Das offizielle Kunstmagazin für Kunstliebhaber

"Eat Art" – weil Essen mehr ist als Nahrungsaufnahme

Kahlo, Kaulbach, Kartoffelbrei: Bei der "Eat Art" wird Essen zu Kunst und die Nahrungsmittel werden ebenso gekonnt in Szene gesetzt wie der berühmte "Stierkopf" Picassos oder die bunten "Nanas" von Niki de Saint Phalle. Die spezielle und bis dahin unbekannte Form der Objektkunst entsteht in den 1960er Jahren im Zuge von neodadaistischen und neofuturistischen Strömungen und tritt in gewisser Weise das Erbe der "Cucina Futurista“ an – einer Vereinigung italienischer Künstler, die öffentliche Festessen zu Kunstwerken erklärten.

Der geistige Vater der „Eat Art“: Daniel Spoerri

Titel: Eat Art - Temptation, Fotograf: Inga Vltola, Quelle: flickr.com

Als berühmtester Vertreter der Ess-Kunst gilt der Schweizer Künstler Daniel Spoerri, welcher auch den Begriff „Eat Art“ prägt. Bekannt wird Spoerri, welcher Mitglied der französischen Künstlergruppe Nouveau Réalisme ist, in den 1960er Jahren vor allem durch seine sogenannten „Fallenbilder“ (franz. Tableaux pièges), für die er beliebige Überreste einer Mahlzeit mittels Leim und Konservierungsstoffen auf der Tischplatte fixierte, um eine dreidimensionale Momentaufnahme zu erschaffen. Es ist der Versuch, ein Stück Alltagswirklichkeit gleichsam „einzufangen“ und damit im doppelten Wortsinn „haltbar“ zu machen (siehe: https://www.spoerri.at/leben-und-werk-daniel-spoerri.htm).

Die Ess-Kunst als solche steht, da sie Alltagsgegenstände zur Kunst erhebt und der Lebenswirklichkeit einen Platz in der künstlerischen Ästhetik einzuräumen sucht, zwar in der Folge von (Spät)kubismus und Dadaismus, geht jedoch ganz neue Wege. Neben der ästhetisch-materialistischen Komponente der Nahrungsmittel geht Spoerri auch der gesellschaftlich-sozialen Bedeutung des Essens und der Esskultur nach und setzt sich intensiv mit dem menschlichen Geschmackssinn auseinander. Folge dieser Überlegungen sind eine Reihe kulinarischer Experimente, in denen Spoerri sowohl mit Geschmacksnerven, als auch mit Konventionen spielt.

Eines dieser Experimente ist das sogenannte „Palindromische Diner“, das unter anderem 2001 zu Ehren der „Fluxus“-Ausstellung in Bremen serviert wurde: Gemäß seinem Namen scheint dieses Menü in umgekehrter Reihenfolge abzulaufen, indem mit dem Kaffee begonnen und mit der Vorsuppe geendet wird. Geschmacklich entpuppt sich die Speisenfolge jedoch als ganz „normal“ im Sinne der Konvention, indem der Kaffee sich als Vorsuppe und die vermeintliche Suppe als Cappuccino herausstellt. Ein anderes kulinarisches Experiment ist Spoerris „Kartoffelbrei-Eis“, das mit (vermeintlichen) Fleischpralinen serviert wird.

Bekenntnisse zur „Eat Art“: Ausstellungen und Museen

Spoerri, der zahlreiche Texte zur Ess-Kunst veröffentlichte und seit 1970 mit dem sogenannten „Gastronoptikum“ auch eine Kulinarik-Kolumne herausgibt, eröffnet bereits in den 1968 das erste Restaurant, in dem Kunst und Kulinarik auf der Tagesordnung und der Menükarte stehen. Bereits zwei Jahre später wird mit der „Eat Art Galerie“ in Düsseldorf der erste Ausstellungsraum eröffnet, in dem alle Kunstgegenstände entweder selbst essbar sein, oder sich mit entsprechenden Themen auseinandersetzen müssen. Ausgestellt werden damals neben Objekten von Spoerri selbst auch Arbeiten von Roy Lichtenstein und Joseph Beuys.

Ein weiterer bekannter Vertreter der „Eat Art“ ist der Schweizer Künstler und Grafiker Dieter Roth (siehe Bild: Schweiz Hutsalat von Dieter Roth), der ebenfalls in den 1960er Jahren damit anfängt, Nahrungsmittel „zweckentfremden“. Anders jedoch als Spoerri, der die Kunst mit dem Essen soziologisch begründet und unter anderem nach den Hintergründen für den Umgang mit Nahrungsmitteln fragt, kommt Roth aus der Happening- und Fluxus-Bewegung und nutzt in erster Linie die materiale Seite der Leckereien: So entstehen unter Roths Händen Objekte aus Schokolade, Wurstscheiben und verschiedenen Gewürzen. Ab 1961 arbeitet er außerdem an den – bis heute umstrittenen – so genannten „Literaturwürsten“, für deren Herstellung er Buchseiten zerkleinert und (vermengt mit Gewürzen und Fett) in Schweinedärme füllte. „Verwurstet“ wurden unter anderem Grass´ „Blechtrommel“ und eine Hegel-Gesamtausgabe.

Die philosophische Seite der „Eat Art“: Die Frage nach dem „Warum?“

Anders als Roth, der mit seinen Ess-Kunst-Objekten in erster Linie provoziert, verfolgt Daniel Spoerri einen eher philosophischen Ansatz, indem er den Umgang mit Essen und den Prozess der Nahrungszubereitung und -aufnahme als Teil des gesamten Lebenszyklus begreift. Dementsprechend betrachtet er auch seine „Fallenbilder“ nur als einen winzigen Ausschnitt zwischen Leben und Tod, Verwesung und Wiedergeburt. Indem Spoerri mit Essen experimentiert und Nahrungsmittel sinnlich wie optisch verändert, schafft er nicht nur ein Bewusstsein für Essgewohnheiten und kulinarische Konventionen, sondern stellt diese zugleich in Frage.

Seit einigen Jahren arbeitet Spoerri auch in größerem Maßstab und setzt seine Ideen in Bronzeskulpturen um. Diese sogenannten Assemblages, die als eine Art plastische Collage gestaltet sind, stellt er – ähnlich wie Niki de Saint Phalle mit ihrem Tarotgarten – in der Toskana aus, wo er seit 1997 den Künstlergarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“ betreibt. Auf dem rund 14 ha großen Gelände finden sich neben seinen eigenen Arbeiten auch Installationen befreundeter Künstlerinnern und Künstler.


Die drei Druckprinzipien

Als Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert das Modell der Satzschrift mit auswechselbaren Lettern in der Druckerpresse entwickelt, wird er damit nicht nur zum Vater der Massenproduktion, sondern ermöglicht zugleich einen schnellen und flächendeckenden Informationsfluss. Bis heute gilt die Erfindung des modernen Buchdrucks als einer der Wegbereiter der Aufklärung. Als ältestes der drei Druckprinzipien wurde das "flach gegen flach"-Prinzip, unter das der Buchdruck fällt, bereits im 8. Jahrhundert im ostasiatischen Raum angewendet. Die beiden anderen Prinzipien, "flach gegen rund" und "rund gegen rund" sind Erfindungen des 19. Jahrhunderts.

Die Vervielfältigung von Gebrauchsgütern wie etwa Andachtsbildern für den täglichen Ritus findet in Europa bereits um 1400 statt. Diese frühen Druckgrafiken wie beispielsweise der "Einblattholzschnitt" stammen aus dem Bereich des Hochdrucks und sind von der (industriellen) Massenfertigung, wie sie der moderne Buchdruck ermöglichte, noch weit entfernt.

Druckprinzip 1: "Flach gegen flach"

Bei dem ersten der drei Druckprinzipien, nach welchem auch der Buchdruck funktioniert, wird die Farbe zunächst auf die Druckformplatte (im Falle des frühen Buchdrucks: auf die beweglichen Lettern) gegeben. In einem zweiten Schritt wird das zu bedruckende Material (Papier oder auch Stoff) mittels einer flachen Gegendruckplatte (Druckkörper) auf die zuvor eingefärbte Druckformplatte gepresst, sodass die Farbe übertragen wird. Für diesen Vorgang ist eine extreme Kraft vonnöten, die nur durch besonders schwere und große Maschinen erzeugt werden kann. Das Prinzip eignet sich insbesondere für größere zu bedruckende Flächen nicht optimal, da die entsprechenden Maschinen nur mit geringer Geschwindigkeit arbeiten können.

Druckprinzip 2: "Rund gegen flach"

Das Prinzip "Rund gegen flach" war bereits bekannt, als im 16. Jahrhundert die ersten Kupferdruckpressen entwickelt wurden. Bei diesem Verfahren handelte es sich jedoch um den sogenannten "Tiefdruck", da die zu druckenden Flächen als Vertiefungen in Kupferplatten geätzt und anschließend mit Farbe ausgefüllt wurden. Der Bedruckstoff wurde anschließend mittels eines zylindrischen Körpers mit Druck gegen die Platte gepresst bzw. mit Druck über ihr bewegt, sodass sich die Farbe aus den "Rillen" auf das Papier übertrug. Im 19. Jahrhundert schließlich übertrug der Buchdrucker Friedrich König das Prinzip "Flach gegen rund" aus dem Tief- in den Hochdruck, als er die "Stoppzylinderpresse" entwickelte, die er unter 1810 unter dem Namen "Schnellpresse" patentieren ließ (Siehe: Druckarten im Vergleich).

Bei diesem Verfahren sind die zu druckenden Flächen auf der Druckplatte erhöht und eingefärbt. Die Übertragung der Farbe findet statt, indem der zylindrische Druckkörper fest gegen die Druckplatte gepresst wird, während er um die eigene Achse rotiert. Zeitgleich wird auch die Druckplatte synchron unter ihm hin- und her bewegt. Auf diese Weise konzentriert sich der gesamte Druck auf eine schmale Stelle, die sogenannte "tangentiale Kontaktfläche" zwischen Druckkörper und -platte. Auf diese Weise wurde ab dem 19. Jahrhundert das Drucken mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit und vor allem auch das großformatige Drucken möglich. Bei der sogenannten "Schnelleresse" handelt es sich um die erste mechanisch arbeitende Presse in der Geschichte der Druckmaschinen.

Druckprinzip 3: "Rund gegen rund"

Das letzte der drei Druckprinzipien, „rund gegen rund“, fällt bereits in den Bereich der vollkommen automatisierten Druckmaschinen. Bei diesem Prinzip wird mit zwei Zylindern gearbeitet, da hier nicht nur der Gegendruckkörper, sondern auch die Druckform zylindrisch bzw. gebogen an dem zylindrischen Druckkörper befestigt ist und damit seiner (runden) Form angepasst wird. Der Bedruckstoff wird durch den Gegendruckzylinder (entweder als Rolle oder als Bogen) gegen die Druckform gepresst und auf diese Weise bedruckt. Der Farbauftrag erfolgt auch bei diesem Prinzip als Hochdruck.

Das Prinzip „rund gegen rund“ ist sowohl das jüngste als auch das effektivste der drei Druckprinzipien, da es das Stoppen, Zurückfahren und Beschleunigen der Druckform (wie es bei den Prinzipien „flach gegen flach“ und „rund gegen flach“ notwendig ist) unnötig macht, da die beiden Zylinder ununterbrochen um die eigene Achse rotieren, während der Bedruckstoff zwischen ihnen hindurchgeführt wird. Auf diese Weise werden ungleich höhere Geschwindigkeiten erreicht als bei dem Prinzip „rund gegen flach“, was eine enorme Steigerung der Produktion bei gleichzeitiger Zeitersparnis ermöglicht. Die modernen Druckmaschinen funktionieren heute ausschließlich nach diesem Prinzip, das sich intern noch in den direkten und den indirekten Druck unterteilt.

Bei dem direkten Druckverfahren wird ohne Zwischenträger gearbeitet, sodass das Druckbild direkt von der Druckform auf den Bedruckstoff übertragen wird. Das bedeutet, das Druckbild muss auf der Druckform seitenverkehrt angebracht sein. Beispiele für das direkte Druckverfahren sind u.a. der heutige Buchdruck und der sogenannte „Flexodruck“. Beim indirekten Druckverfahren, das beispielsweise beim „Offsetdruck“ und beim „Tampondruck“ Anwendung findet, wird die Farbe zunächst auf einen flexiblen Zwischenträger aufgebracht, welcher es im nächsten Schritt an den Bedruckstoff weitergibt. Beim indirekten Druckverfahren muss das Druckbild also seitenrichtig auf der Druckplatte angebracht sein.


Comic: Ist das eigentlich Kunst?

Sie ist so alt wie das Genre selbst: Die Frage, ob der Comic eine Kunstform ist oder nicht. Als Chimäre zwischen Zeichenkunst und Storytelling vereint er sowohl Aspekte der Literatur als auch der Bildenden Kunst und bietet damit einzigartige Ausdrucksformen. Bis heute hat das beliebteste Medium der Populärkultur, das aus den Feuilletons dieser Welt kaum mehr wegzudenken ist, jedoch mit Klischees und Vorurteilen zu kämpfen: Während andere Künste institutionell gefördert werden, entwickelt sich das Genre "Comic" noch immer weitestgehend abseits des kulturellen Mainstreams und bleibt mehr oder minder sich selbst überlassen.

Die Japaner nennen ihn "Manga", was so viel bedeutet wie 'spontanes Bild', die Italiener haben ihn "Fumetti" ('Rauchwölkchen') nach dem Mittel der Sprechblase getauft und in Frankreich nennt man den Comic "Bande dessineé". Der englische Begriff indes leitet sich aus dem "Comic Print", einer Witzzeichnung des 18. Jahrhunderts ab. Von dieser Form ist dem Comic heute nur noch ein Merkmal geblieben, das ihn zugleich definiert: sein sequenzieller Charakter. Der Definition des US-amerikanischen Comic-Künstlers Scott McCloud zufolge erzählen Comics eine Geschichte in aufeinanderfolgenden (und aufeinander aufbauenden) Bildern – es handelt sich um sogenannte "sequenzielle Kunst".

Bekannt ist diese Technik bereits seit der Antike, wo sie u.a. als Grabinschrift Tätigkeiten des alltäglichen Lebens darstellte. Als eigenständige Kommunikationsform ohne Vorgabe von Inhalten, Zielgruppen oder Umsetzungsmodalitäten gelten Comics jedoch erst seit den 1990er Jahren. Die Abgrenzung zu anderen Formen wie etwa Cartoons, Illustrationen oder Karikaturen ist recht kompliziert, da in diesem Bereich besonders häufig auch mit Mischformen gearbeitet wird.

Literatur oder Zeichnung: Was genau ist der Comic?

Für die Literatur nicht komplex genug, für die Bildende Kunst nicht "genial" genug: Zu dem durchaus ambivalenten Ruf des Comics gesellt sich die Problematik seiner Identität als Mischmedium zwischen Literatur und Bildender Kunst. Obgleich der französische Literaturkritiker Francis Lacassin die "Sequenzielle Kunst" bereits in den 1960er Jahren zur eigenständigen Kunstform erklärt, hält sich gerade in Deutschland hartnäckig der Ruf des Comics als "Massenerzeugnis", für das es keiner besonderen künstlerischen Begabung bedürfe. Ganz anders in Amerika: Während das kreative Potential des Comics dort bereits recht früh durch Künstler wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein erkannt wird, tut sich hierzulande sowohl die schreibende als auch die künstlerisch bildende Zunft sehr schwer damit, den Comic als zu ihnen gehörige Kunstform anzuerkennen.

Dies mag auch mit dem gleichsam unbegrenzten Potential des Mediums selbst zu tun haben: Als Mischwesen zwischen Schreiben und Zeichnen wächst der Comic stets über sich hinaus und findet laufend neue Ausdrucksformen, die stilistisch sowohl die Grenzen der Literatur als auch die Grenzen der Bildenden Kunst sprengen. Trotz dieses Entwicklungspotentials fehlt es dem Genre bis heute an institutioneller Förderung und gesellschaftlicher Anerkennung: Obgleich erfolgreiche Comics in zahlreiche Sprachen übersetzt und auf internationalen Festivals mit Preisen ausgezeichnet werden, gibt es kaum Fördermöglichkeiten oder Stipendienprogramme für angehende Comic-Zeichnerinnen und Comic-Zeichner.

Ist der Ruf erst ruiniert? Der Comic im Wandel der Zeiten

Kinderkram, Schmuddelheftchen, Instant-Zeichnungen: Seit die ersten "reinen" Comic-Hefte in den 1930er Jahren auf den Markt kamen, ist die Liste der Vorurteile, mit denen das Genre zu kämpfen hat, stetig gewachsen. Diese lassen sich vor allem in drei Bereiche unterteilen: Dem Comic wird vorgeworfen, er biete keinen Bildungsmehrwert, "verrohe" die Jugend und sei darüber hinaus unmoralisch. Seinen Ruf als triviale Kinder-Unterhaltung hat der Comic berühmten Helden der 1930er Jahre wie Superman, Tarzan und Tim & Struppi zu verdanken; den "Geschichten aus der Gruft" aus den 1950er Jahren wirft man vor, die Jugend zu Gewalttätigkeit zu animieren. Der Ruf des Comics als "unmoralische Schundlektüre" etabliert sich bereits während der 1920er Jahre mit einzelnen erotischen Comic-Strips und verfestigt sich während der 60er und 70er Jahre, als berühmte Figuren wie "Barbarella" und "Fritz the Cat" über die Ladentheke gehen.

Daveiam, The Graphic Novel Promtional Piece (Quelle: flickr.com)

Dabei bietet der Comic von Anfang an so viel mehr als triviale und erotische Unterhaltung: Die ersten Comic-Strips erscheinen in amerikanischen Zeitungen und behandeln des aktuelle Tagesgeschehen – und neben Tarzan und Superman werden mit "Micky Mouse" und "Donald Duck" schon während der 30er und 40er Jahre Comics verkauft, die mehrheitlich von Erwachsenen gelesen werden. Die Variantenvielfalt des modernen Comics reicht vom einfachen Comicstrip bis hin zur künstlerisch aufwändigen, inhaltlich anspruchsvollen "Graphic Novel" – dem Comic im Buchformat, das speziell auf ein erwachsenes Publikum zugeschnitten ist und auf einzigartige experimentelle Art und Weise gesellschaftlich relevante Themen behandelt (Siehe Bild: The Graphic Novel Promtional Piece). Im Jahre 2012 ist mit dem "Graphic Canon" sogar eine Quasi-Weltliteraturgeschichte in Comicform erschienen.

Comic heute: Von den Buddenbrooks zur Künstlerbiografie

Der moderne Comic kann alles sein: Einfache Figuren, schnell auf´s Papier geworfen - oder kunstvoll designte Graphic Novels, die Jahre bis zur Fertigstellung benötigen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass es sich um eines der sozialkritischsten Medien überhaupt handelt, das sich inhaltlich schon lange aus dem Bereich der trivialen Unterhaltung herausgelöst hat. Natürlich gibt es nach wie vor Comics für Kinder und natürlich deckt die Sequenzielle Kunst noch immer sämtliche Genres von Fantasy über Abenteuergeschichten bis hin zu Sciencefiction ab – doch der Comic hat auch mit der Eroberung des Höhenkamms begonnen. So versucht sich die Comic-Zeichnerin Isabel Kreitz seit 2006 an einer Comic-Variante von Thomas Manns "Buddenbrooks" und der österreichische Künstler Nicolas Mahler adaptiert bereits seit Jahren Texte von Thomas Bernhard, Lewis Carroll und Robert Musil in Comic-Form.

Eine recht neue Entwicklung ist die Künstlerbiografie in Form einer Graphic Novel (so in etwa Steffen Kvernelands Biografie über den norwegischen Maler Edvard Munch). Der Frage indes, ob das Comic-Zeichnen eine Kunstform ist, hat auch Nicolas Mahler nachgespürt – und zwar in einem Comic: Sein "Essay in Bildern" aus dem Jahre 2013 verhandelt eben jenen Drahtseilakt zwischen Kunst, Literatur und den entsprechenden Vorurteilen.

Fazit

Fakt ist also, dass die Diskussion um den "Comic als Kunstform" noch lange nicht beendet ist – und, dass das Genre die Diskussion mit gelassener Selbstironie verfolgt und zum Anlass nimmt, neue Kunstwerke oder eben neue Nicht-Kunstwerke zu erschaffen.


Kunststile im Vergleich: Besonderheiten der afrikanischen und asiatischen Kunst

Sie stellen gemeinsam rund 75 % der Weltbevölkerung und erstrecken sich auf knapp 15 % der gesamten Kontinentalfläche: Die Kulturen Asiens und Afrikas gehören zu den ältesten der Menschheit und zeichnen sich, trotz aller Unterschiede, vor allem dadurch aus, dass ihre jeweiligen Kulturgüter sich über einen extrem langen Zeitraum entwickelt haben und im Laufe der Jahrhunderte durch unzählige Ethnien geprägt wurden. Die ersten Funde im Bereich der Bildenden Kunst datieren für Asien auf ca. 10.000 v. Chr. und für Afrika auf ca. 8.000 v. Chr.

Afrikanische Kunst im engeren Sinne bezeichnet die künstlerischen Schöpfungen des sogenannten „Schwarzafrikas“, welches Ostafrika und Westafrika von der sudanesischen Savanne über die westliche und östliche Guineaküste bis zum Zairebecken umfasst. Im Norden des Kontinents, der mehrheitlich arabisch geprägt ist, hat sich eine andere Kultur entwickelt. Die Kunst Schwarzafrikas zeigt starke islamische Einflüsse und ist darüber hinaus auch von der Kultur des Alten Ägypten beeinflusst. Die asiatische Kunst ist bei Weitem heterogener als die afrikanische Kunst, da Asien zwar nur ein gutes Drittel mehr Gesamtfläche hat als Afrika, dafür jedoch rund 300 Millionen mehr Einwohner. Während die afrikanische Kunst trotz der Heterogenität der an ihr beteiligten Ethnien also durchaus verbindende kulturelle Merkmale aufweist, treffen in Asien je nach Region sehr unterschiedliche künstlerische Spielarten aufeinander.

Die Kunst Afrikas: Zwischen Masken und Skulpturen

Während die asiatische und insbesondere die chinesische Kunst sich schon sehr früh durch besonders filigrane Handwerksarbeit auszeichneten, spiegeln sich in der afrikanischen Kunst die überwiegend bäuerlichen Strukturen des Kontinents. So entstehen hier vor allem Skulpturen und Plastiken mit bemerkenswert klaren und natürlichen Formen. Obgleich die ersten Skulpturen laut Forschung bereits um 500 v. Chr. in Nigeria entstanden sind, sind heute so gut wie keine historischen Artefakte mehr vorhanden, da das bevorzugte Material jener frühen „Bildhauer“ Holz gewesen ist. Häufigstes Motiv jener Frühzeit ist die Natur beziehungsweise ihre reichen Gaben.

Mit zunehmender Verbreitung des Islam ab dem 13. Jahrhundert verändern sich auch die künstlerischen Ausdrucksformen, sodass in besonders wohlhabenden Regionen die ersten Bronze- und Messinggüsse mit Verzierungen aus Edelsteinen oder Elfenbein entstehen. Neben Skulpturen und Plastiken lebt die afrikanische Kunst von sogenannten „Holzschnittmasken“, die in der Regel zu rituellen Anlässen gefertigt werden und beispielsweise einen Schutz gegen Krankheiten und schlechte Energien darstellen.

Zu den heute erhaltenen afrikanischen Kunstobjekten zählen neben:

Masken,

Skulpturen und

Plastiken auch

Throne, Hocker, Grabstatuetten und Ahnenfiguren.

Afrikanische Kunst: Von Götterkult und Kultstatus

Die Kunst Afrikas ist fest verbunden mit der spirituellen Welt dieses Kontinents. In der Regel sind die Masken, Figuren und Skulpturen nicht nur Kunst- sondern auch Gebrauchsgegenstände und werden im Kontext von Festen und Ritualen (beispielsweise dem Beschneidungsritual, dem Erntedankfeste usw.) eingesetzt. Viele Statuen entstehen auch als Abbilder von Göttern, sind also Bestandteil der polytheistischen Religionen Afrikas. Eine berühmte afrikanische Masken-Art ist die „Nimba-Maske“, die – je nach Ausführung – bis zu 70 kg wiegen kann, über den Kopf gestülpt getragen wird und abstrahiert die Gestalt einer alten Frau mit hängenden Brüsten zeigt. Die Nimba-Maske gilt als Fruchtbarkeitssymbol und wird während der Erntezeit bei rituellen Anlässen verwendet.

Aufgrund ihrer natürlichen, klaren Formen erlebt die afrikanische Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts einen regelrechten Boom in Europa, da die Wegbereiter der künstlerischen Moderne in ihr einen Weg zur authentischen, antiakademischen und unverbildeten Kunst sehen. So wird die Kunst Afrikas vor allem für die Expressionisten zur Inspirationsquelle und in diesem Kontext mit (aus heutiger Sicht deutlich diskriminierenden) Begriffen wie „Primitivismus“ oder „Negerplastik“ belegt. Da sich erst in dieser Zeit auch ein entsprechendes Forschungsinteresse entwickelt und man damit beginnt, afrikanische Kunstgegenstände zu sammeln, sind die meisten der heute vorhandenen Ausstellungsstücke kaum älter als etwa 150 Jahre.

Durch internationale Förderung und den starken kulturellen Kontakt während des letzten Jahrhunderts hat sich die afrikanische Kunst mittlerweile weitgehend von ihren „rituellen“ Wurzeln gelöst und zu neuen Ausdrucksformen gefunden. Auch die globalen künstlerischen Entwicklungen nehmen mittlerweile starken Einfluss auf die Kunst dieses zweitgrößten Kontinents. Bekannte zeitgenössische Künstler sind etwa der ghanaische Sargkünstler Eric Adjetey Anang und Mbongeni Buthelezi aus Südafrika, der für seine Materialbilder (siehe Bild) bekannt ist.

mitue, flickr.com (2009)

Die Kunst Asiens: Zwischen Porzellan und Kalligraphien

Als asiatische Kunst im engeren Sinne gelten die künstlerischen Schöpfungen Chinas und Japans. Eine Sonderstellung nimmt hier die Buddhistische Kunst ein. Die kulturellen Entwicklungen in anderen asiatischen Ländern und Staaten wie etwa Russland, Indien, Indonesien und der Mongolei, die rein geographisch mit die größte Fläche einnehmen, weist hier zwar durchaus Gemeinsamkeiten auf, hat sich in vielen Bereichen jedoch anders entwickelt und gilt daher als weitgehend unabhängig von der Kunst der Nachbarländern. Als beispielhaft für die asiatische Kultur gelten häufig die kulturellen Errungenschaften Chinas, da das bevölkerungsreichste Land auch die Entwicklung von Kunst und Kultur in anderen ost- und südostasiatischen Staaten wie Korea, Japan und dem Vietnam erheblich beeinflusst hat.

Die chinesische Kunst ist durch eine erstaunliche Kontinuität geprägt und zeichnet sich (im Gegensatz zur afrikanischen Kunst) schon früh durch ein hohes Maß an Handwerksfertigkeit und eine distinguierte filigrane Ästhetik aus, wie sie beispielsweise schon die „Liangzhu-Jade-Kultur“ rund 6000 v. Chr. aufweist. Berühmtheit hat die chinesische Kunst jedoch vor allem durch die extrem detailreiche Malerei und Kalligraphie erlangt, die hier zu den meist geschätzten Künsten gehören. Bekannt ist hier u.a. der sogenannte „Orchideenpavillon“ des Künstlers Wáng Xīzhī aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert.

Weitere Eckpfeiler der chinesischen Kunst sind

der Holzschnitt,

die Lackkunst an Keramik,

die Tapetenkunst auf Bambusfaser und

die Porzellan-Herstellung und -verarbeitung, welche ihren Höhepunkt in der Ming-Dynastie erreicht.

Bei den ältesten Funden japanischer Kunst handelt es sich um Keramik aus dem 10. vorchristlichen Jahrtausend. Genau wie in China entwickelt sich in dem ostasiatischen Staat eine große Varietät und die künstlerischen Ausdrucksformen reichen über Malerei, Kalligraphie, Töpferkunst und Lackarbeiten bis hin zu farbigen Holzschnitten. Eine besondere Rolle kommt in der japanischen Kunst der Schwertschmiedekunst zu. Anders als die afrikanische Kunst, die mehrheitlich vom Ritus geprägt ist, entsteht die Kunst des asiatischen Raumes schon früh aus einem künstlerischen Ehrgeiz heraus, der mit ein Grund dafür ist, dass sowohl China als auch Japan in so vielen Bereichen der Bildenden Kunst bisher unerreichte Meisterschaft erlangt haben.

Asiatische Kunst: Von Spiritualität und Prestige

neonow, buddha, flickr.com (2014)

Auch wenn die asiatische Kunst deutlich distinguierter ist als die afrikanische und von den jeweiligen Machthabern in der Regel auch gezielt gefördert wird, gibt es hier ein verbindendes Element: Auch die asiatische Kunst ist wesentlich spirituell beeinflusst. Der Buddhismus ist zwar – anders als der polytheistische Kultus in Afrika – nicht wesentliche Triebfeder der asiatischen Kunst, hat deren Entwicklung jedoch entscheidend geprägt. Die „buddhistische“ Kunst entwickelt sich vor rund 2500 Jahren im indischen Subkontinent und stellt ein komplexes ikonographisches und symbolisches System dar. Als buddhistisch zählen jene Schöpfungen im architektonischen und bildnerischen Bereich, die einen Bezug zu Buddha bzw. den entsprechenden Lehren haben.

Die heute weltweit bekannten Buddha-Darstellungen entstehen interessanterweise erst während der Blütezeit der Buddhistischen Kunst unter König Ashoka (268-232 v. Chr.), da die menschliche Darstellung Buddhas während der frühen Phase dieser Kunst nicht gestattet war. Der indische Dynast ist auch derjenige, der für die Verbreitung des Buddhismus in Zentral- und Südostasien verantwortlich ist. Die ersten Skulpturen Buddhas, wie wir sie heute kennen, entstehen etwa ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert in Indien. Zwischen dem ersten und dem achten nachchristlichen Jahrhundert entwickelt sich vor allem in China eine virulente buddhistische Kunst, die ab dem fünften Jahrhundert ihre Blüte mit der „buddhistischen Großplastik“ erreicht. Beispielhaft für diese Zeit sind u.a. die Buddahfiguren in den Longmen-Grotten in der chinesischen Provinz Henan.


Kunstrichtung "Art Brut": Geschichte & Hintergrundwissen

Kunst außerhalb des Kunstsystems: In den 1940er Jahren prägt der französische Künstler Jean Dubuffet den Begriff der "Art Brut" (dt. unverbildete, rohe Kunst) für seine private Kunstsammlung, deren Exponate hauptsächlich von Laien, Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Disposition stammen. Die Bezeichnung, die Dubuffet seiner Zeit ausschließlich auf seine eigene Sammlung anwendet, wird schon bald zum Sammelbegriff für Kunst, die autodidaktisch und außerhalb des kulturellen Mainstreams entsteht. Verbindendes Element ist eine unverbildete, naive und antiakademische Ästhetik.

Dass der Künstler sich gegen das System richtet, gehört wie selbstverständlich zu dem Bild, das wir von ihm haben: Künstler sind diejenigen, die rebellieren und die sich außerhalb der Gesellschaft positionieren, um sie kritisch portraitieren zu können. Kunst, die außerhalb des Systems entsteht, ist im Grunde also nichts Besonderes. Im Falle der „Art Brut“ besteht die Besonderheit jedoch gerade darin, dass die Kunstschaffenden gar nicht wissen, dass sie nicht im System sind – weil dieses in ihrer Welt keine Rolle spielt.

Begriffsursprung: Die Collection de l'art brut in Lausanne

Die Privatsammlung des Malers Jean Dubuffet, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entsteht, spiegelt dessen kunsttheoretische Ansichten: Dubuffet zufolge ist autodidaktische Kunst ungleich höher zu bewerten als akademisch konzipierte Exponate, da Erstere keiner vorgeschriebenen Ästhetik folgen, sondern aus einem inneren Ausdrucksbedürfnis heraus entstehen, also „unverbildet“ seien. Dieser Vorstellung entspricht auch der Begriff, den der Künstler 1945 prägt und den er zeitlebens als sein geistiges Eigentum betrachtet: „Art Brut“ bedeutet in etwa „unverfälschte bzw. unvermittelte oder rohe Kunst“. Die französische Doppelbedeutung von „brut = edel-herb“ (vgl. „Champagne Brut“) erklärt sich aus der Weinliebe des Künstlers, der zugleich im Weinhandel tätig ist. Die entsprechenden Exponate erhält Dubuffet aus nahe gelegenen psychiatrischen Anstalten.

Im Jahre 1947 entsteht unter der Schirmherrschaft des französischen Künstlers und des Surrealisten André Breton, dessen kunsttheoretischen Auffassungen die Philosophie der „Art Brut“ sehr entgegenkommt, in Paris die Compagnie de l'Art brut. Hier wird erstmals der Versuch unternommen, jene alternative Kunst nicht nur zu sammeln, sondern auch (sofern dies möglich ist) zu dokumentieren und zu studieren. Zwei Jahre später folgt die erste große Ausstellung der Compagnie unter dem Titel L' art brut préferé aux arts culturels, bei der mehr als 200 Werke von insgesamt 63 Künstlerinnen und Künstlern präsentiert werden. Dubuffet definiert die Exponate als alternative und subversive Kunstform und besteht darauf, als geistiger Vater dieser Stilbezeichnung einzig und allein das Recht zu haben, Kunstwerken den Status der „Art Brut“ zu verleihen oder abzuerkennen.

Da es jedoch wesentliches Charakteristikum dieser Sammlung ist, dass sie nicht durch akademische Parameter zu definieren ist, ist die Abgrenzung zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen kaum aufrecht zu erhalten. So setzt sich die Bezeichnung „Art Brut“ schon sehr bald auch international für andere Kunstformen außerhalb der gesellschaftlichen Norm durch und vermischt sich allmählich mit Begriffen wie „Naive Kunst“ oder „Bildnerei der Geisteskranken“. Im anglo-amerikanischen Raum sind statt „Art Brut“ die Bezeichnungen „Outsider Art“, „Visionary Art“ und „Self-taught Art“ gebräuchlich.

„Art Brut“: Geisteskrankheit als kreative Triebfeder

Die anglo-amerikanische Sammelbezeichnung „Outsider Art“ zeugt von einem deutlich weiter gefassten Kunstbegriff als Dubuffets Prägung „Art Brut“: Während die „Outsider Art“ generell Kunst bezeichnet, die gleichsam außerhalb der Gesellschaft entsteht (so beispielsweise auch Kunst verurteilter Straftäter und sogenannter „Underdogs“), meint „Art Brut“ zunächst explizit die Kunst von Menschen, die unter (schweren) geistigen Behinderungen oder psychischen Dispositionen leiden. Diese „Randgruppe“ erfüllt auch eine weitere Bedingung der „Art Brut“. Dabei handelt es sich um die Isolation des Künstlers von der gängigen Vorstellung dessen, was „Kunst“ sein soll: Der Art-Brut-Künstler à la Dubuffet ist kein Angehöriger normaler Künstlerkreise, schafft im Verborgenen und ist über die gegenwärtigen kulturellen Entwicklungen nicht informiert. Diese Bedingungen machen seine Kunst weitestgehend autark und unvorhersehbar.

cometstarmoon: La Collection de l'Art Brut: Adolf Wölfli (Quelle: flickr.com)

Die, beispielsweise in Psychiatrien und geschlossenen Einrichtungen entstandenen, Bilder, Skulpturen und Collagen als Kunst zu betrachten und wertzuschätzen, ist Mitte des 20. Jahrhunderts ein vollkommen neuer Ansatz, der in der Folge wesentlich zur generellen Anerkennung und Aufwertung marginalisierter Kunstformen beiträgt.

Allerdings macht Dubuffet in seinen kunsttheoretischen Texten auch deutlich, dass die sogenannte „Geisteskrankheit“ den Art-Brut-Künstler zwar in gewisser Weise zu außergewöhnlichen künstlerischen Leistungen befähige, es jedoch nicht die psychische Disposition an sich sei, die aus dem Menschen den Künstler mache:

„Geisteskrankheit entlastet den Menschen, gibt ihm Flügel und befördert offenbar seine seherischen Gaben[.] […] Wir sind der Ansicht, dass die Wirkung der Kunst auf uns in allen Fällen die gleiche ist, und dass es ebenso wenig eine Kunst der Geisteskranken gibt, wie eine Kunst der Magenkranken oder der Kniekranken.“1

Die Spielarten der „Art Brut“: Von Alltagsgegenständen bis zum Horror Vacui

Die Ausdrucksformen der „Art Brut“ sind vielfältig, zeichnen sich jedoch in erster Linie durch betont natürliche und einfache Stilmittel und Materialien aus. In diesem Zusammenhang wird die Kunstform auch zur Inspirationsquelle für Surrealisten und Expressionisten, die in dem „kreativen Wahnsinn“ eine Befreiung von dem strengen Formalismus des Kunstbetriebes und den gesellschaftlichen Beschränkungen sehen. Die Art-Brut-Künstler sind durch ihre psychische Disposition gleichsam zu dem befähigt, was sowohl Expressionisten als auch Surrealisten als höchstes Ziel anerkennen: Zum freien, ungehinderten „Fließen lassen“ der kreativen Energie.

Die Werke der „Art Brut“ entstehen beispielsweise durch die freie und zufällige Kombination von Alltagsgegenständen, Glas- und Tonscherben, Abfall und natürlichen Materialien wie Holz oder Muscheln, die zu Materialbildern, Skulpturen oder Verzierungen aller Art verarbeitet werden. Ein berühmtes Beispiel ist das Gebilde „Weltmaschine“ des österreichischen Landwirts Franz Gsellmann. Im zeichnerischen Bereich zeichnet die Kunstform sich durch den sogenannten „Horror Vacui“, das ist die Angst vor dem leeren (d.h. ungenutzten) Raum aus: In Gemälden der „Art Brut“ ist die Zeichenfläche in der Regel vollständig ausgefüllt, sodass die Formen lediglich durch unterschiedliche Hell-Dunkel-Werte zu erkennen sind.

Ein bekannter Art-Brut-Vertreter ist beispielsweise Adolf Wölfli (siehe Bild: La Collection de l'Art Brut), der während der 35 Jahre in der Schweizer Nervenheilanstalt Waldau nicht nur malt, sondern auch ganze Bücher veröffentlicht; im Jahre 1921 widmet sein Psychater Walter Morgenthaler Wölfli die medizinische Fallstudie „Ein Geisteskranker als Künstler“. Zu weiteren bekannten Künstler zählen Karl Brendel, Karin Birner, Helga Nagel, Jutta Steinbeiß und Sonja Plank. Der auffallend große Anteil weiblicher Künstlerinnen erklärt sich aus der Tatsache, dass während der 1940er, 50er und 60er Jahre überdurchschnittlich viele Frauen mit der Diagnose „Hysterie“ in Nervenheilanstalten eingeliefert und häufig erst Jahre später wieder entlassen wurden. In den meisten Fällen litten diese Frauen lediglich an hormonell bedingten schweren Stimmungsschwankungen – doch mit der Erforschung des weiblichen Hormonhaushaltes wurde erst viele Jahre später begonnen.

1 Schneider, Birgit: Narrative Kunsttherapie. Identitätsarbeit durch Bild-Geschichten. Ein neuer Weg in die Psychotherapie, Bielefeld 2009. S. 269f.


Body-Art: Was steht hinter dem Stil der Aktionskunst?

Die Kunst mit dem Körper: Im Zuge der künstlerischen Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts wird die Trennung von Künstler und Kunstwerk zunehmend fraglich. So entwickelt sich in den 1960er Jahren die sog. Body-Art (dt. Körperkunst) als eine Ausformung der neuartigen "Aktionskunst", die die klassischen Formen der Bildenden Kunst erstmals vollständig überschreitet. In der Body-Art ist der menschliche Körper zugleich Medium der Vermittlung und Objekt der Anschauung. Die Körperkunst ist keinesfalls gleichzusetzen mit Body-Painting oder Fotografie.

Zwischen Happening und Fluxus: Body-Art als Form der Aktionskunst

Mit der sogenannten "Aktionskunst" bricht die Bildende Kunst des 20. Jahrhunderts mit allen Tabus. Die Bewegung entsteht zugleich als eine Art Protestbewegung gegen den als zu eng empfundenen traditionellen Kunstbegriff und als Manifestation politischer Meinungsbildung, indem Grenzen bewusst überschritten und "gesprengt" werden. Der ursprünglich politisch motivierte Gedanke der Aktionskunst sieht die künstlerische Gestaltung nicht mehr als einen singulären Schaffensakt, sondern als einen Eingriff in die soziale Wirklichkeit. Jene Grenzüberschreitung schlägt sich formal in neuen medialen und performativen Ausdrucksformen nieder, die sich zu jeweils unterschiedlich akzentuierten Strömungen weiterentwickeln.

So mischen sich in der Aktionskunst nach und nach klassische Arbeitsweisen wie Bildhauerei und Malerei mit neuartigen Medien wie Film, Fotografie und Video. Darüber hinaus wird erstmals auch der Versuch unternommen, den prozesshaften Charakter des künstlerischen Schaffens abzubilden. Aus dieser Motivation heraus entstehen mit der sogenannten "Fluxus-Bewegung" und dem "Happening" die beiden wichtigsten Formen der Aktionskunst, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass weder Anfangs- noch Endpunkt in irgendeiner Weise markiert sind. Beide Ausformungen verstehen sich als fließender, nicht fixierbarer Übergang zwischen Kunst und Leben. Die Körperkunst ist zunächst Bestandteil dieser beiden Hauptströmungen, emanzipiert sich jedoch schon sehr bald und wird zu einem eigenständigen Stil.

Ekel, Entsetzen und Provokation? Aktionskunst im öffentlichen Raum

Die Aktionskunst lebt von der Provokation. Für das durchschnittliche Publikum des künstlerischen Betriebes um 1960 ist "Kunst" ein vom Künstler losgelöstes, in der Regel ästhetisch ansprechendes Artefakt. Die Aktionskünstler jedoch setzen sich vehement gegen diese traditionelle Trennung von Subjekt und Objekt zur Wehr und setzen stattdessen auf Handlungen und Aktionen, in die sie selbst unmittelbar involviert sind. Auf diese Weise wird gleichsam der künstlerische Schaffensprozess selbst zum Objekt. Bekannte Vertreter der Aktionskunst sind u.a. Wolf Vostell, Joseph Beuys (Siehe Bild: Fussbodenzeichnung Herzogstrasse 79) und (zum Teil) Friedensreich Hundertwasser (Siehe Briefumschlag Menschenrecht). Im Wien der 1960er Jahre formiert sich mit dem "Wiener Aktionismus" zudem eine Splittergruppe, die durch den aggressiven Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen vornehmlich den autoritären Ständestaat anprangert.

In der bekanntesten Form der Aktionskunst, dem Happening, wird auch das Publikum in den künstlerischen Schaffensprozess einbezogen: Es handelt sich um ein mehrheitlich improvisiertes Ereignis mehrerer Künstler oder Künstlergruppen, die das Publikum durch provozierendes Verhalten zu Reaktionen aller Art herausfordern. So werden beispielsweise Gegenstände ins Publikum geworfen, das Bühnenbild zerstört, Kunstblut in den Zuschauerraum gespritzt usw. Die jeweiligen Publikumsreaktionen werden dabei von den Künstlern in den Ablauf integriert und verändern dadurch auch den weiteren Verlauf des Happenings. Dadurch, dass die Reaktionen nicht vorhersehbar sind, ist das Ereignis in der Regel nicht zeitlich fixiert, sodass das Publikum sich nicht darauf einstellen kann, wann es beginnt oder endet. Die zufällige Zusammenstellung des Bühnenbildes, welches keiner geplanten Komposition folgt, erinnert an Gestaltungstechniken des Surrealismus.

Body-Art: Provokation durch Nacktheit und Gewalt

Zu den Mitteln, das Publikum zu provozieren und zu schockieren, zählt auch der geplante Exhibitionismus. Dieser ist in der Regel fester Bestandteil der Körperkunst und wird in sogenannten "Performances" in Szene gesetzt. Hierbei kann es sich sowohl um eine Selbstdarstellung des Künstlers durch Fotografien und Videoaufnahmen als auch um die Gestaltung "lebender Bilder" handeln. Der Künstler kann sich selbst zum Bild machen oder auch andere Körper im Bühnenraum "arrangieren" und entsprechend in Szene setzen, indem er sie beispielsweise mit Farbe übergießen oder mit Schweineblut beschmieren lässt etc. Als besonders provokant gilt die vollständige Entkleidung der Darstellenden, die explizit schockierte und abgestoßene Reaktionen des Publikums hervorrufen soll.

Zwar gelten auch vergleichsweise harmlose Darstellungen wie etwa der Ausdruck mittels Gebärdensprache als Body-Art, doch berühmt-berüchtigt ist die Stilrichtung vor allem durch ihre extrem schockierenden Ausprägungen geworden, die von der Spielerei mit Schweineblut bis zu blutigen Selbstverletzungen der Künstler und der Darstellenden reichen. Da insbesondere die Performance-Kunst, in deren Bereich ein Großteil der Körperkunst fällt, von den unmittelbaren Reaktionen des Publikums lebt, handelt es sich bei der Body-Art im Grunde um eine Mischung aus Bildender Kunst und Theater:

„Wesentliches Merkmal der Body Art ist, den Zuschauer anzugreifen. Die Ästhetik des Kunstwerks wird dadurch bestimmt, inwieweit die Denkgewohnheiten des Zuschauers durcheinandergebracht werden und er aus seinem passiven Verhalten herausgebracht wird."

Zu den bekanntesten Body-Art-Künstler zählen u.a. Gina Pane, die Anfang der 1970er Jahre bekannt wird, indem sie sich live und vor Publikum Verletzungen mit Dornen, Rasierklingen und Glasscherben zufügt, und Anngret Soltau, die die Verletzungen allerdings nicht ihrem Körper, sondern Fotografien von sich selbst zufügt. Auch die Jugoslawin Marina Abramovic arbeitet mit Selbstverletzung, indem sie sich während ihrer Aktionen nackt auf Eisblöcke legt und sich ganz und gar dem Publikum aussetzt (das die Erlaubnis hat, mit ihr nach eigenem Ermessen zu verfahren). Ebenfalls bekannt für seine provokanten Aktionen ist Rudol bSchwarzkogler, seines Zeichens ein Vertreter des Wiener Aktionismus.


Aktkunst mit Stil: Bekannte Aktfotografien

Was hat Rihanna mit Uschi Obermaier und Marilyn Monroe gemeinsam? Richtig: Die Aktfotografie! Was bereits in der Frühgeschichte mit der Darstellung nackter menschlicher Körper zu rituellen Zwecken beginnt, entwickelt sich bei den Griechen zur eigenständigen Kunstform und wird von der akademischen Malerei schließlich mit dem Begriff des „Aktes“ belegt. Mit der Erfindung der Fotografie zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden die Aktmodelle nicht länger gemalt oder in Stein gehauen, sondern fotografisch in Szene gesetzt: Die künstlerische Aktfotografie ist geboren.

Während Marilyn Monroe und Uschi Obermaier sich bereits in den 1960er Jahren spärlich bekleidet vor die Linse wagten, zierte Rihanna im Dezember 2013 das Cover der 25. Jubiläumsausgabe des britischen Männermagazins „GQ“. In Szene gesetzt wurde sie dafür von dem Fotografen Mariano Vivanco und dem bekannten britischen Provokateur Damien Hirst. Gemeinsam verwandelten sie Rihanna in eine moderne Version der griechischen Sagengestalt Medusa.

Der Akt: Zwischen heidnischem Kultus und sakraler Kunst

Man kann nur das darstellen, was man kennt. Nach diesem Credo, das seinen Ursprung in der „Poetik“ des griechischen Philosophen Aristoteles hat, handelten auch die Professoren der großen europäischen Kunstakademien, wenn sie ihre Schüler Stellungen und Bewegungsabläufe anhand nackter Körper studieren ließen. Dementsprechend setzt sich die Bezeichnung „Akt“ aus den lateinischen Wörtern „agere“ („in Bewegung setzen“) und „actus“ („Gestikulation“) zusammen. Der klassische Akt wird als Abbildung der Gebärde bzw. der Haltung verstanden, die das jeweilige Modell beim Übergang von einer Position oder Bewegung in die nächste vollführt.

Obgleich die Bezeichnung erst mit dem Akademismus geprägt wurde, handelt es sich bei der Darstellung nackter menschlicher Körper um eines der ältesten Genres der Kunstgeschichte: Während die Körperdarstellung in der frühgeschichtlichen Kunst einen eher symbolisch-kultischen Charakter hatte, galt sie in der idealisierenden griechischen (und später auch der römischen) Kunstauffassung bereits als eigene Form. Im christlichen Mittelalter wurde die Aktmalerei in den Dienst der Kirche gestellt und nur in solchen Fällen nicht als moralisch verwerflich eingestuft, in denen die dargestellte Nacktheit tatsächlich erforderlich war. Ein berühmtes Beispiel dieser Periode ist das Deckenfresko „Die Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle, das zwischen 1508 und 1512 von Michelangelo Buonarroti geschaffen wurde (siehe Bild).

Titel: Die Erschaffung Adams (Vatikan)
Fotograf: Jörg Lohrer
Bild-Quelle: https://www.flickr.com/

Akademische Aktkunst und künstlerische Moderne

In der Renaissance wurden neben den christlichen Motiven zunehmend auch weltliche Themen mittels Aktmalerei dargestellt, welche – gemäß ihren antiken Vorbildern – häufig mit mythisch-allegorischer Bedeutung aufgeladen waren. In diese Zeit fallen auch die Anfänge des Akademischen Kunststils, der das Zeichnen und Malen von unbekleideten nackten Modellen als Teil der technischen Unterweisung vorsah. In Deutschland wurde das Aktzeichnen im Jahre 1662 als Unterrichtsfach der Kunstakademien eingeführt. Bekannt für seine Aktzeichnungen (zum Teil auch in Form von Selbstbildnissen) ist in Deutschland unter anderem Albrecht Dürer, der – ebenso wie Leonardo da Vinci – auch Aktteilstudien als eigenständige Kunstwerke deklarierte. Ein Beispiel hierfür sind beispielsweise Dürers „Betende Hände“ aus dem Jahre 1508 - das Original befindet sich derzeit in der Albertina in Wien. Bei uns ist das Werk als Poster bestellbar (siehe Bild).

Mit dem Beginn der künstlerischen Moderne um 1900 verliert die Aktmalerei schließlich ihre Einschränkung auf religiöse, mythologische und historische Motive und befreit sich zudem von ihrer pädagogischen Instrumentalisierung. Im Im- und Expressionismus wird sie erstmals mit dem Ziel ausgeführt, nicht den Körper an sich zu portraitieren, sondern die äußere Erscheinung zugunsten der körpersprachlichen Details zurücktreten zu lassen.

Zu berühmten Aktmalern der Moderne zählen:

Henri Matisse,

Gustav Klimt,

Peter Paul Rubens und

Egon Schiele.

Entdecken Sie deren bekanntesten Werke hier in unserer Kunstgalerie!

Sehr beliebt für seine weiblichen Akte ist außerdem der italienische Maler Amedeo Modigliani – seine Arbeit „Nudo“ hat zahlreiche Nachahmer gefunden. In unserem Zimmermann & Heitmann Postershop erhalten Sie das Werk „Nude Seated On Left Leg“ als Poster.

Aktfotografie: Zwischen Akademie und Erotik

Zeitgleich mit der Akzentverschiebung in der modernen Aktmalerei werden mit der Fotografie ganz neue künstlerische Ausdrucksformen geboren; allerdings machen die extrem langen Belichtungszeiten das Fotografieren von Menschen während der ersten Jahre so gut wie unmöglich. So tauchen erst um 1845 in Paris die ersten Daguerreotypien mit erotischen Darstellungen auf, die damals noch von Hand koloriert werden. Zu diesem Zeitpunkt ist der Handel mit fotografischen Aktaufnahmen gesellschaftlich nur zu künstlerischen (die Fotografie ersetzt in dieser Zeit zunehmend das lebende Aktmodell) und medizinischen Zwecken (als Studienmaterial) akzeptiert. Nichtsdestotrotz entwickelte sich ab 1870 auch die erotische Fotografie immer mehr.

Die Unterscheidung zwischen Aktfotografien für den künstlerischen Gebrauch und Erotischer Fotografie für den Privatgebrauch besteht vor allem in dem „Drumherum“: Während bei den künstlerischen Aktfotografien die Körperlichkeit im Vordergrund steht und eine karge Studioeinrichtung für die Fokussierung des Blicks sorgt, spielt die Erotische Fotografie mit Kulissen und einem entsprechenden Ambiente wie Salons, Parks oder dem Boudoir. Diese Aufnahmen, mit denen sich vor allem in Paris ein florierender Handel entwickelte, zählen nicht zum Genre der künstlerischen Aktfotografie, werden mit diesem jedoch häufig gleichgesetzt oder gar verwechselt.

Der Akt: Vom französischen Boudoir in deutsche Wohnzimmer

Die künstlerische Aktfotografie entwickelte sich stark am Vorbild der Aktmalerei und brachte mit Fotografen wie Paul Marcellin Berthier und Gaudenzio Marconi schnell ihre ersten „Profis“ hervor. In Deutschland erschließt sich die Aktfotografie insbesondere mit den reformistischen Bewegungen der 1920er Jahre neue Themenfelder: Die sogenannte „Freikörperkultur“ verbindet sich mit einem neuen Schönheits- und Körpergefühl und prägt so die Arbeiten bekannter Fotografen wie Gerhard Riebicke. Neben dem traditionellen „Vollakt“ entstehen nach und nach auch die „Detailansicht“, die den Fokus eher auf Formen und Strukturen als auf die Gesamtansicht legt, und der „Halbakt“, bei dem das Modell teilweise bekleidet oder von Objekten verdeckt ist.

Neben diesen drei Grundformen gibt es in der Aktfotografie eine ganze Reihe an Subgenres, die zum Teil mit expliziter Provokation arbeiten. Ein gutes Beispiel sind hier die Arbeiten des deutschen Fotografen Horst Werner, dessen Akte in der Regel auf Friedhöfen in Szene gesetzt sind oder Modelle mit körperlicher Behinderung zeigen. Ähnlich polarisierend sind die Arbeiten des amerikanischen Fotografen Joel-Peter Witkin, welcher sich in erster Linie Themen wie Tod, Verwesung und körperlicher Missgestaltung widmet und bei seinem Publikum Gefühle von Beklemmung bis Abscheu hervorruft. Die ebenfalls amerikanische Fotografin Nan Goldin setzt sich mit Themen wie Suizid, Kindesmissbrauch und -pornographie auseinander, während die Werke Terry Richardsons stark zwischen Kunstfotografie und Pornografie oszillieren.

Die Aktfotografie unterscheidet sich von der Pornografie und verwandten Genres vor allem in ihrem künstlerischen Anspruch: Ähnlich wie beim Portrait handelt es sich beim Akt um die hohe Schule der Fotografie, welche neben technischen Fertigkeiten auch das intuitive Spiel mit Licht und Schatten voraussetzt sowie das Vermögen, eine zugleich professionelle als auch positive Beziehung zum jeweiligen Modell aufzubauen.


Akademischer Kunststil – strenge Regeln und ästhetizistische Kunst

Es ist die letzte Bastion der mimetischen Kunst: Lange bevor die Impressionisten um Monet und Renoir die Wirklichkeit in Form und Farbe auflösen und in französischen Ateliers der Schlachtruf „L'art pour L'art“ ertönt, gilt nur das als Kunst, was einem strengen Regelwerk entspricht. Die Regelhoheit liegt bei den europäischen Kunstakademien dieser Zeit, die vom 17. bis ins 19. Jahrhundert eine Kunstrichtung prägen, die als Akademischer Kunststil bzw. Akademismus in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

Nach unserem heutigen Verständnis lebt die Kunst in erster Line von der Freiheit ihrer Form. An Kunsthochschulen und -universitäten werden zwar unterschiedliche Kunstrichtungen gelehrt, doch die Ausbildung fungiert mehr als grundlegendes Handwerkszeug des angehenden Künstlers, der früher oder später jedoch zu einem eigenen Stil findet. So machen bereits seit dem 20. Jahrhundert vor allem jene Kunstwerke von sich reden, die sich von anderen abheben – sei es aufgrund ihres Motivs, ihrer Materialien oder der angewandten Technik. Heute gilt also das als 'schön', was durch Neuartigkeit und einen gewissen revolutionären Charakter polarisiert.

Vor dem Beginn der künstlerischen Moderne ist Kunst (weder in der Literatur noch in der Bildhauer- oder Malerei) jedoch keine Frage des persönlichen Ausdrucks und des individuellen Genies, sondern einzig und allein eine Frage strenger formaler und ästhetischer Regeln.

Die Hüter des Regelwerks: Die Kunstakademien Europas

Die Ursprünge der Akademischen Kunst liegen in Italien: Mitte des 16. Jahrhunderts entsteht in Florenz mit der „Accademia delle Artidel Disegno“ unter der Schirmherrschaft der Medici-Familie der erste Vorläufer unserer heutigen Kunsthochschulen. Das Modell dieser ersten Akademie für Malerei findet landesweit Nachahmung und setzt sich schnell auch im restlichen Europa durch. Zunächst haben nur die künstlerisch begabten Sprösslinge adliger Familien Zugang zu jenen Schulen, doch die Ausbildung bleibt nicht lange ein reines Privileg des Adels.

Die planmäßige und strenge Ausbildung junger Künstler hat damals vor allem das Ziel, die Position von Künstlern in der Gesellschaft aufzuwerten und sie somit gleichberechtigt neben andere akademische Berufsgruppen zu stellen. Erreicht wird dies, indem die Künste dank der Ausbildung gleichsam zu einer Wissenschaft erhoben werden: Die Akademien lehren Malerei und Bildhauerei nach strengen klassizistischen Regeln, die sich am Stil der klassischen griechischen und römischen Kunst orientieren. Oberstes Gebot ist hier die sogenannte „Mimesis“, also die Nachahmung der Wirklichkeit.

Dieses Postulat, das auf die „Poetik“ des griechischen Philosophen Aristoteles zurückgeht, bedeutet in der Bildenden Kunst die möglichst wirklichkeitsgetreue, d.h. weitestgehend realistische Wiedergabe des jeweiligen Motivs. Im Klassizismus, der sich um 1770 im deutschsprachigen Raum entwickelt und sich zu großen Teilen mit dem akademischen Kunststil verbindet, bedeutet „Mimesis“ zugleich auch die formale und technische Nachahmung der klassischen Kunst. Die Kunstakademien entwickeln sich innerhalb kürzester Zeit zur obersten Instanz in Sachen Kunstvermittlung und -tradierung und prägen so rund drei Jahrhunderte lang die Vorstellung dessen, was 'Schönheit' bedeutet.

'Schön' ist, was ästhetisch schön ist: Der Ästhetizismus der Akademischen Kunst

Während man heute speziell bei der Betrachtung zeitgenössischer Kunst durchaus darüber streiten kann, was schön ist und was nicht, herrschen im Akademismus nicht nur klare Vorstellungen, sondern auch strenge Vorschriften in Sachen künstlerischer Schönheit. Lange, bevor so etwas wie eine 'Ästhetik des Hässlichen' auch nur denkbar wird, gilt als 'schön' also nur das, was ästhetisch ansprechend ist. Konkret bedeutet dies die Harmonie der Form und der Gesamtkomposition: Eine Skulptur oder ein Gemälde gilt nur dann als schön, wenn es auf den Betrachter einen harmonischen und ausgeglichenen Eindruck macht.

Zu den technischen Regeln der Akademischen Kunst zählt u.a. die perfekte Umsetzung der Wirklichkeit in Farbe, Licht und Schatten, was zu Arbeiten von nahezu fotorealistischer Perfektion führt. Ebenfalls beliebt sind hier Gemälde, denen man durch ein spezielles Finish nicht mehr ansieht, dass es sich um Malerei handelt. Als im Jahre 1797 die „École des Beaux-Arts“ in Frankreich gegründet wird, die einen starken neoklassizistischen Einfluss hat, vermischen sich die Ideale des Akademismus nach und nach mit den klassizistischen Forderungen. Eine Synthese aus beiden sind beispielsweise die Arbeiten des österreichischen Malers Hans Makart.

Wirklichkeitsferne und Eklektizismus: Die Abwendung vom Akademismus

Neben den formalen und technischen Vorschriften zeichnet sich der Akademische Kunststil durch klare motivische Vorgaben aus, da nur solche Themen als „nachahmenswert“ empfunden werden, die bereits eine gewisse motivgeschichtliche Tradition haben. So entsteht mit der Zeit ein strenger Kanon von Motiven, die hauptsächlich literarisch, mythologisch und historisch motiviert sind. Alltägliches, Profanes und alles, was nicht als ästhetisch schön gilt (so zum Beispiel die Darstellung von Armut und Leid in der einfachen Bevölkerung) zählen nicht zum Repertoire des Akademischen Kunststils. Die Mimesis beschränkt sich folglich auf die rein technische Wiedergabe und mündet nicht – wie etwa im Realismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts – in einer kritischen Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit.

Jener akademische Idealismus ist auch der Grund dafür, dass der Kunststil ab ca. 1900 mit dem Aufkommen vornehmlich subjektiv geprägter Kunstformen wie Im- und Expressionismus zunehmend kritisch gesehen wird. Erst in den 1990er Jahren werden bestimmte Künstler wie etwa Alexandre Cabanel (Siehe Bild: „Die Geburt der Venus“, 1863) oder Anselm Feuerbach („Medea“, 1870) wiederentdeckt. Seitdem werden die Künstler des Akademismus nicht mehr vorrangig für ihren Eklektizismus verachtet, sondern erneut für ihre außerordentliche Kunstfertigkeit geschätzt.


Luftmalerei (Aeropittura) – Erlebnismalerei aus Sicht der Piloten

Geschwindigkeitsrausch in taumelnder Höhe: Die “Luftmalerei” macht dem Betrachter dauerhaft zugänglich, was normalerweise nur den Bruchteil einer Sekunde währt – der Blick des Piloten auf die Welt unter ihm. Die italienische Kunstrichtung ist Teil jener Avantgardebewegung, die ab 1900 laut den Tod der Vergangenheit verkündet und sowohl in der Literatur als auch in der Bildenden Kunst ein glorreiches neues Zeitalter heraufbeschwört: der Futurismus.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der große europäische Kessel am Brodeln: Die (zu diesem Zeitpunkt noch unreflektierte) Technikeuphorie mischt sich mit der allgemeinen Kriegsbegeisterung und kulminiert in Lobgesängen auf die Zukunft, die vor allem der jungen Generation vielversprechend erscheint. In der Kunst dieser Zeit findet ein radikaler Bruch mit den traditionellen ästhetischen Normen statt und die rasante technische Entwicklung wird zum neuen Objekt der Verherrlichung. Die Vereinsamung des Individuums und die Ohnmacht des Künstlers, die für die Expressionisten noch formgebend waren, weichen zunehmend einem Allmachtsgefühl und einem Fortschrittsoptimismus, der von den meisten geteilt wird.

Im Jahre 1909 schreibt der italienische Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti, der als Begründer des Futurismus gilt, in seinem “Manifest” in nahezu von den Errungenschaften und der Schönheit jener 'Neuen Welt':

„Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen.“ (Marinetti, Futuristisches Manifest)

Rund neunzehn Jahre später wird Mino Somenzi ebenfalls futuristischer Künstler, jene “allgegenwärtige Geschwindigkeit” in seinem “Aeropittura e aeroscultura“ präzisieren: In diesem ersten Manifest über Flugmalerei erläutert Somenzi das nahezu gewaltsame Erlebnis des Fluges, welches den Menschen von einer ganz neuen Warte aus fühlen lasse. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer Art Zeitraffer, da der Geschwindigkeitsrausch den Piloten in Sekundenschnelle das erleben lasse, wozu man auf der Erde Stunden bräuchte. Initiationsgedanke der Aeropittura ist neben der reinen technischen Möglichkeit eines solchen Erlebens also vor allem die sinnliche Wahrnehmung des Piloten, welche sich im Kunstwerk widerspiegeln soll.

Erste Phase der Luftmalerei: Geschwindigkeitsrausch und Selbsterfahrung

Die neue futuristische Ästhetik bringt auch die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen mit sich. Die Flugmalerei oder auch “Arte Sacra Futurista”, wie sie die Zeitgenossen nennen, ist in ihrem Farbspiel zwar stark vom Expressionismus beeinflusst, findet jedoch ganz neue Möglichkeiten, Perspektive darzustellen. Hierbei liegt der Fokus zum einen auf der Erlebniswelt des Piloten, der die Landschaften und schemenhaften Städte in atemberaubender Geschwindigkeit an sich vorbeiziehen sieht, zum anderen auf den Bewegungen und der Dynamik der Luftfahrzeuge selbst. Die Bandbreite der so entstehenden Werke ist groß: Von Arbeiten mit relativ wirklichkeitsnaher Perspektive bis hin zu abstrakten Darstellungen aus Form- und Farbwirbeln findet sich nahezu alles.

Zweite Phase der Luftmalerei: Kriegsverherrlichung und Propaganda

Da die Aeropittura sich hervorragend eignet, um das technische Wunder “Flugzeug” und die fliegerischen Leistungen der Piloten darzustellen, wird die neue Kunstrichtung innerhalb des faschistischen Regimes unter Mussolini (1919 bis 1945) von Anfang an stark gefördert. Marinetti forciert diese Entwicklung bereits seit der ersten Wanderausstellung, die 1931 in Rom startet und 1934 Paris erreicht. Hier werden vor allem die Südatlantikflüge des Jahres 1928 sowie die Brasilien- und Chicago-Geschwaderflüge der Jahre 1930 bis 31 dargestellt. Noch 1934 folgt eine weitere Ausstellung in Nizza und im Jahre 1937 die Weltausstellung in Paris.

Die propagandistische Vereinnahmung der Flugmalerei geht mehr und mehr zu Lasten der künstlerischen Qualität, da die entsprechenden Arbeiten schon bald nicht mehr aus einem inneren Antrieb und der reinen Technikeuphorie heraus gemalt werden, sondern mehr oder weniger als Auftragskunst entstehen. So befreit das Regime jene Künstler, die sich ausschließlich in den Dienst an Vaterland und Faschismus stellen, beispielsweise vom Wehrdienst. Auf diese Weise wird die Aeropittura nach und nach zum Sprachrohr eines faschistischen Kriegspathos stilisiert, das mit der anfänglichen Intention nur noch wenig zu tun hat. Im Jahre 1935 folgt dem ersten Manifest von Mino Somenzi die "Futuristische Ästhetik des Krieges" und im Jahre 1940 die "Flugmalerei des Bombardemments". Auch Marinetti selbst erweitert die bestehenden Schriften während der Kriegsjahre um zwei weitere Manifeste, die sich mit der Darstellung des Bombenkrieges zur See und über Land befassen. Italien ist in dieser Zeit wesentlich am deutschen Feldzug gegen die Sowjetunion und am Spanischen Bürgerkrieg unter Franco beteiligt.

Dritte Phase der Luftmalerei: Das Verschwinden der Kunstrichtung

Die Vereinnahmung durch die Kriegspropaganda führt letztlich dazu, dass die Flugmalerei als eigenständige Kunstrichtung verschwindet, noch bevor sie sich überhaupt richtig entwickelt hatte. Als die Propaganda mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs obsolet wird, verliert sich folglich auch das Interesse an der Aeropittura.


Fotograf: BriYYZ

Titel: The Logger, Fortunato Depero (Hungarian National Gallery)

Quelle: https://www.flickr.com

Zu den wichtigsten Vertretern dieser sehr kurzen künstlerischen Ausformung zählen:

Mino Somenzi

Fortunato Depero (Siehe Bild: „The Logger“)

Giacomo Balla und

Alessandro Buschetti


Expressionismus vs. Impressionismus

Fortschritt oder Armageddon? Gegen Ende des 18. Jahrhunderts spaltet die Industrielle Revolution die europäische Welt in zwei Lager: Während die einen der Technisierung und dem aufkeimenden Kapitalismus huldigen, fürchten die anderen, von dieser „neuen Welt“ restlos verschlungen zu werden. Ihren künstlerischen Niederschlag finden jene Hoffnungen und Ängste in einer radikalen Absage an die Verbindlichkeiten der Klassik. An ihre Stelle tritt die Interpretation der Wirklichkeit durch den Künstler – es ist die Geburtsstunde des individuellen Ausdrucks. Impressionismus und Expressionismus leben beide von diesem neuen „Selbstgefühl“ – doch sie tun es auf extrem unterschiedliche Art und Weise.

Der Mittelpunkt des künstlerischen Interesses um 1900: Die Großstadt

„Hier erreicht der menschliche Geist seine Vollendung und hier seine Erniedrigung; hier vollbringt die Zivilisation ihre Wunder, und hier wird der zivilisierte Mensch fast wieder zum Wilden […].“

Als der französische Historiker Alexis de Tocqueville im Zuge einer Reise durch England für kurze Zeit in London verweilt, sieht er in der damals aufstrebenden Metropole bereits 1835 das, was sich wenige Jahrzehnte später in allen europäischen Großstädten ereignen sollte. Die Konfrontation des Individuums mit einer hochtechnisierten Lebenswelt, die viel zu schnell, viel zu laut und viel zu unübersichtlich ist. Damit wird die moderne Großstadt zum Sinnbild dieser „neuen Zeit“, in der sich das aufstrebende Bürgertum immer mehr vom sogenannten „Proletariat“ abkehrt.

In der Literatur dieser Zeit bildet sich das Genre des „Großstadtromans“ heraus, welcher mittels einer spezifischen sprachlichen Montage-Technik jene „Mehrperspektivität“ von sinnlichen Eindrücken und gesellschaftlichen Diskursen abzubilden sucht. Zu den bekanntesten dieser Romane zählen heute Joyce „Ulysses“ von 1922 und Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ aus dem Jahre 1929. In der bildenden Kunst findet man zu anderen Ausdrucksformen, um dem rasanten gesellschaftlichen Wandel gerecht zu werden.

Die malenden Wegbereiter der Moderne

Das neue „Selbstgefühl“ der künstlerischen Moderne zeigt sich zunächst darin, dass die mimetische Wiedergabe der Wirklichkeit zugunsten der individuellen Aussage in den Hintergrund tritt: Der Künstler gibt nicht wieder, was er sieht, sondern er malt seine Interpretation dessen, was er sieht. Im Zuge dessen wird Stil zum Ausdruck einer individuellen Entscheidung. Die herausragenden Persönlichkeiten gegen Ende des 19. Jahrhunderts bilden mit kräftigen Farben ein neues, feines Formgefühl ab. Während Paul Cézanne noch mit den malerischen Gestaltungsmitteln experimentiert und Perspektive mittels abgestufter Farbflächen darstellt, löst der niederländische Maler Vincent van Gogh sich gänzlich von der perspektivischen Malerei (siehe Bild).

Mit Gauguin verliert die Malerei schließlich jede mimetische Funktion: Seine Südsee-Landschaften polarisieren durch unnatürliche, beinahe entstellende Farbigkeit. Ihren Anfang nimmt diese Entwicklung, die in der Folge immer extremer wird, ca. 1872, als der damals 32-jährige Claude Monet sein berühmtes Gemälde „Impression: soleil levant“ (Impression, Sonnenaufgang) schafft und damit gegen jede formale Regel der Malerei verstößt. Zeitgleich gibt er einer ganzen Generation von Künstlern ihren Namen.

Die Impressionisten oder die 'Schöne neue Welt' des Bürgertums

Die Bezeichnung „Impressionisten“ ist zunächst ein von Monets „Sonnenaufgang“ abgeleiteter Spottname, den seine Nacheiferer jedoch schnell übernehmen und fortan mit Stolz tragen. Die neue Kunstform, die sich ab 1870 zunächst in Frankreich zentriert und vom restlichen Europa lange Zeit unerreicht bleibt, spielt mit der „Faszination des Augenblicks“. Da die Malerei nicht mehr der Beschränkung unterliegt, die Wirklichkeit abbilden zu müssen, geben die Künstler sich ganz ihren subjektiven Sinneseindrücken hin und versuchen, Gegenstände optisch in Licht aufzulösen und das, was sie sehen, in Farbe und Form zu übertragen. Es geht ihnen dabei nicht mehr um den gegenständlichen Wiedererkennungswert, sondern darum, dass der Betrachter die Stimmung während des Augenblicks der Gestaltung nachvollziehen kann.

Das Ergebnis ist eine meist farbenfrohe Momentaufnahme, die mittels winzig kleiner Farbtupfer auf die Leinwand übertragen wird. Aufgrund dieser spezifischen Maltechnik entfaltet das so entstehende Gemälde seine Wirkung erst bei der Betrachtung aus einiger Entfernung. Beispielhaft für die impressionistische Technik stehen neben Monet auch Edgar Degas (siehe Bild: Zwei Tänzerinnen auf der Bühne), Edouard Manet und Pierre-Auguste Renoir.

Da man gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch nichts von jenen Schrecken weiß, die um 1900 über Europa hereinbrechen, spiegelt der Impressionismus die ungetrübte Freude an den Errungenschaften der Industriellen Revolution. Ein häufiges Thema ist hier die blühende Metropole Paris – es wird versucht, jene 'Schöne neue Welt' so stimmungsvoll wie möglich darzustellen. Zu diesem Vorhaben gehört jedoch auch die Abkehr von allem, was keinen ästhetischen Wert im traditionellen Sinn hat: Die Impressionisten kommen in der Regel aus dem sich etablierenden Bürgertum und malen bürgerliche Motive für ein bürgerliches Publikum.

Die Expressionisten oder der Subjektivismus des Proletariats

Im Gegensatz zum Impressionismus ist die Zeit der expressionistischen Malerei, die sich in Deutschland und Frankreich etwa zwischen 1905 und 1925 konzentriert, bereits vom Ersten Weltkrieg sowie dem Zusammenbrauch des Deutschen Reiches und der Donaumonarchie geprägt. Jene katastrophalen Ereignisse sowie die Erfahrung des rasanten technischen Fortschritts in allen Bereichen lassen in den Künstlern Zweifel an der allumfassenden Wahrnehmungsfähigkeit des menschliches Auges aufkommen: Jene „neue Welt“, die die Impressionisten in einem regelrechten Farbrausch feierten, scheint den Malern ab 1900 nicht mehr auf Leinwand zu bannen zu sein. An die Stelle des idealistisch geprägten Menschenbilds des Kaiserreichs tritt so zunehmend die Darstellung des von Einsamkeit, Anonymität und Isolation bedrohten Individuums.

Auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln setzt eine massive Abkehr von den impressionistischen Gestaltungsmethoden zugunsten des Ausdrucks im Inneren ein: Das jeweilige Motiv wird dahingehend verändert, dass es nicht mehr sich selbst darstellt, sondern die Gefühle und Empfindungen desjenigen, der es malt. Während die Künstler um Monet und Degas lediglich die formalen Regeln der Malerei auflösten, beginnen Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner (siehe Bild: „Gelber Rückenakt“, 1909), Franz Marc und Wassily Kandinsky, über das Wesen und die Möglichkeiten der Kunst selbst zu reflektieren. Das übergeordnete Ziel ist demnach die Emanzipation des Kunstwerks von seiner illusionistischen Abbildfunktion.

Einhergehend mit einer Abwendung vom Bürgertum ist auch die Abwendung von der sogenannten „akademischen Kunst“: Man orientiert sich an primitiven Volkskünsten und baut – unter radikaler Reduktion der künstlerischen Mittel – Bilder rein aus Farbe und Form auf: In der Deformation des Gegenstandes (das ist das Motiv) liegt die 'wirkliche Welt', die nicht gesehen, sondern nur gefühlt werden kann. Die Deutung indes bleibt dem Betrachter überlassen. In Deutschland zentrieren sich die expressionistischen Künstler vor allem in zwei Gruppierungen: Der „Brücke“ mit Sitz in Berlin und dem „Blauen Reiter“ in München. In Frankreich formiert sich mit den „Peintres Maudits“ eine ähnlich gesinnte Gemeinschaft.