ähnlich wie bei Van Gogh) Perspektive aus reinem Farbauftrag. Vom 'Cloisonismus' übernehmen die Fauves die Abstraktion von Perspektive, Farbspiel und Detailreichtum, sowie die starke hell-dunkel Konturierung von Flächen im Stile der naiven Volkskunst. In dieser Reduktion auf elementare Formen findet sich bereits eine Vorstufe zum späteren Kubismus.

Anders jedoch als der Expressionismus, der über ein explizites ästhetisches Programm verfügt, kommt es in der heterogenen Gruppe der Fauves nicht zur Formulierung eines Manifests. Henri Matisse äußert sich erstmals Jahre nach der Auflösung der Gruppierung theoretisch zum Fauvismus und betont dabei insbesondere dessen experimentellen Charakter. Zwar bleiben die hauptsächlichen Motive traditionell Landschaften, Portraits und Stillleben, doch sieht sich die recht antiquierte Pariser Kulturszene plötzlich antinaturalistischer Farbgebung, die Vorder- und Hintergrund in einem wilden Farbrausch zur Fläche werden lässt. Insbesondere die "Académie des Beaux-Arts", welche einen strengen akademischen Kunststil fordert, lehnt diese 'Wildheiten' kategorisch ab.

Der Fokus der Fauves liegt auf Landschaftsbildern vom Süden Frankreichs, wie sie bereits Van Gogh bevorzugt gemalt hatte. Zu diesem Zweck unternehmen die Künstler um Matisse in wechselnden Gruppierung Sommer- und Herbstfahrten nach Saint-Tropez, Marseille und La Ciotat, wo sie häufig mit anderen Malern zusammenarbeiten. Bekannte, auf diesen Reisen entstandene, Bilder sind u.a. "Paysage du Midi" von Albert Marquet von 1906 und "Batelli nel porto" sowie „Mountains at Collioure“ von André Derain aus dem Jahre 1905. Ebenfalls in diesem Jahr entstehen die „Papageien-Tulpen“ von Matisse. Der Verzicht auf die traditionelle Perspektive ist in Matisse „Intérieur à la fougére noire“ sehr deutlich, auch wenn die räumliche Tiefe hier durchaus noch angedeutet wird. Gänzlich „flächig“ wirken hingegen La Danse“ von 1909, das Sie auch online in unserer Galerie finden.


Pop Art in 3D: Farbenfroh & lebendig

Eine Blondine mit plakativer Sprechblase und eine neun-köpfige Marilyn in unterschiedlichen Schattierungen – DAS ist Pop Art. Als Krönung der avantgardistischen Strömungen entsteht die sog. "Popular Art" Mitte der 1950er Jahre zeitgleich in den USA und in England und erobert innerhalb kürzester Zeit auch das restliche Europa. Die Bewegung wendet sich dezidiert den 'niederen' Motiven des Alltags zu, indem sie die Welt der Massenmedien, des Konsums und der allgegenwärtigen Werbebotschaften zum Fixpunkt der künstlerischen Tätigkeit macht. Ein Vertreter der zeitgenössischen Pop Art ist der US-amerikanische Künstler Charles Fazzino.

Pop Art als "Anti-Kunst"

Wie der Name schon sagt, versteht die 'Popular Art' sich als Kunst für die Massen. Das heißt, dass nicht nur das Pop-Art-Kunstwerk selbst sich (akademisch betrachtet) durch relative Anspruchslosigkeit auszeichnet, sondern dass auch die Motive aus dem Bereich des Trivialen stammen: Pop Art zeigt die Welt von Konsumwahn und Massenmedien, von Werbebotschaften und kapitalistischem Wettbewerbsgeist. Als solche kontrastiert sie in besonderer Weise die Abstrakte Kunst, wie sie mit dem analytischen und synthetischen Kubismus, Konstruktivismus und Suprematismus, dem 'Bauhaus', der "Straight Photography" und dem abstrakten Expressionismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden war.

Gegen diese Richtungen, die u.a. durch die kunsttheoretischen Betrachtungen von Künstlern wie Wassily Kandisky in dem Ruf einer besonders "intellektuellen" Kunst stehen, formiert sich die Popular Art als eine bewusste Anti-Kunst. Gestalterisch schlägt sich dies durch eine meist fotorealistische Darstellung, klar definierte Strukturen und extreme Plakativität nieder. Darüber hinaus arbeiten viele Pop-Art-Künstler in Comic-Manier mit schwarzen Umrandungen, sog. "Outlines" und verwenden neben den Unbunten ausschließlich die Primärfarben. Während die frühe Pop Art die Welt des wiedererlangten Wohlstands nach dem Zweiten Weltkrieg preist, arbeiten die späteren Popkünstler sozialkritischer: Jüngere Werke setzen sich mit Problematiken wie den Rassenunruhen, dem Vietnamkrieg und dem steigenden Drogenkonsum in den USA während der 1960er Jahre auseinander, welche kritisch reflektiert werden.

Roy Lichtenstein – Thinking of Him

Die "Helden" der Pop Art

Als Begründer der Pop Art wird häufig der britische Künstler Richard Hamilton genannt, dessen Collage „Just What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?“ aus dem Jahre 1956 als erstes Werk gilt, das alle Merkmale der Popular Art in sich vereint. Das Werk ist Grundlage für das Plakat zur Ausstellung "This is Tomorrow", die im gleichen Jahr in der Whitechapel Art Gallery in London stattfindet. Hamilton seines Zeichens ist Mitglied der sog. "Independent Group", die sich vier Jahre zuvor am Londonder "Institute of Contemporary Art" formiert hatte und als erste Künstlergruppe Großbritanniens die Nutzbarmachung der Trivialkultur für die Kunst forderte.

"Pop ist love, denn es akzeptiert alles ... Pop ist die Bombe werfen. Es ist der amerikanische Traum, optimistisch, generös und naiv ..."

In den USA ist die Popular Art von Beginn an deutlich kritischer und weniger theoretisch orientiert, da sie als direkte (ablehnende) Reaktion auf den abstrakten Expressionismus der späten 40er Jahre entsteht. Als Wegbereiter gelten hier u.a. Richard Lindner, der aus der 'Neuen Sachlichkeit' kommt und deren grotesk-entlarvenden Elemente mit der modernen Werbesprache verbindet. Als Pop Art-typisch gelten auch viele Werke von Jasper Johns, dessen Bild „Target“ es in unserer Galerie zu entdecken gibt. Die bekanntesten frühen amerikanischen Popkünstler sind neben Robert Rauschenberg sicher Roy Lichtenstein und Andy Warhol, der für seine Siebdrucke bekannt geworden ist. Seine Marilyn-Serie (siehe Bild), die zu den bekanntesten Werken Warhols zählt, finden Sie auch in unserer Kunstgalerie online!

Andy Warhol – Marilyn

Neue Zeit und neue Ausdrucksform: Charles Fazzino

Der amerikanische Künstler Charles Fazzino hat im Bereich Pop Art bereits mit allen Mitteln gearbeitet, die dem Dogma der Bewegung entsprechen – darunter etwa Lithographie, Radierung und überdimensionierte Acrylbilder. Mit seiner 3D-Technik jedoch hat er die Kunstrichtung vor rund dreißig Jahren im wahrsten Sinne des Wortes in eine neue Zeit geführt, indem er der ursprünglich plakativen und eindimensionalen Gestaltungsweise eine neue räumliche Perspektive entgegensetzte. Die Tiefe in seinen Werken wird durch extremen Detailreichtum und starke Farbkontraste kreiert, durch welche mehrere Bildebenen gleichzeitig dargestellt werden können.

Charles Fazzino – Eating New York

Wie auch bei den Pop Art-Künstlern der ersten Stunde ist Fazzinos bevorzugtes Motiv das quirlige und bunte Leben im urbanen Raum. In Fazzinos Fall insbesondere das Leben in seiner Heimatstadt New York. Dabei fängt er stets verschiedene Aspekte des Lebens in der amerikanischen Großstadt ein, wie beispielsweise in seinem Bild "Eating New York", das Sie auch bei uns in der Galerie finden (siehe Bild). Zu Fazzinos Markenzeichen zählt der Apfel, der sich nicht nur (mehr oder weniger versteckt) in vielen seiner New York-Bilder findet, sondern manchmal auch das hauptsächliche Motiv bildet – wie beispielsweise in "The Apple is Manhattan".


Akkumulation in der Kunst: Gestaltungsprinzip der Objektkunst

"Es ist alt, ich brauche ein neues!" Die Wegwerf-Mentalität der Konsumgesellschaft ist in unserer Zeit bereits zum Topos verkommen. Während wir die 1,3 Milliarden Tonnen Müll, die Europa jährlich erzeugt, mit Augenzwinkern und Schulterzucken betrachten, sind die Anfänge dieser Entwicklung in den 1960er und 70er Jahren jedoch extrem kritisch beobachtet worden. Ihren künstlerischen Niederschlag findet diese Kritik in den avantgardistischen Bewegungen, die in dieser Zeit immer mehr zur Sozialkritik avancieren und mit der "Akkumulation" ein Gestaltungsprinzip der Objektkunst prägen, das die moderne Wegwerf-Gesellschaft zugleich ironisiert und kritisch hinterfragt.

Objektkunst – Alltagsgegenstände, die den Alltag hinterfragen

Nachdem Kubismus, Dadaismus und Surrealismus bereits jede Mimesis aus der Kunst verabschiedet und mit den traditionellen Gestaltungsmitteln gebrochen hatten, schockiert und polarisiert der amerikanisch-französische Künstler Marcel Duchamp im Jahre 1913 mit dem ersten sog. "Ready-made" (franz. 'Objet trouvé'): Einem Fahrrad-Rad, das zuvor keiner künstlerischen Bearbeitung unterzogen worden war, sondern vom Künstler schlichtweg "vorgefunden" und als Kunst deklariert wurde.

Aus dieser frühen Integration von Alltagsgegenständen in den künstlerischen Reflexionsprozess entwickelt sich nach und nach die Objektkunst, die ebenfalls mit Alltags- und Nutzgegenständen arbeitet, die unverändert oder zum Teil auch ästhetisch verfremdet zu Kunstobjekten erklärt und (zunächst) einzeln ausgestellt werden. Ein frühes bekanntes Beispiel ist der "Stierschädel" von Pablo Picasso aus dem Jahre 1942.

Während die Objektkünstler in ihrer frühen Phase noch mit einzelnen Fundstücken und Objekten arbeiten, entwickelt sich später das Prinzip der "Assemblage", bei welchem mehrere Objekte kombiniert ausgestellt werden. In den 1960er Jahren schließlich erreicht die Bewegung ihre monumentalsten Ausgestaltungen, indem ganze Räume und Gebäude (von den Künstlern "Environments" genannt) (um)gestaltet werden. Neben den berühmten Rauminstallationen von Joseph Beuys und den verhüllten Bauten Christos schafft auch der schweizerische Künstler Jean Tinguely beeindruckende Objekte, die vor allem die Rolle der Technik im Alltag hinterfragen. Seine funktionalen Maschinenplastiken finden sich häufig in Kombination mit den bunten Figuren seiner Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle. Ein gemeinsames Projekt ist beispielsweise der "Stravinski-Brunnen" in Paris.

Akkumulation – ein Haufen 'Müll' im Glaskasten

Während die Objektkunst Alltags- und Nutzgegenstände auf ihre ästhetische Qualität hin befragt und somit zugleich die Frage stellt, was die Kunst eigentlich zur Kunst macht und ob sie bestimmten Regeln zu folgen und gewisse Kriterien zu erfüllen hat, ist der Ansatz des akkumulativen Gestaltungsprinzips deutlich praktischer – und deutlich plakativer. Der Namensgeber der Bewegung, der französische Künstler setzt nicht am Anfang des Konsumkreislaufs an, wie viele seiner Kollegen, sondern am Ende: Seit den 1950er Jahren sammelt Arman weggeworfene Gegenstände, die er 1960 erstmals ausstellt, indem er die Galerie „Iris Clert“ in Paris bis unter die Decke mit dem Unrat anfüllen lässt. Die ersten Publikumsreaktionen fallen damals entsprechend heftig aus und es geht eine Welle der Empörung durch Paris.

In diese Zeit fallen auch Armans erste „Akkumulationen“, für die er eine variierende Anzahl gleichartiger Nutzgegenstände im wahrsten Sinne des Wortes „anhäuft“ (lat. accumulo = 'anhäufen') und in Plexiglashüllen oder Glaskästen ausstellt. Ein frühes Bild ist die „Accumulation des Brocs“ (Anhäufung von Kannen) aus dem Jahre 1961 mit 30 Kannen. Durch dieses Arrangement wird der Alltagsgegenstand nicht nur seiner primären Funktion entkleidet, indem er zum Kunstobjekt wird, sondern der Betrachter wird zugleich auf die individuellen Eigenschaften der – an und für sich – identischen Gegenstände aufmerksam gemacht. Auf diese Weise verleiht Arman jenen Gegenständen, die normalerweise als „Müll“ am Ende des Zivilisationsprozesses stehen, ästhetischen Wert und macht darüber hinaus deutlich, wie sehr jedes einzelne Glied der Gesellschaft vom Konsum okkupiert ist.

Doch nicht nur Arman arbeitet im Paris der 1960er Jahre mit der Akkumulation – sie ist auch festes Gestaltungsprinzip des „Nouveau Réalisme“ ('Neuer Realismus'), wie er im Oktober 1960 durch eine kleine Künstlergruppe um Arman, Yves Klein und den französischen Kunstkritiker Pierre Restany ins Leben gerufen wird. Ziel des Neuen Realismus, der auch Verbindungen zur Düsseldorfer Künstlergruppe „ZERO“ um Heinz Mack und Günther Uecker unterhält, ist eine „Sprengung“ der traditionellen Wertehierarchie in der Bildenden Kunst.

Yves Klein - Anthropometrie

Durch die Integration von Technik und neuartigen Materialien soll die tägliche Realität, der Alltag der 'Neuen Zeit' abgebildet werden. Ein wichtiger Aspekt der programmatischen Bewegung ist hierbei die 'Ästhetik des Hässlichen'. Neben Arman und Yves Klein (siehe Bild: Anthropometrie) gehören auch Daniel Spoerri, Schöpfer der sog. „Eat Art“, Jean Tinguely und (später) Niki de Saint Phalle zu den Nouveau Réalistes.


Postimpressionismus – Kunststile und Künstler auf dem Weg in die Moderne

Alle schauen auf Paris: Während man im restlichen Europa noch immer den Tod der Geschichte verkündet und die Wirklichkeit in Form und Farbe auflöst, etablieren sich in Frankreich zwischen 1880 und 1905 schon wieder neue künstlerische Formen, die den Impressionismus zum Teil weiterentwickeln, sich zum Teil aber auch bewusst von ihm abgrenzen. Die Stile, die in dieser Zeit entstehen, werden unter dem Begriff "Post-, Nach- oder Spätimpressionismus" zusammengefasst, da sie alle in Abhängigkeit von der durch Claude Monet geprägten impressionistischen Malweise entstehen.

Während der Spätimpressionismus (häufig auch als Neoimpressionismus bezeichnet) sich in starker Abhängigkeit zur impressionistischen Malerei entwickelt und deren Techniken, beispielsweise durch den von Georges Seurat geprägten Pointillismus, lediglich weiterentwickelt, zeichnet sich der Post- bzw. Nachimpressionismus vor allem durch die dezidierte Überwindung des impressionistischen Dogmas aus, ohne jedoch seinerseits zu einem homogenen ästhetischen Stil zu finden. Zu den Künstlern, die die Überwindung des Impressionismus in Gang setzen und dadurch den entscheidenden Schritt in die künstlerische 'Moderne' wagen, zählen u.a.:

Vincent van Gogh,

Paul Cézanne und

Paul Gauguin.

In den Spuren des Impressionismus: Der Pointillismus (Divisionismus)

Während sich die impressionistische Malweise betont subjektiven Sinneseindrücken hingibt und versucht, Objekte in Licht aufzulösen und mit Farbe auf die Leinwand zu übertragen, geht der Spätimpressionismus noch darüber hinaus, indem er die "Aufspaltung" der Farbpalette bewusst steigert. Exemplarisch für diese Technik steht der französische Maler Georges Seurat, welcher die Farben ungemischt als winzig kleine "Tupfer" auf die Leinwand aufbringt und auf diese Weise Perspektive und Tiefe durch reinen Farbauftrag entstehen lässt. Ein bekanntes Beispiel dieses "Pointillismus" (auch "Divisionismus" genannt) ist das Bild „Sonntag Nachmittag“ auf der Grande Jatte um 1885. Ein weiterer Vertreter des Pointillismus ist Paul Signac, der später und gemeinsam mit Camille Pissarro auch politisch aktiv wird.

Wie schon die ersten impressionistischen Künstler wenden sich auch die Vertreter der spät- und nachimpressionistischen Strömungen dezidiert gegen die recht strenge und reaktionäre Kunstauffassung in Paris um 1900, welche 'Kunst' und Kultur generell zentralistisch zu organisieren sucht. Die Wertmaßstäbe werden in dieser Zeit hauptsächlich durch die "Académie des Beaux-Arts" festgelegt, welche einen strengen akademischen Kunststil fordert und Ausstellungen in der Regel auf den "Salon de Paris" im Louvre eingrenzt.

Ein Künstler, der in besonderem Maße gegen das strikte Regelwerk des Pariser "Salons" aufbegehrt, ist Paul Cézanne: Zu Beginn noch stark impressionistisch geprägt, abstrahiert er seine Motive immer mehr zugunsten von klaren und reinen farblichen Strukturen. Als einer der ersten begreift Cézanne die Leinwand als eine "Welt mit eigenen Gesetzen", die nicht von der Gesellschaft usurpiert werden dürfe. Aus dieser Überzeugung heraus formiert sich 1884 mit der "Société des artistesindepéndants" eine Gesellschaft unabhängiger Künstler, die sich bewusst gegen den akademischen Kunststil stellt.

Auf neuen Wegen: Cloisonismus, Synthetismus und expressive Kunst

Während Seurat, Signac und Cézanne die impressionistischen Techniken weiterentwickeln, grenzen sich Künstler wie Vincent van Gogh und Paul Gauguin bewusst davon ab, da der Impressionismus ihnen zu "bürgerlich" und zu ästhetizistisch ist. Van Gogh übernimmt das impressionistische Farbspiel, geht jedoch zu einer deutlich expressiveren Darstellungsweise über, indem er die eigenen Emotionen über das Motiv stellt. So entstehen Werke von teils bedrückender Intensität mit charakteristischem Van Gogh'schen Pinselstrich wie z.B. "Kornfeld mit Krähen" aus dem Jahre 1890, das es auch bei uns in der Galerie zu entdecken gibt.

Edvard Munch – der Schrei

Um 1886 findet sich mit der "Schule von Pont-Aven", einer Gemeinde im Westen von Frankreich, eine Reihe von Künstlern zusammen, die den sog. "Synthetismus" als Gegenentwurf zu Impressionismus und Pointillismus entwickeln. Ziel der Gruppe um Paul Gauguin ist es, die Wirklichkeit mit den eigenen Emotionen und ästhetischem Regelwerk zu verbinden und die "Synthese" dieser drei Gesichtspunkte aus der Erinnerung heraus auf die Leinwand zu bringen. Ein weiterer Stil, der hier geprägt wird, ist der sog. "Cloisonismus", der eine Abstraktion von Perspektive, Farbspiel und Detailreichtum mit sich bringt. Der Cloisonismus ist auch der Volkskunst insofern verwandt, als dass er mit starker Konturierung der Flächen und extremen Hell-Dunkel-Werten arbeitet. In seiner Reduktion auf elementare Formen ist der Cloisonismus als eine Art Vorläufer des Kubismus zu verstehen.

Paul Gauguin selbst versteht seine Arbeit als eine Verbindung von Synthetismus und Cloisonismus und bezeichnet sie als "symbolisch". Mit dem "Symbolismus" beginnt ebenfalls um 1880 eine Stilrichtung, die sich nicht mehrheitlich auf Frankreich beschränkt, sondern Vertreter in ganz Europa findet. Eines der berühmtesten Beispiele ist hier "Der Schrei" des norwegischen Malers Edvard Munch aus dem Jahre 1893, was auch bei uns in der Galerie erhältlich ist (siehe Bild).


Stilllebenmalerei: Bedeutung und Arten

„Mit einem Apfel will ich Paris in Erstaunen versetzen!“ Der hier spricht, ist Paul Cézanne. Und auch, wenn sein Vorhaben angesichts der belebten und schwer zu beeindruckenden Pariser Künstlerszene um 1870 recht kühn anmutet, so zeugt es neben dem künstlerischen Selbstbewusstsein des französischen Malers auch von der im 19. Jahrhundert ungebrochenen Faszination Europas für das sog. „Stillleben“. Die künstlerische Disziplin, die erst seit dem 17. Jahrhundert als eigenständige Kunstrichtung gilt, entwickelt sich zunächst als Hintergrundelement und Teil größerer Werke.

Das „Stillleben“ zeigt unbewegte oder leblose Gegenstände wie Blumenarrangements, Früchte oder Jagdbeute, die nach ästhetischen oder (je nach Genre) symbolischen Gesichtspunkten angeordnet sind. Da grundsätzlich jede Darstellung eines unbewegten Gegenstandes als Stillleben bezeichnet werden kann und die Artenvielfalt sich von Blumen- und Früchtestücken über Bücher-, Jagd- und Küchenstücke bis hin zu Masken- und Waffenstück erstreckt, sind die Übergänge der Gattung zur Genre- und Interieurmalerei fließend. Das früheste erhaltene Stillleben, für das man bereits von einer eigenständiger Komposition sprechen kann, ist das „Rebhuhn mit Waffen“ des französischen Malers Jacopo de' Barbari aus dem Jahre 1504.

Das Stillleben vor 1600: Bildschmuck und Hintergrundmotiv

Die Motive des Stilllebens kennt im Grunde jede Epoche, da jedes Bild auf bestimmte Art und Weise arrangiert und „komponiert“ ist. So finden sich Elemente des Stilllebens auf Wandbildern, Reliefs und Mosaiken bereits in der antiken ägyptischen, hellenistischen und römischen Kunst. In der frühen abendländischen Kunst sind die „stilllebenen“ Motive zunächst nur Teile größerer Werke, da die reine Darstellung eines Gegenstandes ohne 'symbolischen' Gehalt oder versteckte Aussage den künstlerischen Grundprinzipien des europäischen Mittelalters widerspricht. Entsprechend sind die Arrangements auf den Bildern des niederländischen Malers Jan van Eyck und des Flamen Robert Campin lediglich schmückendes Beiwerk mit allegorischem Gehalt, der sich nach dem jeweiligen Hauptmotiv richtet. Die allmähliche Entwicklung des einstigen Hintergrundmotivs zum Hauptgegenstand des Bildes findet erst in der zweiten Hälfte des 16. statt.

Im Jahre 1553 malt Pieter Aertsen, der heute als der erste niederländische „Stilllebenmaler“ gilt, die Szene „Christus bei Maria und Martha“ und lässt dabei die namensgebende biblische Szene weitestgehend in den Hintergrund treten, während das prächtig gemalte Stillleben den Mittelpunkt der Darstellung bildet. Durch das im 17. Jahrhundert erstarkende Bürgertum findet eine weitere Spezialisierung des Stilllebens (beispielsweise auf Blumen-, Jagd- und Küchenstillleben) statt, die mit den Gestaltungsmitteln des bürgerlichen Realismus rein aus Farbe, Form und Komposition aufgebaut sind. Bedeutende Künstler dieser ersten Blütezeit sind neben Pieter Aertsen auch Samuel van Hoogstraten, seines Zeichens ein Schüler Rembrandt van Rijns und Maler des berühmten „Steckbretts“ (um 1660), und Willem Kalf, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts für seine Arrangements filigraner Silber-, Gold- und Porzellangegenstände in Verbindung mit Früchten und Blumen bekannt wird.

Das Stillleben zwischen 1600 und 1800: Bürgerlichkeit, Vanitas & 'Memento mori'

Speziell in den Niederlanden schwankt das Stillleben zu Beginn des Barock zwischen bürgerlichen Motiven auf der einen und symbolischen Darstellungen auf der anderen Seite: Viele Stillleben der Zeit stellen die Macht und den Reichtum ihrer Auftraggeber durch besonders wertvolle Gegenstände, wissenschaftliche Instrumentarien und kostbare Blumenarrangements dar.

Allie_Caulfield - 2009-11-15 München, Alte Pinakothek 125 Peter Paul Rubens und Jan Brueghel d.Ä., Madonna im Blumenkranz.jpg – flickr.com

Ein bekanntes Beispiel ist hier Jan Brueghel der Ältere, der (aufgrund seiner Spezialisierung) auch „Blumenbrueghel“ genannt wird. Brueghel malt u.a. die Blüten der „Madonna im Blumenkranz“ von Peter Paul Rubens (siehe Bild). Die andere Seite dieses Lobgesangs auf das 'Diesseits' und die profane Sinnlichkeit bilden die Motive der Vergänglichkeit bzw. der „Vanitas“ (lat. vanitas = 'Leere, eitles Treiben').

Als DAS Vanitas-Symbol tritt der Totenschädel als Mahnung an die Sterblichkeit des Menschen bereits im 15. Jahrhundert auf. In Verbindung mit weiteren Motiven der Vergänglichkeit (Kerze, Sanduhr, Insekten, welkende Blumen etc.) bildet er im 17. Jahrhundert schließlich einen eigenen Typus von Stillleben aus. Das Vanitas-Motiv bezieht sich auf den Prediger Salomo im Alten Testament, welcher das satte, volle Leben stets mit seiner Kehrseite von Tod und Verfall verbindet. Die Mahnung des „Memento mori“ (= 'Bedenke, dass du sterben musst!') findet im niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts ihre vollkommene bildliche Darstellung. Doch auch später findet die barocke Symbolik noch Nachahmer – so zum in Paul Cézanne und seiner „Schädelpyramide“ von 1901. Im 18. Jahrhundert verliert das Stillleben an Bedeutung. Besonders in der streng akademischen Kunst Frankreichs bleibt das Stillleben, da es das Kriterium des 'Erhabenen' nicht erfülle, lange Zeit unbeachtet. Eine Ausnahme sind hier die Arbeiten von Jean-Siméon Chardin, dessen subtiler Bildaufbau und nuancenreiches Kolorit eine technische Weiterentwicklung der künstlerischen Gestaltung darstellen. In Italien tut sich vor allem Carravaggio als Meister des Stilllebens hervor – seine Arbeit „Früchtekorb“ von 1595/96 gibt es auch bei uns in der Galerie zu entdecken.

Das Stillleben ab 1800: Gefühlskult & Abstraktion

Das 19. Jahrhundert bedeutet einen Wandel für das Stillleben, da die realistische Darstellung immer mehr in Frage gestellt, zugleich jedoch nach neuen Möglichkeiten des Ausdrucks gesucht wird. So zeigt sich im Impressionismus mit Monet und van Gogh erstmals das Stillleben im (betonten) Spiel mit Atmosphäre und Licht (Monet) sowie das Stillleben als Ausdruck starker emotionaler Impulse (van Gogh). Zu abstrakteren Gestaltungen kommt es bereits im Expressionismus und später im Fauvismus, der das Stillleben rein aus Form und Farbe aufbaut. Zu neuer Blüte gelangt das Stillleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Durch die Arbeiten Paul Cézannes, der nach und nach die Perspektive auflöst, Größenverhältnisse konsequent missachtet und die Wirklichkeit als erster auf ihre reinen geometrischen Formen reduziert, wird das (stark abstrahierte) Stillleben in dieser Zeit zu einem Hauptthema der Kunst. Die beginnende Abstraktion im Stillleben zeigt sich auch in Cézannes Arbeit „Stillleben mit Äpfeln und Orangen“ von 1895.

Bild: Stillleben Orangen, Bananen, Zitronen, Tomaten von Paula Modersohn-Becker 

Cézannes Arbeiten sind stilbildend für den Kubismus und Künstler wie Picasso, Braque und Juan Gris, welche das Stillleben später nicht mehr nur aus Farbe und Form, sondern (mittels der Collage) auch aus Papier, Tapete, Sand, Holz und anderen Stoffen aufbauen: Das Stillleben wird dreidimensional. Eine ganz neue Form entsteht in den 1920er Jahren mit den Dadaisten, welche vorgefundene Gegenstände (franz. Objets trouvés) zu Kunstwerken erklären. Im Surrealismus schließlich wird das Stillleben um eine traumhaft-visionäre Komponente bereichert, indem Künstler wie Dalí und Magritte realistische Gegenstände verfremdet in visionären Umgebungen abbilden. Grundsätzlich bietet das Genre des Stilllebens der Kunst des 20. Jahrhunderts vor allem die Möglichkeit, sich experimentell mit dem Verhältnis des Künstlers zur Objektwelt auseinanderzusetzen und dieses neu zu definieren.


Konstruktivismus und Suprematismus

Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund: Als der russische Avantgardist Kasimir Malewitsch sein 79 x 79 cm großes Ölgemälde im Jahre 1915 erstmals ausstellt, präsentiert er der Öffentlichkeit das „wohl radikalste Bild der Kunstgeschichte“. Die farb- und gegenstandslose, rein nach geometrischen und architektonischen Gesichtspunkten konstruierte Komposition vereinigt bereits alle charakteristischen Merkmale der gegenstandlosen Malerei, die ihre Blütezeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht. Mit dem „Konstruktivismus“ entwickelt sich eine Kunst, die den wissenschaftlichen und technischen Höhepunkt ihrer Zeit abzubilden sucht.

Der Konstruktivismus wird heute vor allem als kommunistisch propagandistische Kunstrichtung verstanden, die sich im revolutionären Russland entwickelt hat.

Neben dem russischen Konstruktivismus, welcher in der Tat wesentlich durch den politisch engagierten Suprematismus geprägt ist, gibt es jedoch auch zwei weitere Formen:

Der europäische analytische Konstruktivismus

Der praktisch-experimentelle Konstruktivismus

Der europäische „analytische“ Konstruktivismus geht von der konkreten Malerei aus und hat sich in starker Nähe zum deutschen „Bauhaus“ und der niederländischen Künstlervereinigung „De Stijl“ entwickelt, während der praktisch-experimentelle Konstruktivismus vorrangig durch die moderne Architektur geprägt ist und in größerem Maßstab mit audiovisuellen und räumlichen Konstruktionen sowie mobilen Mechanismen arbeitet. Im Allgemeinen werden die analytischen und die praktisch-experimentellen Ausformungen als „Internationaler Konstruktivismus“ zusammengefasst, da sie mehr ästhetisch als politisch motiviert sind.

Die Wegbereiter des Konstruktivismus: Konkrete Kunst und Kubismus

Während der Impressionismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch regelrechte „Stimmungsbilder“ aus Farbe und Licht zusammensetzt und auch der Expressionismus auf kräftige Farben und bildnerische Dynamik setzt, um das Seelenleben des Künstlers abzubilden, löst sich die Malerei im frühen 20. Jahrhundert immer mehr von Farbspiel und Gegenständlichkeit. Bereits um 1900 stellen sich mit Henri Matisse und Wassily Kandisky die Weichen für die „Konkrete Kunst“, die rein aus Form und Farbe aufgebaut und weitestgehend vom Gegenständlichen abstrahiert ist. Diese neue Autonomie bildnerischer Gestaltung ist mit dem Schlachtruf „L'art pour L'art“ in die Kunstgeschichte eingegangen, da sie eine Kunst propagiert, die nur ihren eigenen Gesetzen folgt und in keiner Weise funktionalisiert werden dürfe. Der sich ab 1907 entwickelnde Kubismus greift jene neue „Gegenstandslosigkeit“ in der Malerei auf, geht jedoch von der konstruktiven Struktur des Gegenstandes aus und nutzt die einzelnen Elemente für die Bildkomposition. Nach Paul Cézanne sei die Wirklichkeit einzig und allein aus den Formen Kubus, Kegel und Kugel aufgebaut – und könne daher auch in der Malerei auf jene Formen reduziert werden.

Jene Gestaltungsweise zeigt sich bereits in den „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907) von Picasso, welcher – wie George Braque – Vertreter des „analytischen“ Kubismus ist. Bei dieser Richtung der kubistischen Kunst werden die traditionellen illusionistischen Mittel wie Raum und Perspektive komplett aufgelöst, indem die Objekte in ihre Teile zergliedert und gleichsam „auf der Bildfläche ausgebreitet“ werden. Durch die Auflösung der Perspektive sind Maler wie Braque, Picasso, Juan Gris, Fernand Léger und Alexander Archipenko in der Lage, in ihren Bildern eine gewisse „Gleichzeitigkeit“ darzustellen, die mit traditionellen bildnerischen Mitteln nicht erreicht werden kann. Besonders deutlich kommt jene Simultaneität von Augenblicken 1937 in Picassos „Guernica“ zum Ausdruck, in welchem er die Zerstörung der Stadt Gernika während des Spanischen Bürgerkriegs verarbeitet. Der „synthetische“ Kubismus geht noch einen Schritt weiter und setzt reale Dinge wie Tapeten, Zeitungsausschnitte oder Teile anderer Bilder zu neuen ästhetischen Objekten zusammen.

Material und Raum: Der Internationale Konstruktivismus

Hat die konkrete Kunst also bereits den Gegenstand aus der bildnerischen Gestaltung entfernt und der Kubismus die Wirklichkeit in geometrische Formen zerlegt, so geht der Konstruktivismus noch einen Schritt weiter und macht die mathematische Konstruktion aus exakt bemessenen Elementen zur Grundlage seiner künstlerischen Ästhetik: Gemäß seines Namens (lat. 'construere' = aufbauen, errichten, zusammenfügen) vertritt der Internationale Konstruktivismus eine künstlerische Gestaltung, in der die Elemente in fest definierten Beziehungen und Maßeinheiten zueinander stehen. Folglich stehen die räumliche Gestaltung und die Architektur im Mittelpunkt dieser Phase. Im Gegensatz zum Kubismus findet sich im Konstruktivismus auch eine deutliche Beschränkung der Farbpalette: Neben Schwarz, Weiß und Grau werden nur (und selten) die Primärfarben verwendet.

Bedeutende Vertreter des Internationalen Konstruktivismus sind u.a. der Schweizer Künstler Johannes Itten, der am „Bauhaus“ die konstruktivistische Farbtheorie lehrt und der ebenfalls am Bauhaus tätige deutsch-amerikanische Maler und Karikaturist Lyonel Feininger, der sich mit der Farbverteilung im Raum und dem Aufbau von Perspektiven aus reiner Farbabstufung auseinandersetzt (siehe Bild: Regenklarheit).

Eine ungewohnt figurale Ausformung des Konstruktivismus findet sich bei dem deutschen Künstler Oskar Schlemmer, dessen Bilder mit der Verteilung von Figuren im Raum experimentieren (Siehe Bild: Gruppe am Geländer)

Propaganda und Philosophie: Der Russische Konstruktivismusy

Der russische Konstruktivismus teilt sich mit dem „Utilitarismus“ nach Wladimir Jewgrafowitsch und dem „Suprematismus“ um Kasimir Maletwisch in zwei Richtungen, die jedoch beide ideologisch motiviert sind. Während das utilaristische Prinzip mehrheitlich von der Technik- und Zukunftsbegeisterung des Futurismus beeinflusst ist und die Kunst zur Revolutionierung der Gesellschaft nutzen möchte, entzieht der Suprematismus die Kunst jener gesellschaftlichen Funktionalisierung zugunsten einer reinen geometrischen Formbestimmtheit. Nichtsdestotrotz ist auch Malewitschs Konzept weit entfernt von der „L'art pour L'art“ der Konkreten Kunst: Anders als der Utilarismus will der Suprematismus die Kunst zwar nicht funktionalisieren, doch Malewitsch betrachtet seine Arbeit als ästhetisch-künstlerisches Spiegelbild der kommunistischen Konzepte.

Die Reduktion auf die einfachsten geometrischen Formen sowie die Verwendung der „Unifarben“ Schwarz, Weiß und Grau dienen nach dem "Suprematistischen Manifest" von 1915 ausschließlich der Veranschaulichung der 'höchsten' menschlichen Erkenntnisprinzipien, welche Malewitsch im Kommunismus verdichtet sieht. Folglich betrachten die Vertreter des Suprematismus sich gleichsam als „Verlängerung“ der offiziellen politischen Funktionäre und haben den Anspruch, „das kommunistische Gedankengut mit ihrer Kunst ins Volk zu tragen.“ Dementsprechend bezeichnen die suprematistischen Künstler sich selbst als „Ingenieure“ und sprechen in Zusammenhang mit ihrer Arbeit von der „Front der Kunst“. Auch der Suprematismus ist auf formaler Ebene durch die radikale Reduktion auf einfache geometrische Formen gekennzeichnet, die ihre Vorbilder in der Volkskunst, dem Neo-Primitivismus und den fauvistischen Arbeiten von Henri Matisse finden.

Rein ideologisch betrachtet sieht der Suprematismus in jeder Form von gegenständlicher Darstellung in der Kunst die hierarchischen Strukturen des (durch das Zarentum unterdrückten) Russland verkörpert. Durch die „Verbannung“ von Perspektive, Plastizität und Farbe ist das suprematistische Bild der gegenständlichen und damit 'wirklichen' Welt entrückt und bildet damit einen 'idealen' Raum ab. Die Variante des Russischen Konstruktivismus ist zwischen 1915 und 1930 extrem virulent und hat auch erheblichen Einfluss auf die europäische Avantgarde. Unter Stalin wird der Suprematismus 1927 jedoch verboten und der Sozialistische Realismus zur Staatskunst erklärt.


Stilrichtungen der Konzeptkunst: Prozesskunst, Objektkunst und Happening

Die 60er Jahre brechen künstlerisch mit allen Tabus. Im Zuge der avantgardistischen Bewegungen wird nicht nur die Trennung von Künstler und Kunstwerk zeitweise aufgehoben, sondern auch die Wertehierarchie im künstlerischen Schaffensprozess hinterfragt. Als Weiterentwicklung der Tendenzen aus der abstrakten Malerei und progressiven Strömungen wie Kubismus und Dadaismus, gesteht die sogenannte "Konzeptkunst" der Planung und Idee zu einem Werk den gleichen Stellenwert zu wie dem fertigen Objekt. Aus diesem "Spiel" mit Konventionen, Begrifflichkeiten und Traditionen entstehen die Stilrichtungen der Prozess- und Objektkunst, sowie das Happening.

Im Jahre 1966 fand mit der Ausstellung „Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to Be Viewed as Art“ in New York die erste Ausstellung statt, bei der nicht fertige Kunstobjekte, sondern Kunst-Konzeptionen vorgeführt werden: Skizzen, Anleitungen, Schriftstücke und bisweilen ganze "Künstlerbücher", die in Vorbereitung auf einen künstlerischen Schaffensprozess entstanden sind. Drei Jahre später findet im Leverkusener Museum 'Morsbroich' die erste Konzeptkunst-Ausstellung auf deutschem Boden statt.

Die Prozesskunst – Der Weg ist das Ziel

Am deutlichsten spiegelt sich der Gedanke von der Gleichwertigkeit aller Arbeitsschritte von der Idee bis hin zum fertigen Kunstobjekt in der sogenannten "Prozesskunst": Hier wird nicht nur der Prozess der Gestaltung festgehalten, sondern Zeit und Raum sollen sowohl für den Künstler selbst als auch für das Publikum als autarke Größen erfahrbar werden. Zugleich sollen die Hintergründe der Entstehung die Wahrnehmung des fertigen Objektes beeinflussen, indem der Prozess der Gestaltung in die Präsentation mit einbezogen wird. Um den Prozess "erfahrbar" zu machen, werden bevorzugt Videoaufnahmen bzw. Fotostrecken verwendet, die dem prozesshaften Charakter der Gestaltung nachempfunden sind.

Durch die Dokumentation des Gestaltungsvorgangs in Ausschnitten oder als Gesamtprozess wird außerdem deutlich, welchen Alltagseinflüssen das fertige Objekt während seiner Entstehung ausgesetzt war (z.B. Unterschiedliche Bedingungen an unterschiedlichen Standorten, Erosion, "helfende Hände" etc.) und der Betrachter kann sich ein Bild davon machen, welche Entwicklungen dadurch eventuell angestoßen wurden bzw. inwiefern das Objekt hiervon beeinflusst wurde. Bekannte deutsche Vertreter der Prozesskunst sind u.a. Eva Hesse, die 1972 noch postum auf der fünften 'documenta' in Kassel vertreten war (siehe Bild), Ulrich Rückriem und Jochen Gerz. Bekannte internationale Prozesskünstler sind Bruce Nauman, Richard Serra und Robert Morris, dessen sogenannte "Bleibilder" im 'Museum of Modern Art' in New York ausgestellt sind.

Fotograf: richard winchell, Titel: Eva Hesse, flickr.com

Die Objektkunst – Vom Alltag zur Kunst

Die Ursprünge der Objektkunst liegen in einer Frage, die am Beginn fast jeder avantgardistischen Bewegung steht: Was macht Kunst zur Kunst? Während im Kubismus bereits die traditionellen Formen verschwimmen, die in der Abstrakten Malerei dann gänzlich aufgelöst werden, stellen sowohl der späte Dadaismus, als auch der Surrealismus explizit die Frage nach einer Kunst, die abgelöst vom Künstler existiert. Der französisch-amerikanische Künstler Marcel Duchamp schließlich polarisiert mit seinen sogenannten "Ready-mades“ (franz. Objet trouvé), bei denen es sich um beliebige Alltagsgegenstände (wie beispielsweise ein Pissoir) handelt, die er unverändert als „Kunst“ präsentiert. In der – sich daraus entwickelnden – Objektkunst werden ebenfalls Nutzgegenstände oder auch natürliche Fundstücke unverändert oder verfremdet als Kunstwerke deklariert und einzeln (oder zur „Assemblage“ kombiniert) ausgestellt. Ein berühmtes Beispiel ist hier der Stierschädel“ Picassos von 1942.

Während der 1960er Jahre erreicht die Objektkunst ihre monumentalsten Ausgestaltungen, indem Künstler ganze Räume und Gebäude, zum Teil in Anlehnung an die „Merz-Bauten“ von Kurt Schwitters, gestalten. Bekannte Beispiele für diese „Environments“ sind neben den verhüllten Bauten Christos und den Rauminstallationen von Joseph Beuys auch die Arbeiten des Schweizer Malers und Bildhauers Jean Tinguely (siehe Bild: Chaos), der vor allem für seine funktionalen Maschinenplastiken aus Metall berühmt ist. Ab 1979 ist Tinguely außerdem an den Arbeiten für den „Giardino dei Tarocchi“ (den sogenannten „Tarotgarten“) seiner Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle beteiligt, in dem eine Vielzahl begehbarer „Environments“ im Stile der überlebensgroßen bunten „Nanas“ entstehen.

Das Happening – Aktionskunst als Provokation

Das Happening (vom engl. to happen = 'geschehen') ist neben der Fluxus-Bewegung die wichtigste Ausdrucksform der sogenannten "Aktionskunst", welche in den 1960er Jahren gegen einen als zu eng empfundenen Kunstbegriff revoltiert und sich explizit als Manifestation politischer Meinungsbildung versteht. Indem traditionelle Grenzen bewusst überschritten werden, soll die künstlerische Gestaltung als Teil der Lebenswirklichkeit anerkannt werden und in die soziale Wirklichkeit eingreifen. Die konzeptionelle Grenzüberschreitung schlägt sich u.a. in der Suche nach neuen medialen und performativen Ausdrucksformen und in der expliziten Aufhebung der Grenze zwischen Künstler und dem Publikum dar. Die geläufigste Form des Happenings ist daher ein improvisiertes Ereignis, in welches das Publikum direkt mit einbezogen wird. Da sich die Kunstform als fließender, nicht fixierbarer Übergang zwischen Kunst und Leben versteht, sind auch Anfangs- und Endpunkt des Ereignisses in keiner Weise markiert.

Die Interaktion mit dem Publikum ist auf eine Schockwirkung ausgerichtet, weshalb die Darstellenden u.a. Gegenstände in den Zuschauerraum werfen, mit Blut- oder Farbbeuteln werfen oder das Bühnenbild zerstören. Der Geschehensablauf richtet sich nach dem Zufallsprinzip und folgt den Reaktionen des Publikums. Eine besondere Form des Happenings ist die sogenannte "Körperkunst" (Body-Art), zu der auch der geplante Exhibitionismus gehört, der in "Performances" in Szene gesetzt wird. Hier kann der Künstler sich entweder selbst zum Bild machen oder auch andere Körper im Bühnenraum "arrangieren". 


"Eat Art" – weil Essen mehr ist als Nahrungsaufnahme

Kahlo, Kaulbach, Kartoffelbrei: Bei der "Eat Art" wird Essen zu Kunst und die Nahrungsmittel werden ebenso gekonnt in Szene gesetzt wie der berühmte "Stierkopf" Picassos oder die bunten "Nanas" von Niki de Saint Phalle. Die spezielle und bis dahin unbekannte Form der Objektkunst entsteht in den 1960er Jahren im Zuge von neodadaistischen und neofuturistischen Strömungen und tritt in gewisser Weise das Erbe der "Cucina Futurista“ an – einer Vereinigung italienischer Künstler, die öffentliche Festessen zu Kunstwerken erklärten.

Der geistige Vater der „Eat Art“: Daniel Spoerri

Titel: Eat Art - Temptation, Fotograf: Inga Vltola, Quelle: flickr.com

Als berühmtester Vertreter der Ess-Kunst gilt der Schweizer Künstler Daniel Spoerri, welcher auch den Begriff „Eat Art“ prägt. Bekannt wird Spoerri, welcher Mitglied der französischen Künstlergruppe Nouveau Réalisme ist, in den 1960er Jahren vor allem durch seine sogenannten „Fallenbilder“ (franz. Tableaux pièges), für die er beliebige Überreste einer Mahlzeit mittels Leim und Konservierungsstoffen auf der Tischplatte fixierte, um eine dreidimensionale Momentaufnahme zu erschaffen. Es ist der Versuch, ein Stück Alltagswirklichkeit gleichsam „einzufangen“ und damit im doppelten Wortsinn „haltbar“ zu machen (siehe: https://www.spoerri.at/leben-und-werk-daniel-spoerri.htm).

Die Ess-Kunst als solche steht, da sie Alltagsgegenstände zur Kunst erhebt und der Lebenswirklichkeit einen Platz in der künstlerischen Ästhetik einzuräumen sucht, zwar in der Folge von (Spät)kubismus und Dadaismus, geht jedoch ganz neue Wege. Neben der ästhetisch-materialistischen Komponente der Nahrungsmittel geht Spoerri auch der gesellschaftlich-sozialen Bedeutung des Essens und der Esskultur nach und setzt sich intensiv mit dem menschlichen Geschmackssinn auseinander. Folge dieser Überlegungen sind eine Reihe kulinarischer Experimente, in denen Spoerri sowohl mit Geschmacksnerven, als auch mit Konventionen spielt.

Eines dieser Experimente ist das sogenannte „Palindromische Diner“, das unter anderem 2001 zu Ehren der „Fluxus“-Ausstellung in Bremen serviert wurde: Gemäß seinem Namen scheint dieses Menü in umgekehrter Reihenfolge abzulaufen, indem mit dem Kaffee begonnen und mit der Vorsuppe geendet wird. Geschmacklich entpuppt sich die Speisenfolge jedoch als ganz „normal“ im Sinne der Konvention, indem der Kaffee sich als Vorsuppe und die vermeintliche Suppe als Cappuccino herausstellt. Ein anderes kulinarisches Experiment ist Spoerris „Kartoffelbrei-Eis“, das mit (vermeintlichen) Fleischpralinen serviert wird.

Bekenntnisse zur „Eat Art“: Ausstellungen und Museen

Spoerri, der zahlreiche Texte zur Ess-Kunst veröffentlichte und seit 1970 mit dem sogenannten „Gastronoptikum“ auch eine Kulinarik-Kolumne herausgibt, eröffnet bereits in den 1968 das erste Restaurant, in dem Kunst und Kulinarik auf der Tagesordnung und der Menükarte stehen. Bereits zwei Jahre später wird mit der „Eat Art Galerie“ in Düsseldorf der erste Ausstellungsraum eröffnet, in dem alle Kunstgegenstände entweder selbst essbar sein, oder sich mit entsprechenden Themen auseinandersetzen müssen. Ausgestellt werden damals neben Objekten von Spoerri selbst auch Arbeiten von Roy Lichtenstein und Joseph Beuys.

Ein weiterer bekannter Vertreter der „Eat Art“ ist der Schweizer Künstler und Grafiker Dieter Roth (siehe Bild: Schweiz Hutsalat von Dieter Roth), der ebenfalls in den 1960er Jahren damit anfängt, Nahrungsmittel „zweckentfremden“. Anders jedoch als Spoerri, der die Kunst mit dem Essen soziologisch begründet und unter anderem nach den Hintergründen für den Umgang mit Nahrungsmitteln fragt, kommt Roth aus der Happening- und Fluxus-Bewegung und nutzt in erster Linie die materiale Seite der Leckereien: So entstehen unter Roths Händen Objekte aus Schokolade, Wurstscheiben und verschiedenen Gewürzen. Ab 1961 arbeitet er außerdem an den – bis heute umstrittenen – so genannten „Literaturwürsten“, für deren Herstellung er Buchseiten zerkleinert und (vermengt mit Gewürzen und Fett) in Schweinedärme füllte. „Verwurstet“ wurden unter anderem Grass´ „Blechtrommel“ und eine Hegel-Gesamtausgabe.

Die philosophische Seite der „Eat Art“: Die Frage nach dem „Warum?“

Anders als Roth, der mit seinen Ess-Kunst-Objekten in erster Linie provoziert, verfolgt Daniel Spoerri einen eher philosophischen Ansatz, indem er den Umgang mit Essen und den Prozess der Nahrungszubereitung und -aufnahme als Teil des gesamten Lebenszyklus begreift. Dementsprechend betrachtet er auch seine „Fallenbilder“ nur als einen winzigen Ausschnitt zwischen Leben und Tod, Verwesung und Wiedergeburt. Indem Spoerri mit Essen experimentiert und Nahrungsmittel sinnlich wie optisch verändert, schafft er nicht nur ein Bewusstsein für Essgewohnheiten und kulinarische Konventionen, sondern stellt diese zugleich in Frage.

Seit einigen Jahren arbeitet Spoerri auch in größerem Maßstab und setzt seine Ideen in Bronzeskulpturen um. Diese sogenannten Assemblages, die als eine Art plastische Collage gestaltet sind, stellt er – ähnlich wie Niki de Saint Phalle mit ihrem Tarotgarten – in der Toskana aus, wo er seit 1997 den Künstlergarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“ betreibt. Auf dem rund 14 ha großen Gelände finden sich neben seinen eigenen Arbeiten auch Installationen befreundeter Künstlerinnern und Künstler.